Türkei Sicherheitsgesetze
27. Februar 2015Handgreifliche Auseinandersetzungen sind im türkischen Parlament keineswegs selten, aber so heftig wie in den vergangenen zwei Wochen ist es selbst in Ankara bisher nicht zugegangen. Ein Abgeordneter fiel im Handgemenge eine Treppe hinunter, andere wurden durch Wurfgeschosse oder Faustschläge verletzt. Selbst Hammer und Glocke des Sitzungspräsidenten fanden als Waffen im aggressiv ausgetragenen parlamentarischen Streit Verwendung.
Mehr Polizeibefugnisse
Anlass für den Krach im Hohen Haus ist das "Paket zur Inneren Sicherheit", ein Maßnahmenbündel aus mehr als hundert Gesetzesänderungen. Die Regierung Davutoglu will damit die Befugnisse der Polizei bei Festnahmen und Durchsuchungen ausbauen. So sollen Verdächtige bei Demonstrationen künftig bis zu 48 Stunden festgehalten werden können, bevor sie einem Richter oder Staatsanwalt vorgeführt werden. Die Regeln für den Schusswaffengebrauch durch die Polizei bei Kundgebungen werden gelockert. Ein Vermummungsverbot kann einem Demonstrationsteilnehmer eine mehrjährige Haftstrafe einbringen, wenn er sein Gesicht ganz oder teilweise mit einem Schal verdeckt.
Davutoglu argumentiert, das alles sei nötig, um die Gesundheit der Bürger zu schützen und Sachbeschädigungen wie bei den Kurdenruhen des vergangenen Jahres zu verhindern. Alle Neuregelungen entsprächen den EU-Anforderungen. Zudem soll ein neuer Mechanismus zur Ahndung von Polizeiwillkür eingeführt werden.
Selbst Ex-Präsident Gül warnt
Die Oppositionsparteien im Parlament befürchten jedoch, dass sich die Regierung mit dem Paket die Möglichkeit schafft, die dem Innenministerium unterstehende Polizei gegen Kritiker einzusetzen und jeden Dissens mit Gewalt zu ersticken. Sie fordern, die Regierung solle ihren Entwurf zurückziehen. Selbst der ehemalige Staatspräsident Abdullah Gül, ein Mitbegründer der islamisch-konservativen Regierungpartei AKP, warnte vor einer Annahme des Gesetzes und forderte Nachbesserungen.
Im Parlament von Ankara hat die AKP mit 312 von 550 Sitzen die absolute Mehrheit, doch versucht die Opposition mit allen Mitteln, die Beratungen über das Gesetzespaket zu verzögern. Bisher konnten deshalb nur rund zwei Dutzend der 130 Gesetze beschlossen werden. Am Ende dürften die Stimmen der Oppositionsparteien aber nicht ausreichen, um eine Verabschiedung des Pakets spätestens Ende März zu verhindern.
"Der Rechtsstaat wird abgeschafft"
Wie andere Regierungskritiker sieht Metin Bakkalci, der Generalsekretär der türkischen Menschenrechtsstiftung (TIHV), bei einer Umsetzung der Regierungspläne schwarz für die Zukunft seines Landes. "Der Rechtsstaat und die Gewaltenteilung werden abgeschafft", sagte Bakkalci der Deutschen Welle. Zum ersten Mal überhaupt würden Befugnisse der Justiz auf die an politische Weisungen gebundene Polizei übertragen.
Die Regierung argumentiert, alles gehe mit rechten Dingen zu und entspreche den Standards der EU. Das findet Bakkalci absurd. Verbindliche Normen wie die Europäische Menschenrechtskonvention schrieben klar und deutlich vor, wie etwa mit Verdächtigen in Polizeihaft verfahren werden müsse. "Da steht nichts davon, dass die Polizei einen Festgenommenen erst nach 48 Stunden der Justiz übergeben muss", sagte Bakkalci. Auch die EU, der Europarat sowie internationale Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch und Amnesty International haben Kritik an den Regierungsplänen geäußert. Die türkische Anwaltskammer sieht das Land am Beginn eines "Regimes der Angst".
Folgen für die Wahl?
Bisher ist die Regierung in Ankara allerdings nicht zu substanziellen Änderungen bereit. Nach Ansicht des angesehenen Meinungsforschers Adil Gür können sich Davutoglu und die AKP diese unnachgiebige Haltung wenige Monate vor der Parlamentswahl am 7. Juni durchaus leisten. Natürlich werde das Gesetzespaket heftig kritisiert, sagte Gür der Deutschen Welle. "Aber die Kritiker wählen die AKP ohnehin nicht", fügte er hinzu.
Für die Regierungspartei stellen die Proteste gegen die Novelle also kein großes politisches Risiko dar. "Die Wähler schauen vor allem auf die wirtschaftliche Entwicklung und fragen: Bin ich mit meinem Leben zufrieden?", sagte Gür. Auch die Friedensverhandlungen zwischen dem türkischen Staat und der kurdischen Rebellengruppe PKK spielen demnach für viele Türken bei der Wahlentscheidung eine Rolle – nicht aber die Inhalte des neuen Demonstrationsstrafrechtes. "In meinen Umfragen erscheint das nicht als kontroverses Thema", sagte Gür. Wohl auch deshalb besteht Regierungschef Davutoglu darauf, die Gesetzesvorlage unverändert durchs Parlament zu bringen.