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Türkei vor dem Einstieg in die Atomenergie

Christine Harjes6. Juli 2006

Drei Mal hatte die Türkei in den vergangenen 30 Jahren vergeblich den Einstieg in die Atomenergie versucht. Jetzt will sie ihre Pläne doch noch wahr machen und drei Atomkraftwerke bauen. Ein umstrittenes Projekt.

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Beratende Funktion: IAEA-Chef El-Baradei besucht die Türkei vor ihrem Einstieg in die AtomenergieBild: AP

Bisher bezieht die Türkei die meiste Energie aus Russland und dem Iran - nicht gerade die zuverlässigsten Lieferanten, wie der Gasstreit zwischen Russland und der Ukraine zeigte. Und mit den Gaslieferungen aus dem Iran klappte es zu Beginn des Jahres wegen des kalten Wetters nicht. Außerdem sprechen die hohen Ölpreise und die Forderungen des Kyoto-Protokolls, die Treibhaus-Gase zu reduzieren, aus Sicht der türkischen Regierung für einen Einstieg in die Atomenergie. Zehn Prozent soll die Atomenergie bis zum Jahr 2020 am Energiemix ausmachen.

Kostenintensive Energie

Solarstromkraftwerk in Espenhain
Solarenergie als AlternativeBild: AP

Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung hält den geplanten Einstieg in die Atomenergie aus wirtschaftlichen Gründen für falsch. Stattdessen solle die Türkei auf erneuerbare Energien setzen, sagt die Energieexpertin. "Die Atomenergie ist sehr kapitalintensiv. Der Bau von Atomkraftwerken kostet sehr viel mehr als andere Kraftwerke und man muss auch sehen, dass in der Türkei die Erdbebengefahr eine Rolle spielt", sagt Kemfert. Das bedeute, dass die Atomkraftwerke noch mal sicherer gebaut werden müssten, was die Kosten weiter in die Höhe treibe.

Erdbeben als Sicherheitsrisiko

Das erste Atomkraftwerk soll in Sinop an der Schwarzmeerküste gebaut werden. Obwohl die gesamte Türkei als Erdbebengebiet gilt, gibt es Unterschiede zwischen einzelnen Regionen. Die am stärksten gefährdete Region liegt an der Mittelmeerküste in der Westtürkei. Hier war zunächst der Bau des ersten Atomkraftwerkes geplant. Nachdem die staatliche türkische Atombehörde (TAEK) acht mögliche Standorte geprüft hat, habe man sich nun aber für Sinop entschieden, hatte TAEK-Leiter Okay Cakiroglu im April mitgeteilt. Sinop erfülle unter anderem die nötigen Sicherheitskriterien, hieß es damals.

Helmut Hirsch Österreich Atomexperte
Helmut HirschBild: Helmut Hirsch

Aber auch wenn Sinop nicht so erdbebengefährdet ist wie die Westtürkei - ein Risiko bleibt, warnt der Physiker Helmut Hirsch, der als freiberuflicher wissenschaftlicher Berater für nukleaire Sicherheit unter anderem für die österreichische Bundesregierung tätig ist. "Der vorgesehene Standort liegt zwar nicht mitten in einem der gefährdetsten Gebiete, aber doch an dessen Rand und auf jeden Fall in einem Gebiet mit hoher Seismizität, also einem relativ hohen Erdbebenrisiko." Da auch diese Risiken mitkalkuliert werden müssten, sieht Claudia Kemfert die energiepolitische Zukunft der Türkei in den erneuerbaren Energien. "Der Anteil der erneuerbaren Energien ist bei der Stromerzeugung jetzt praktisch bei Null. Die Türkei sollte anstreben, bis zum Jahr 2020 zehn Prozent aus erneuerbaren Energien zu erzielen. Genau die Menge, die jetzt durch die Kernenergie eingesetzt werden soll."

IAEA hält sich raus

Wenn Mohammed el Barradei, Chef der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) am Donnerstag (6.7.2006) mit dem türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan zusammentrifft, wird es auch um die geplanten Atommeiler gehen. Einfluss auf den Bau kann die IAEA aber nicht nehmen. Bei der zivilen Atomenergie-Nutzung, die als nationale Angelegenheit gilt, hat sie nur beratende Funktion, während sie bei der militärischen Nutzung als Kontrollorgan fungiert. Helmut Hirsch sieht hier einen eklatanten Interessenkonflikt: "Es sollte nicht die gleiche Stelle Richtlinien und Maßstäbe für die Sicherheit aufstellen, und gleichzeitig die Nutzung der Technologie fördern", sagt der Sicherheitsexperte. "Wenn es gelingen würde, die IAEA in eine Watch-Dog-Organisation umzuwandeln, die auch im zivilen Bereich Biss hat, wäre das sicher zu begrüßen." Eine Entwicklung, die derzeit nicht absehbar ist.

Auch Claudia Kemfert stellt die nationale Hoheit in der Energiepolitik nicht in Frage. Trotzdem könne die EU formulieren, dass man wegen der Erdbebengefahr besorgt sei, sagt sie. "Schließlich trägt die Kernenergie im Falle eines atomaren Unfalls ja auch potenzielle Risiken nach Europa."

Militärischer Missbrauch als Gefahr

Frank Umbach, Experte für Energiesicherheit bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, schätzt das Sicherheitsrisiko durch mögliche Erdbeben als sehr viel niedriger ein als Kemfert und Hirsch. Er sieht die Gefahr an einer anderen Stelle. Nämlich wenn der Iran in den Bau von Atomwaffen einsteige. Dann, so Umbach, könnte die Türkei ihre Atomtechnologie nutzen, um gegen den östlichen Nachbarn atomar aufzurüsten. Er befürchtet durch das iranische Atomprogramm einen "Dominoeffekt" im Nahen Osten. Sollte die Türkei aber glaubhaft versichern können, die Atomkraft ausschließlich zivil nutzen zu wollen, und sich bereit erklären, die Inspektoren der IAEA jederzeit ins Land zu lassen, dann gibt es seiner Meinung nach keine Einwände gegen die türkische Atomkraft.

Bei den neuen Atomkraftwerken sei die Sicherheit erheblich verbessert, sagt Umbach und verweist auf das Siemens-Werk in Finnland. Siemens ist denn auch eins der Unternehmen, die schon in den Startlöchern stehen und hoffen, das Rennen um den Bauauftrag in der Türkei zu gewinnen. Noch gibt es zwar keine offizielle Ausschreibung, sagt Özlem Aksoy von der Siemens-Vertretung in Istanbul. Aber "Siemens hat schon mit einigen Leuten gesprochen". Schon vor sechs Jahren hatte der deutsche Konzern ein Angebot abgegeben. Damals ließ die türkische Regierung das Vorhaben wieder fallen. Neben finanziellen Gründen auch wegen des massiven Bürgerprotestes, der schon die anderen beiden Projekte zum Bau von Atomkraftwerken hatte scheitern lassen.