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Türkei: Die Samariter von Cesme

Daniel Heinrich, Cesme23. März 2016

Trotz EU-Deal, Milliardenzusagen aus Brüssel und Beteuerungen aus Ankara: Flüchtlinge bekommen in der Türkei oft keine staatliche Unterstützung. Freiwillige versuchen die Lücken zu füllen. Aus Cesme Daniel Heinrich.

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Studenten der Hilforganisation Imece in ihrem Cafe (Foto: DW/D. Heinrich)
Bild: DW/D.Heinrich

Auf einmal muss alles sehr schnell gehen im Café. Gerade noch saßen alle zusammen, haben gelacht, geredet, Tee getrunken. Dann ein Anruf: Eine Gruppe Flüchtlinge braucht dringend Hilfe, Lebensmittel, Medikamente.

Die Helfer springen auf, jeder weiß was zu tun ist. Trotz der Eile läuft alles ruhig ab, routiniert. Mecit ist 21, er studiert an der hiesigen Uni Tourismusmanagement: "Wir haben vor fünf Minuten einen Anruf von einer Freundin bekommen, sie sagte, dass sie eine Flüchtlingsfamilie gesehen hätte, die sich im Wald vor der Polizei versteckt hält", erzählt er.

Alles liegt griffbereit im "Depot"

Unterdessen packt er im "Depot", wie sie es auf Türkisch nennen, alles Notwendige zusammen. "Windeln für die Babies, warme Decken, Kleidung für die Erwachsenen", alles in monatelanger Arbeit zusammengetragen, geordnet, für die Einsätze griffbereit im Lager zusammengelegt.

Mecit im Lager von Imece (Foto: DW/D. Heinrich)
Mecit will Touristenführer werden und den Leuten vor allem die Geschichte seiner Heimat näher bringen. Den Bedürftigen zu helfen ist für ihn selbstverständlichBild: DW/D.Heinrich

Gleich um die Ecke des Lagers liegt das "Hauptquartier". Zumindest nennen es hier alle so. Eigentlich ist es nur ein kleines, umfunktioniertes Café. Den ganzen Tag gehen Besucher, Helfer, Bedürftige ein und aus. Im Hintergrund läuft leise Elektromusik. Die Atmosphäre ist entspannt, trotz der ständigen Einsätze der "Imece"-Mitarbeiter. "Imece", frei übersetzt "gemeinschaftlich" ist das Motto der kleinen NGO. Die meisten der Helfer sind Studenten wie Mecit. Sie alle opfern ihre Freizeit, alle hier helfen zusammen.

Fester Bestandteil der Hilfsaktionen

Nur Sarioglu ist sichtlich stolz auf die Arbeit, die "ihre" kleine Truppe leistet. Inzwischen gehören sie zum festen Bestandteil von Hilfsaktionen: "Die Küstenwache ruft uns an, wenn sie mal wieder Flüchtlinge aus dem Wasser gezogen haben, die Polizei macht das Gleiche", erzählt die Mitvierzigerin. "Vor allem die Küstenwache ist auf unsere Hilfe angewiesen. Die Menschen, die sie aus dem Wasser ziehen, sind häufig nass, vollkommen durchfroren, brauchen neue Kleidung."

Im Cafe von Imece (Foto: DW/D. Heinrich)
Die meisten Einnahmen kommen durch kleine Geld- und Sachspenden. Im Café, verdienen die Studenten noch ein bisschen was dazuBild: DW/D.Heinrich

"Imece" finanziert sich komplett aus Spenden. Aus der ganzen Welt würden Sie inzwischen Unterstützung erhalten, erzählt Nur Sarioglu. Die Hilfsorganisation versucht die Lücken zu füllen, die der Staat hinterlässt. Für Kristian Brakel, der Leiter der Heinrich-Böll-Stiftung in Istanbul, ist diese Arbeit unerlässlich: "Mit Ausnahme der syrischen Flüchtlingen gibt es für die Masse der Flüchtlinge weder einen Status, noch eine Wohnung, oder sonstige Leistungen." Keiner dieser Flüchtlinge erhalte irgendeine Art von Geld vom Staat, so der Experte.

Statt Urlaub zur Flüchtlingshilfe

Umso wichtiger erscheint jede Art von Hilfe für "Imece". "Vor allem über die sozialen Netzwerke, wie Twitter und Facebook machen wir auf unsere Arbeit aufmerksam". Einige der Helfer gehen sogar so weit, den Weg aus dem Ausland auf sich zu nehmen.

Claudia Pop kommt aus Bochum und arbeitet im normalen Leben an einer Sprachschule. Ihren Urlaub verbringt sie hier, hilft ebenso wie die Studenten als Freiwillige. Von den Lebensumständen der Flüchtlinge ist sie immer noch geschockt: "Den Menschen hier geht es sehr, sehr schlecht. Es gibt hier kaum jemand, der ihnen hilft, der sich um sie kümmert. Wer keine Papiere hat, wer kein Geld hat, der ist dann gezwungen draußen zu übernachten." Einige der Flüchtlinge würden bei Regen immer zum Busbahnhof laufen, da gäbe es wenigstens ein Dach.

Die Bochumerin Claudia Pop in Cemse (Foto: DW/D. Heinrich)
Statt auf der faulen Haut zu liegen hat Claudia lieber einen Flug in die Türkei gebuchtBild: DW/D. Heinrich

Staat überfordert? Dann muss man es halt selber machen

Anil Aktas von der Bilkent Universität in Ankara geht mit der Regierung hart ins Gericht: "Die Anzahl an Flüchtlingen und damit einhergehend der Einfluss, den die Flüchtlinge auf das Leben in der Türkei genommen haben, haben ein Level erreicht mit dem türkische Behörden niemals gerechnet hätten." Bei der Registrierung hinken die Behörden hoffnungslos hinterher.

Im Café von Imece lagert Kleidung für die Flüchtlinge (Foto: DW/D. Heinrich)
Von Bohnen, Schuhen, bis hin zu Babynahrung. Im Lager von "Imece" ist alles säuberlich sortiertBild: DW/D.Heinrich

In Cesme funktioniert die Zusammenarbeit zwischen Imece und den Behörden. "Wir respektieren uns gegenseitig", sagt Nur Saroglu. "Wir werden von den lokalen Behörden weder unterstützt, noch in unserer Arbeit behindert". Sie sagt das nüchtern, und ohne Groll. Von staatlicher Seite scheint hier sowieso niemand etwas zu erwarten. Zurück im Depot spielen für Mecit solche Fragen sowieso keine große Rolle.

"Wir wollen einfach Leuten helfen, die in Not sind. Zuerst haben wir nur den Bedürftigen aus dem Ort geholfen, jetzt eben den Flüchtlingen". Sagt es, packt sich zwei Großpackungen Windeln und Wasser unter den Arm und läuft los. Seine Freunde warten schon beim Auto auf ihn.