Türkei: Putsch und Protest
Ein Jahr nach dem Putschversuch haben Präsident Erdogan und seine Anhänger auf einer Gedenkveranstaltung Einheit demonstriert. Doch längst nicht alle schließen sich dem an. Eine Fotoreportage von Diego Cupolo aus Ankara.
Ein Jahr nach dem Putschversuch
Am Samstag gedachten viele Türken der rund 250 Menschen, die bei dem Putschversuch vor einem Jahr getötet wurden. Die Veranstaltung war zugleich eine Demonstration für die Zukunft des türkischen Staats. Die meisten Menschen versammelten sich an der Bosporus-Brücke in Istanbul und in der Hauptstadt Ankara. Vor dem Parlament lauschten viele einer Rede von Präsident Erdogan.
Unterschiedliche Haltungen
Viele derer, die sich den Putschisten persönlich in den Weg gestellt hatten, um die demokratisch gewählte Regierung zu verteidigen, nahmen an der Gedenkveranstaltung teil. Doch nicht allen geht es dabei um Demokratie. Diese Gruppe Demonstranten zeigt den "Wolfsgruß" der rechtsextremen "Partei der Nationalistischen Bewegung", genannt "Graue Wölfe".
Für Erdogan sterben
Vor einem Jahr, sagt Sureyya Kalayci (links), gehörten er und sein Sohn Ahmet (rechts), zu denen, die in Ankara die Straße blockierten, um den Putsch zu stoppen. Am Jahrestag trägt Kalayci ein selbst beschriftetes T-Shirt. Darauf steht: “Anruf genügt. Ruf uns an, und wir kommen. Sag uns, dass wir sterben sollen, und wir werden sterben."
Wächter der Demokratie
“Wir beobachten die Demokratie weiterhin", steht auf diesem Plakat in Ankara - eine Anspielung auf die Versammlungen, die vor einem Jahr als Plädoyer für Demokratie auf den Putschversuch folgten. Einige von Erdogans Unterstützern sind überzeugt, dass Anhänger des Predigers Fetullah Gülen nach wie vor in staatlichen Institutionen sitzen und einen weiteren Putsch planen.
Glaube an nationale Stärke
Einer der Teilnehmer berichtet, seinen Sohn habe während des Putschversuchs eine Kugel ins Bein getroffen. Das folgende halbe Jahr habe er im Krankenhaus verbracht. “Ich bin heute hier, um mein Land zu schützen", sagt er. “Die Verräter aus den Reihen Gülens versuchen, unser Militär zu infiltrieren. Aber unser Land ist stärker denn je."
Säuberungen? Ja bitte!
"Märtyrer sind unsterblich, das Vaterland ist unteilbar" heißt es auf diesen Stirnbändern. Ob auch die hier abgebildeten Demonstranten das Vorgehen gegen mutmaßliche Erdogan-Gegner unterstützen? Viele tun es. Bislang wurden mehr als 150.000 Staatsdiener entlassen und über 50.000 Menschen ins Gefängnis gebracht. Unschuldige Bürger, so die Überzeugung vieler, hätten nichts zu befürchten.
Auch Kritiker des Status-quo nahmen teil
Nicht alle, die im anhaltenden Ausnahmezustand und der Hatz auf mutmaßliche Regierungsgegner einen Angriff auf die demokratischen Prinzipien des Landes sehen, blieben am Jahrestag zu Hause: "Ich bin gegen den derzeitigen Zustand, denn er erlaubt den Soldaten zu tun, was sie wollen", sagt ein Teilnehmer. "Wenn es eine Abstimmung gäbe, würden die meisten Bürger dagegen stimmen", ist er überzeugt.
“Wir haben viele Rechte verloren"
Viele wollten die Veranstaltung nicht unterstützen. So etwa die Menschenrechtsaktivistin Seyma Urper, aus der Stadt Sirnak. "Seit dem Putschversuch wurden die meisten Angestellten unserer Stadtverwaltung entlassen. Der Bürgermeister wurde durch einen Kandidaten der Regierung ersetzt", berichtet Urper. "Wir haben viele Rechte verloren. Es wird für mich immer schwieriger, meine Arbeit zu tun."
“Wir sind die Enkel der Osmanen"
Gerade wegen der Repression gilt Erdogan vielen als einziger Führer, der der Türkei jene Macht zurückgeben kann, die das Land aus ihrer Sicht mit dem Sturz des Osmanischen Reichs vor rund einhundert Jahren verloren hat. Ein beliebter Wahlspruch - wie auf diesem Schal zu sehen - lautet daher: "Wir sind die Enkel der Osmanen".
Wiederwahl (un)erwünscht
“Bleib stark, das Volk ist mit dir”, steht auf dieser Flagge. Diesen Wunsch und dieses Versprechen teilt nicht jeder Türke. "Gott schütze uns, sollte dieser Mann 2019 wieder gewählt werden", sagt ein Taxifahrer in der Nähe der Veranstaltung. "Er wird der Türkei die Scharia verpassen. Das ist kein Problem für Männer, wohl aber für Frauen."