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PolitikAsien

Chinas Drohung und Lokalwahlkampf auf Taiwan

Christina zur Nedden
28. November 2022

Taiwans Regierungspartei DPP setzt auf Verteidigungsbereitschaft gegenüber China. Bei Lokalwahlen büßte die Partei aber Stimmen ein, trotz kriegerischer Signale des Festlands.

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Vorbereitung von Wahlurnen für die Lokalwahlen auf Taiwan vom 28.11.2022
Vorbereitung von Wahlurnen für die Lokalwahlen auf Taiwan vom 28.11.2022Bild: Ann Wang/REUTERS

Vincent Chao tritt im Straßen-Wahlkampf-Rallye mit blau-gelber Maske auf. Seine Parteikollegen tragen grün, die Farbe der Demokratischen Fortschrittspartei (DPP). Chao hat die Farben der Ukraine gewählt, obwohl diese 8000 Kilometer von Taiwan entfernt liegt. Der junge Kandidat für den Stadtrat Taipehs will darauf hinweisen, wie schnell Demokratie und Freiheit von einem großen Nachbarn bedroht werden können. In Taiwans Fall ist dieser große Nachbar China.

Zunehmender Druck vom Festland

Peking provoziert den Inselstaat, dessen De-facto-Unabhängigkeit es nicht anerkennt, seit Jahren. Seit dem Sommer verstärkt China den militärischen Druck auf Taiwans Küste und versucht mit Mitteln hybrider Kriegsführung die Stimmung im Land zu beeinflussen. Doch die Taiwaner haben gelernt, sich zu wehren und sehen ihre Demokratie als beste Verteidigung gegen den autoritären Nachbarn. Das wurde im Wahlkampf für die Kommunalwahlen deutlich.

"Taipei, jiayou!", grob übersetzt "Auf geht's, Taipeih!", riefen Tausende Menschen am vorletzten Sonntag im Zentrum der taiwanischen Hauptstadt. Die Wahlkampfveranstaltung der DPP ließ an Karneval denken. Über den Massen schwebten große Dinosaurier- und Blumen-Luftballons, es wurde musiziert, die Hunde trugen Kostüme in Parteifarben, Knallfrösche wurden gezündet.

Ballons und Stofftiere bei Taiwaner Wahlkampfveranstaltung auf der Straße
Wahlkampfveranstaltung auf taiwanisch Bild: Christina zur Nedden/ DW

Taiwans Demokratie ist bunt und lebendig. Doch hinter der Fröhlichkeit, mit der sie gefeiert wird, steckt auch Ernst. "Freiheit und Demokratie sind wie Luft. Du atmest sie, ohne darüber nachzudenken - bis sie dir genommen werden", zitierte die 27-jährige Anita, die ihren Nachnamen nicht nennen will, Taiwans Präsidentin Tsai Ing-wen. Anita kam 2016 aus Hongkong zum Studieren nach Taiwan und blieb. "Ich sorge mich, dass China Taiwan dasselbe antun wird wie Hongkong", sagte sie. Als Ausländerin darf Anita nicht wählen, will aber trotzdem die Demokratie Taiwans unterstützen.

"Demokratie ist zum Teil unserer nationalen Identität geworden", sagt Stadtrat-Kandidat Vincent Chao. Laut dem Demokratieindex der Zeitschrift "The Economist” von diesem Jahr belegt Taiwan den achten Platz und liegt damit vor Deutschland.  Wie wichtig den Taiwanern ihre Demokratie ist, zeigt das System der Papier-Stimmzettel. Es gibt keine digitale Wahl und keine Briefwahl. Jeder Wahlberechtigte muss an dem Ort, wo er gemeldet ist, persönlich abstimmen, und nötigenfalls dorthin reisen. Laut einer Studie betrifft dies mindestens 32 Prozent aller Wahlberechtigten im In- und Ausland. Trotzdem lag die Wahlbeteiligung in den Lokalwahlen 2018 bei durchschnittlich 63, in den letzten Präsidentschaftswahlen 2020 bei knapp 75 Prozent. Bei den jetzigen Lokalwahlen betrug sie 59 Prozent.

