Tag der Trauer in Berlin
20. Dezember 2016Deutschland schweigt. Um 18 Uhr wird es still auf vielen Weihnachtsmärkten im ganzen Land. Fünf Tage vor Heiligabend wurde das Land aus der vorweihnachtlichen Stimmung gerissen als ein Lastwagen in einen Berliner Weihnachtsmarkt raste. Vier Tage vor Heiligabend trauert das Land nun in einer Schweigeminute um die Opfer der Gewalt.
Gedächtniskirche als Symbol gegen Krieg und Gewalt
Zur gleichen Zeit beginnt wenige Meter vom Tatort entfernt der Gedenkgottesdienst in der Berliner Gedächtniskirche. Es ist ein symbolträchtiger Ort für einen solchen Gottesdienst. Noch immer klaffen Löcher im Dach der Kirche. Ganz bewusst wurde das im Zweiten Weltkrieg zerbombte Dach auch nach dem Krieg nicht wieder aufgebaut. Die Wunde blieb, um gegen Gewalt und Krieg zu mahnen.
Die klare Botschaft: Wir stehen zusammen
Eben dort schlug der Attentäter zu. Und eben deshalb wollen sie hier auch der Opfer - den Toten und schwer Verletzten - gedenken. Berliner und Besucher, Seite an Seite mit hochkarätigen Politikern. Anwesend sind Bundespräsident Gauck, Bundestagspräsident Lammert und Bundeskanzlerin Merkel, die Nummer eins, zwei und drei im Staat. Damit will man auch zeigen: Wir lassen uns nicht einschüchtern.
Seite an Seite sitzen im Gottesdienst auch jüdische, muslimische, katholische und evangelische Glaubensvertreter. Die deutliche und bewegende Botschaft, die sie den Trauernden und Menschen vor den Bildschirmen mit auf den Weg geben: Wir stehen zusammen!
Bundeskanzlerin Merkel besucht den Tatort
Am Nachmittag besucht die Kanzlerin erstmals den Tatort. Sie legt Blumen nieder an der Stelle, an der 20 Stunden zuvor ein immer noch unbekannter Täter mit einem Lastwagen mindestens zwölf Menschen in den Tod riss und Dutzende teils schwer verletzte. Die Trauerbekundung muss ein bewegender Moment für die Bundeskanzlerin gewesen sein. Angela Merkel weiß, egal, wer nun hinter der Tat steckt, auch dieser Anschlag wird zum Teil ihres politischen Erbes – und ohne Zweifel im Wahlkampf instrumentalisiert werden.
Längst nicht alle mögen den Besuch der Kanzlerin
Es beginnt auch schon zum Zeitpunkt der Trauerbekundung. Nur dreißig Meter hinter dem Absperrband, das die Kanzlerin von Passanten trennt, ist für zwei Männer die Sache bereits klar: "Die ist Schuld an allem", sagt der eine und zeigt in Richtung Merkel. "An ihren Händen klebt Blut", sagt der andere. Ihre Namen wollen die Männer nicht preisgeben. Sie wollen ebenso anonym bleiben viele, die derzeit über Twitter und andere Social-Media-Seiten Falschnachrichten und Hassbotschaften verbreiten.
Weihnachtsmarkt trotz geschlossener Stände voll
Mittlerweile ist der Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz wieder für Passanten geöffnet. Die Buden bleiben zwar noch für einen Tag geschlossen, erzählt der Besitzer eines Crepes-Standes. Trotz geschlossener Stände kommen die Menschen aber in Scharen, um den Opfern zu gedenken und Anteil zu nehmen.
Blumen und Kerzen für die Opfer
Auch Özdemar Mehmed und Ali Cetin aus Berlin sind zum Tatort gekommen. Beide tragen einen Strauß voller gelber, orangener und roter Rosen. "Es könnte ja jeden von uns treffen. Wir möchten zeigen, wir sind bei euch," sagt Ali Cetin, der sich keine Sorgen macht, dass dieser Anschlag zu einer neuen Welle der Fremdenfeindlichkeit führen könnte: "Wenn man andere nicht akzeptiert, dann wird man auch selbst nicht akzeptiert. So einfach ist das."
Bilder, wie sie die Welt bereits kennt
Rund um die Absperrungen sind kleine Gedenkstätten erwachsen. Immer weiter breiten sie sich aus. Menschen kommen aus aller Welt – Spanien, Singapur, den USA – Berliner und Besucher, die Blumen und Kerzen aufstellen, um ihre Solidarität mit Deutschland und den Opfern zu bekunden. Es sind Bilder, wie sie die Welt mittlerweile kennt – aus Paris, Brüssel, Nizza oder Orlando – jetzt eben Berlin.
Dem Terror trotzen
"Das hat uns sehr traurig gemacht, dass es Berlin jetzt auch getroffen hat," sagt Renate Rehlitz. Auch sie ist gekommen, um ihre Anteilnahme auszudrücken. "Ich gehe weiter auf den Weihnachtsmarkt. Ich lass mir das nicht nehmen. Ich wäre auch heute gegangen, wenn die Weihnachtsmärkte geöffnet gewesen wären. Passieren kann uns überall etwas."
Dem Terror trotzen und sich nicht einschüchtern lassen – auch das erinnert an die Reaktionen in den anderen Großstädten, in denen es bereits Anschläge gab. Die Menschen in Berlin reagieren nicht anders. Die Gegend rund um den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz ist nach einer gespenstischen Leere wieder brechend voll. Und das obwohl der oder die mutmaßlichen Täter weiter auf freiem Fuß sind.