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Politik

Tag der Entscheidung in Katalonien

Barbara Wesel
21. Dezember 2017

Die vorgezogene Regionalwahl soll eigentlich einen politischen Neuanfang in Katalonien bringen. Aber die Frage der Unabhängigkeit spaltet das Land und die Parteien. Ein knappes Ergebnis könnte das Patt fortsetzen.

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Spanien Wahl Regionalparlament in Katalonien | Wahlplakat Carles Puigdemont
Bild: Getty Images/J.J. Mitchell

Seit neun Uhr am Morgen strömen die Katalanen an die Wahlurnen, und wie an vielen Orten warten die Wähler auch in der Cervantes Schule im alten Zentrum von Barcelona in Schlangen auf die Stimmabgabe. Vorhersagen gehen von einer Beteiligung bis zu 90 Prozent aus. Auch die sehr alten Anwohner im Viertel kommen an diesem Tag in die Schule, manche im Rollstuhl, andere langsam am Stock, aber alle wollen sich an dieser "Schicksalswahl" beteiligen. 

Felipe Quirante ist Wahlbeobachter für die linke Pro-Unabhängigkeitspartei Esquerra. Allein die ERC hat 14.000 Mitglieder in ganz Katalonien dafür mobilisiert, weil die Partei schon vor Beginn der Stimmabgabe Zweifel an der Korrektheit der Wahlen schürte. "Ich bin gekommen, um zu überwachen, dass alles mit rechten Dingen zugeht. Ich glaube, dass man den Liberalen (Ciudadanos) und den Konservativen (Partida Popular) nicht trauen kann", sagt Felipe.

Spanien Barcelona - Wahl: Felipe Quirante, Wahlbeobachter für Pro- Unabhängigkeitspartei ERC,
Felipe Quirante, Wahlbeobachter für Pro- Unabhängigkeitspartei ERCBild: DW/B. Wesel

Unterstützer der Unabhängigkeit sind ungebrochen

Und obwohl die Umfragen die Siegeschancen der Unabhängigkeitsplattform, der ERC und der Partei des früheren Koalitionspartners Carles Puigdemont, zuletzt geringer einschätzten, ist Felipe's Glaube ungebrochen: "Wir werden es schaffen, und wir werden zurückholen, was man uns genommen hat." Damit meint er die von Madrid Ende Oktober nach der einseitigen Unabhängigkeitserklärung abgesetzte alte Regionalregierung, die die Independentistas immer noch als einzige legitime Vertretung ansehen.

Allerdings mindert der Bruderkrieg zwischen dem im Gefängnis sitzenden Oriol Junqueras und dem nach Belgien geflüchteten Ex-Präsidenten Puigdemont die Einigkeit und die Chancen. Der ERC-Chef hatte Bosheiten über den Flüchtigen verbreitet und ihm Feigheit unterstellt. Und sogar ein hundertprozentig überzeugter Unabhängigkeitskämpfer wie Felipe glaubt nicht an eine deutliche Mehrheit. Die Umfragen zeigen ein Kopf-an-Kopf Rennen, das heißt: Die politische Pattsituation könnte einfach weitergehen. "Wenn wir keine absolute Mehrheit erreichen, können wir nicht weiter machen. Und dann wird es demnächst wieder Wahlen geben."

Liberale hoffen auf Ausweg

Seit einigen Wochen ist die liberale Partei Ciudadanos auf dem Vormarsch. Die junge Parteichefin Ines Arrimadas könnte sogar die stärkste Fraktion anführen und zieht vor allem bürgerliche Katalanen an, die die Unabhängigkeit für einen Irrweg halten. Sie will die Region wegführen von den Glaubenskriegen und zurück zu praktischer Politik. 

Die Anwältin hat im Wahlkampf große Säle gefüllt und der Aggressivität der Independentistas ihre Botschaft von einem versöhnten Katalonien entgegengestellt. Ana Barrado ist eine glühende Unterstützerin von ihr und engagiert sich zum ersten Mal politisch, um im Wahlbüro den Gegnern von der ERC auf die Finger zu schauen.

