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Suizid-Prävention

Gudrun Heise10. September 2014

Jede 40. Sekunde stirbt weltweit ein Mensch durch Selbstmord. Das sind über 2000 Suizidtote pro Tag. Ist Prävention möglich? Und wenn ja, wie?

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Verzweiflung Person sitzt zusammengesackt auf einer Bank (Foto: Fotolia/Kwest).
Bild: Fotolia/Kwest

Man spricht nicht darüber. Vielmehr weicht man sogar aus, wenn es um das Thema Selbstmord geht, oder wenn man Menschen trifft, die einen Verwandten oder Freund durch Suizid verloren haben. Suizid ist stigmatisiert, ein Tabuthema. Umso schwieriger ist es für Ärzte, Psychotherapeuten und Hilfsorganisationen entsprechende Präventionsmaßnahmen zu ergreifen.

Die Gründe dafür, freiwillig aus dem Leben zu scheiden, seien weltweit sehr unterschiedlich, sagt Matthis Muijen vom WHO Regionalbüro für Europa: "Oft geht es um Armut im ländlichen Raum, um Menschen, die ihre Lebensgrundlage verloren haben, nicht mehr weiter wissen. Und so schlucken sie oft Pestizide, um sich das Leben zu nehmen."

Infografik: weltweite Selbstmordraten 2012 (Grafik: DW).

Diese Pestizide würden in der Landwirtschaft eingesetzt und seien hochgradig giftig. "Es ist wirklich tragisch, und oftmals dauert es ein paar Tage bis die Wirkung der Pestizide einsetzt. Aber dann kann das Ganze nicht mehr rückgängig gemacht werden", so Muijen weiter. "Es kommt häufig vor, dass verarmte Landarbeiter, die große Schulden haben oder eine schlechte Ernte hatten, so verzweifelt sind, dass sie eben diese Pestizide schlucken."

Selbstmordraten weltweit

Laut dem Bericht zur Suizidprävention der WHO, der Anfang September veröffentlicht wurde, ist Nordkorea das Land mit einer der höchsten Selbstmordraten. Dort gibt es 39,5 Fälle pro 100.000 Menschen. Auch in Osteuropa - beispielsweise in Russland - sind die Zahlen nach wie vor alarmierend.

Kulturelle, soziale, religiöse und natürlich auch wirtschaftliche Umstände gehören zu den Faktoren, die bei Suizid eine Rolle spielen. In einigen Ländern gilt Suizid als illegal, in anderen wiederum ist Selbsttötung durchaus akzeptiert. Aber, so die WHO in ihrem Bericht, die einzelnen Regierungen könnten durchaus etwas dafür tun, um die Zahl an Selbsttötungen einzudämmen und die Zahl von weltweit insgesamt 800.000 Suizidtoten im Jahr zu verringern - ganz zu schweigen von den Selbstmordversuchen.

Selbstmordrate in Deutschland

In Deutschland greifen diejenigen, die ihrem Leben ein Ende bereiten wollen, zu einem anderen Mittel. "Sie erhängen sich. Das trifft auf etwa 4000 von 10.000 zu", erklärt Diplom-Psychologe Georg Fiedler von der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention. "An zweiter Stelle dieser traurigen Statistik stehen Medikamente, gefolgt von Stürzen." Dann kommt das "Legen vor ein sich bewegendes Objekt" - so die offizielle Formulierung. Gemeint ist damit nichts anderes, als dass sich Menschen beispielsweise auf Bahngleise legen. In Deutschland nehmen sich viermal mehr Männer als Frauen das Leben.

Aber es gibt Möglichkeiten zur Prävention. Davon ist Muijen überzeugt. So sollte der Zugang zu freiverkäuflichen Medikamenten beschränkt werden, so wie es in England der Fall ist. Zäune oder Gitter an besonders gefährlichen Gebäuden oder an Brücken anzubringen, könne eine weitere Maßnahme sein. "Viele denken vielleicht, dass der Selbstmordkandidat dann eben woanders hingeht. Aber das ist oft gar nicht der Fall. Wenn jemand einen Selbstmord nicht so durchführen kann, wie er ihn geplant hat, dann überlegt er es sich oft nochmal und tut es dann im Endeffekt doch nicht", so Muijen weiter.

Medikamente (Foto: Friso Gentsch/dpa).
Tabletten und Medikamente stehen an zweiter Stelle bei SuizidBild: picture-alliance/dpa

Depression und Einsamkeit

Bei jüngeren Menschen zwischen 15 und 29 Jahren ist Selbsttötung die zweithäufigste Todesursache, noch vor Verkehrsunfällen oder Drogen. Es sei oft eine eher impulsive Handlung, erklärt Fiedler. Noch dramatischer ist die Situation bei älteren Menschen ab 65. Sie liegen in der Statistik der Selbstmorde noch weiter oben. Sie leiden nicht selten unter physischen Krankheiten, aber auch unter Depressionen. "Und viele sind einfach nur einsam", so Fiedler. "Jede zweite Frau, die sich das Leben nimmt, ist älter als 60 Jahre, und vierzig bis sechzig Prozent litten laut Schätzungen unter einer depressiven Erkrankung, zum Beispiel unter einer Psychose, ergänzt der Psychologe. Unabhängig vom Alter komme Suizid in allen Schichten vor.

Aufmerksamkeit und Aufklärung

Eine der wichtigsten Präventionsmaßnahmen ist es, Bewusstsein für die Problematik und für die Betroffenen zu schaffen. "Es geht um das Gefühl, nicht alleine zu sein. Es geht darum, dass es nicht unnormal ist, depressiv zu sein oder lebensmüde. Es geht aber auch darum, dass es Hilfe gibt, zum Beispiel über Hotlines", meint Muijen. "Dort sind verständnisvolle Menschen, die dann nach Auswegen suchen." Es sei äußerst selten, dass die Probleme, die der Einzelne für sich wahrnimmt, unumkehrbar sind.

Plakataktionen in Bussen und auf öffentlichen Plätzen sieht Muijen als eine weitere Möglichkeit der Prävention. Die Aufklärung in Arztpraxen müsse verbessert werden. "Viele Menschen, die Selbstmord begangen haben, waren vorher bei ihrem Arzt. Der hat die Signale nicht richtig gedeutet", erklärt der Vertreter der WHO. Es müssten Informationsblätter ausgelegt werden, um den Patienten die Gefahren klarzumachen, aber auch, um Lösungen und Auswege aufzuzeigen.

Sorge bereitet Georg Fiedler von der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention die Berichterstattung in den Medien, die er oft für nicht angemessen hält. Der Tod des Fußballers Robert Enke sei ein solcher Fall. Enke hatte sich im November 2009 an einem Bahnübergang das Leben genommen. Die Geschichte war lange Zeit Thema Nummer Eins. "Die Anzahl der Suizide auf Bahngleisen hat sich in den Tagen danach fast vervierfacht", sagt Fiedler.

Trauer um Robert Enke (Foto: Peter Steffen dpa/lni).
Tragischer Fall: der Selbstmord des Fußballers Robert Enke 2009Bild: picture-alliance/dpa

Der Welttag zur Suizid-Prävention soll größeres Verständnis für Menschen, die suizidgefährdet sind, auch in der Öffentlichkeit entwickeln. Arztpraxen, Krankenhäuser, Hilfsorganisationen und Bürger sind gefordert, der Stigmatisierung entgegenzuwirken und sich stärker für selbstmordgefährdete Menschen einzusetzen, bevor es zu spät ist.