Tabu Geschlechtskrankheiten
3. September 2020Bereits zum zweiten Mal hat Aysha H. versucht, sich auf sexuell übertragbare Infektionen (STI) untersuchen zu lassen. Nach einem erfolglosen Versuch bei ihrem Berliner Hausarzt hoffte sie eine Zeit lang, dass ihr Frauenarzt sie untersuchen würde.
Sie und ihr ehemaliger Freund hatten nach dem Bruch ihrer Beziehung einen neuen Anfang gemacht. Beide wollten nun sichergehen, dass sie gesund sind, bevor sie ihre Beziehung auch sexuell fortsetzten. Doch die Reaktion der Krankenschwester war entmutigend. Sie fragte Aysha H., warum sie überhaupt eine allgemeine Untersuchung wünschte, da sie doch keine Symptome zeige.
"Diese Antwort hat mich wahnsinnig gemacht", sagte Aysha H.. "Als wäre ich ein Hypochonder. Dabei habe ich nur versucht, ein sicheres Sexleben zu führen."
Unangenehme Gespräche
In ganz Deutschland fänden in zu vielen Arztpraxen immer noch unangenehme Gespräche über sexuell übertragbare Krankheiten statt, sagt Norbert Brockmeyer, Leiter des Zentrums für sexuelle Gesundheit und Medizin in Bochum. Versäumte man, Infektionen wie Syphilis, Chlamydien und Gonorrhö rechtzeitig zu diagnostizieren, würde dies zu einem dramatischen Anstieg der STI-Raten im Land führen.
"Wer infiziert ist, kann andere bereits anstecken, auch wenn er noch keine Symptome aufweist", erklärt Brockmeyer. "Daher breiten sich diese STIs immer weiter aus." Während die Zahl der Syphilis-Erkrankungen 2001 so gering war, dass sie unbeachtet blieb, ist sie nach Angaben des Robert Koch-Instituts inzwischen auf über 7000 gestiegen. Zudem verzeichne man Schätzungen zufolge - verlässliche Zahlen existierten nicht - rund 300.000 neue Chlamydien- und 30.000 Gonorrhö-Infektionen pro Jahr, so Brockmeyer.
Unbehandelt können diese Krankheiten schwerwiegende Folgen wie Unfruchtbarkeit, Organausfälle und Krebs haben. Zudem erhöhen sie die Wahrscheinlichkeit, an einer anderen STI zu erkranken: HIV.
Stigma und Scham
Das Tabu in Sachen STIs bestehe in Deutschland vor allem darum, weil sich viele Menschen der steigenden Raten nicht bewusst seien. Das gelte für Laien ebenso wie für viele Ärzte, so Brockmeyer.
Es gehört zur Ironie der Geschichte, dass die Gründe für die Ignoranz auch auf die in den 1990er Jahren so erfolgreiche AIDS-Präventionskampagnen zurückgehen. Da die Deutschen zunehmend Kondome verwendeten, sanken die HIV-Raten zusammen mit anderen STI-Fällen.
Die Folge: Von jungen Ärzten wurden sexuell übertragbare Infektionen während ihrer Ausbildung als seltenes Phänomen betrachtet. Noch immer ist es für viele junge Ärzte ungewöhnlich, Patienten mit Syphilis oder Gonorrhö anzutreffen.
Sprachlose Mediziner
In der Praxis führe dies dazu, so Brockmeyer, dass einige Mediziner nicht wüssten, welche Fragen sie zur sexuellen Gesundheit stellen sollen. Nicht alle wissen zudem, dass die deutsche Krankenversicherung STI-Tests abdeckt, wenn entsprechende Symptome auftreten.
Um dieses Stigma zu bekämpfen, startete die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung 2016 eine STI-Präventionskampagne. Sie entwickelte einen Lehrplan für Ärzte, der diese bei der Diagnose von Infektionen sowie einer verbesserten Kommunikation im Bereich der sexuellen Gesundheit unterstützt. Zudem wurde eine Medienkampagne gestartet, die sexuell aktive Menschen dazu bewegen sollte, sich testen zu lassen, sollten sie Symptome wie Juckreiz oder Blasen an ihren Genitalien bemerken.
"Wir empfehlen, sich bei der örtlichen Gesundheitsbehörde, Beratungsstelle oder dem Hausarzt zu erkundigen, ob ein STI-Test auch dann sinnvoll ist, wenn man keine Symptome hat", heißt es in einer Erklärung der Bundeszentrale gegenüber der DW.
Trauma AIDS
Homosexuelle Männer haben in Deutschland eine weitreichendere Auswahl an Testmöglichkeiten. Viele Kliniken sind speziell auf die Gesundheitsfragen Homosexueller spezialisiert. Das liege zum einen daran, dass sie häufiger an diesen Infektionen leiden, sagt Wolfgang Osswald, Arzt am speziell an Homosexuelle gerichteten Berliner Gesundheitsdienst Checkpoint Mann-O-Meter. Zudem gebe es unter schwulen und bisexuellen Männern ein größeres Bewusstsein für die Bedeutung dieser Tests.
"Ich habe in den 80er und 90er Jahren viele Freunde und Kollegen durch AIDS verloren, so dass unsere Gemeinde wirklich für die Gefahren von sexuell übertragbaren Krankheiten sensibilisiert wurde", so Oswald.
Größeres Bewusstsein bei Schwulen
Als schwuler Mann in Berlin getestet zu werden, war für Alexander N. immer ein Akt, der ohne große Befragungen verlief. Während seine Schwester Aysha H. von Arzt zu Arzt geschickt und von der Gesundheitsbehörde abgelehnt wurde, wurde er in verschiedenen schwulen Kliniken kostenlos getestet.
Er bekam auch einen kostenlosen STI-Check bei demselben Hausarzt, der seine Schwester abgewiesen hatte - obwohl er keine Symptome hatte. Der Grund dafür sei schlicht, dass er seine sexuelle Orientierung mitgeteilt habe, sagt er.
"Ich hoffe, dass es normaler wird, über sexuelle Gesundheit für alle zu sprechen, damit meine Freundinnen genauso viele Möglichkeiten haben, sich testen zu lassen wie ich", sagt Alexander.
Dieser Artikel wurde anlässlich des Tages der sexuellen Gesundheit aktualisiert.