Spanien Barcelona - Wahl: Ana Barrado, Wahlbeobachterin für Ciudadanos
Ana Barrado, Wahlbeobachterin für CiudadanosBild: DW/B. Wesel

"Wir hoffen, dass wir gewinnen und stärkste Partei werden. Aber vermutlich reicht es nicht für eine absolute Mehrheit. Dann müssen wir bei den anderen Parteien Partner für eine Koalition suchen." Ana stammt aus Valencia und der Nationalismus und die Identitätspolitik der Independentistas schreckt sie ab. "Wir können und müssen wieder zusammenfinden. Ich glaube, wir haben den Höhepunkt des Streits erreicht und von jetzt ab wird es wieder besser."

Sozialisten als Zünglein an der Waage?

In der komplizierten Arithmetik der verfeindeten Lager in Katalonien könnte die kleine Sozialistische Partei (PSC) zum Königsmacher werden. Rafael Ochoa weiß, dass seine Partei vielleicht mit nur 25 Sitzen im 150 Kopf starken Parlament bestenfalls drittstärkste Kraft wird. Aber die Sozialisten könnten am Ende vielleicht einen Kompromisskandidaten für das Regierungsamt stellen, um die Kluft zwischen linken und rechten Unabhängigkeitsgegnern zu überwinden.

Rafael Ochoa jedenfalls hofft auf eine hohe Wahlbeteiligung: "Je mehr Wähler an die Urnen gehen, desto besser für die Verfassungstreuen." Die Kämpfer für die Unabhängigkeit hätten ihre Unterstützer schon immer mobilisiert. "Es geht jetzt um die schweigende Mehrheit. Und es ist schwierig, auf die soziale Frustration der Leute Antworten zu finden."

Spanien Barcelona - Wahl: Rafael Ochoa, Partei der Sozialisten
Rafael Ochoa, Kandidat der SozialistenBild: DW/B. Wesel

In den vergangenen Jahren habe die Regierungskoalition alles Geld und alle Kraft in den Kampf für die Unabhängigkeit investiert, statt etwas für das Gesundheitswesen und die Schulen zu tun. Die Politik in Katalonien brauche einen echten Neuanfang, glaubt Rafael, aber auch er ist nicht besonders optimistisch: "Wir in den verschiedenen Parteien trauen einander nicht, man schaut sich schief an, und es fehlt Vertrauen." Keine gute Basis zur Bildung einer Koalition.

Wenig Hoffnung auf Durchbruch

Viele in Barcelona sind skeptisch, ob diese Wahl einen Durchbruch bringen kann. "Wenn es keine klare Mehrheit gibt, wird der Kampf zwischen den Lagern weitergehen wie bisher, dabei sind wir müde von diesem Streit, der zu nichts führt", sagt Ciudadanos Anhänger Malte vor dem Wahllokal. Und die größte Regionalzeitung "Vanguardia" beschreibt die Lage: "Wir müssen einen Weg finden, um den Dialog wieder herzustellen und die Unversöhnlichkeit zu überwinden. Alle Parteien müssen politische Reife zeigen und einige ihrer Ideen aufgeben, damit wir zusammen nach vorn gehen können."

Die Sorgen um die wirtschaftlichen Folgen der Unsicherheit nehmen zu, nachdem bereits 2000 Unternehmen in den vergangenen zwei Monaten ihren Sitz von Katalonien weg verlegt haben, der Tourismus abnimmt und die Auslandsinvestitionen stocken. Aber solche Überlegungen konnten die Vorkämpfer für die Unabhängigkeit bisher nicht umstimmen; sie zeigen bislang keine erkennbare Kompromissbereitschaft. Wenn die Wähler in Katalonien nicht eine sehr deutliche Botschaft senden, könnte die Pattsituation einfach weiter bestehen.

Katalonien wählt - die Wirtschaft wankt