Taiwan Kommnunalwahl
Stadtrat-Kandidat Vincent Chao von der DPP zeigt Solidarität mit der UkraineBild: Christina zur Nedden/ DW

Die Wahl am vergangenen Samstag fand unter hohen Sicherheitsvorkehrungen statt. Die DW hat die Wählerin Lili Lee in der Stadt Taoyuan beim Gang ins Wahllokal begleitet. Zwei Polizisten beobachten streng, wer ein- und austritt. Die Fenster sind mit Plakaten blickdicht abgeklebt. Lili  Lee zeigt ihren Wahlschein, Ausweis und einen kleinen roten Stempel mit ihrem Familiennamen auf Chinesisch, den alle Taiwaner zur Unterzeichnung offizieller Dokumente verwenden, vor. Dann bekommt sie drei Wahlzettel, um für das Bürgermeisteramt und das des Bezirksvorstehers abzustimmen, sowie darüber, ob das Wahlalter von 20 auf 18 Jahre gesenkt werden soll. Sie verschwindet hinter dem weißen Vorhang der Wahlkabine und stimmt ab, steckt sie die Zettel in drei verschiedene Boxen.

Am Ausgang warten auf einem Tisch aufgereihte Becher mit Bubble Tea, um die Menschen zum Wählen zu motivieren, denn es regnet in Strömen. Doch sie bleiben unberührt, die Leute scheinen keinen Anreiz zu brauchen, um wählen zu gehen. "Demokratie ist notwendig, um Meinungsfreiheit zu garantieren. Ich habe keine Angst davor, Dinge zu sagen und dann deswegen plötzlich zu verschwinden", sagt Lee. China spiele in diesen Wahlen keine explizite Rolle, brodele aber unter der Oberfläche. "China betrifft jeden Bereich unseres Lebens", sagt Lee.

Ukraine als warnendes Beispiel 

Die Taiwaner leben seit 1949 mit der Bedrohung durch das Festland. Doch seit Beginn des Ukraine-Kriegs fühlt sie sich für viele konkreter an als bisher. "Dass Putin in die Ukraine eingefallen ist, zeigt, wie schnell aggressive Rhetorik in Taten umschlagen kann", sagt Vincent Chao. Als erster Politiker Taiwans organisierte er drei Tage nach der Invasion Russlands eine Spendenkampagne für Kiew. "Die Ukraine hat für mich viel Symbolik. Jede Demokratie, die von einer autoritären Macht bedroht ist, braucht die Unterstützung anderer Demokratien.  Wir müssen zusammenhalten."

Präsidentin Tsai Ing-wen (mit Gesichtsmaske) trat nach der Wahlschlappe ihrer DPP vom Parteivorsitz zurück
Präsidentin Tsai Ing-wen trat nach der Wahlschlappe ihrer DPP vom Parteivorsitz zurück Bild: Daniel Ceng Shou-Yi/IMAGO

Wie Taipeh mit China umgehen soll, beschäftigt die Menschen vor den Wahlen. Mehr als 42 Prozent aller taiwanischen Exporte gehen nach China. Die Volkswirtschaften beider Länder sind eng miteinander verknüpft. Einige Wahlkandidaten haben enge Beziehungen zur Kommunistischen Partei Chinas oder chinesischen Unternehmen. Sie werden von chinafreundlichen Medien in Taiwan unterstützt. Vor der Pandemie kam es immer wieder vor, dass religiöse Gruppen oder Nachbarschaftsvorstände aus Taiwan zu All-inclusive-Reisen nach China eingeladen wurden. Vor kurzem wurde ein Oberst der taiwanischen Armee angeklagt: er soll umgerechnet 18.000 US-Dollar als Bestechungsgeld von der KP Chinas erhalten haben, um als Spion tätig zu werden. Auch habe er schriftlich erklärt, dass er sich im Falle eines Krieges ergeben würde.

Abwehr gegen Pekings Einmischung

Auch digital versucht China Einfluss in Taiwan zu nehmen. Laut dem schwedischen Digital Society Project ist Taiwan seit neun Jahren in Folge das Land, das weltweit Ziel der meisten Fake News ist. Die Desinformation kommt hauptsächlich über Social-Media-Plattformen und stammt meist aus China.

Doch die Taiwaner wehren sich entschieden dagegen. Es gibt Workshops zur körperlichen aber auch zur digitalen Verteidigung gegen China. In der "Kuma Academy" lernen Teilnehmer, wie sie einen Druckverband anlegen, aber auch, wie sie ihr Handy davor schützen, geortet zu werden. "Seit der Pandemie hat sich Chinas digitale Kriegführung noch verstärkt. Vor allem jungen Menschen vermitteln wir, dass das der erste Schritt zu einem echten Krieg sein kann", sagt Akademiegründer Puma Shen.

Chiang Wan-an, Bürgermeisterkandidat in der Hauptstadt Taipeh von der Kuomintang-Partei (KMT), jubelt über seinen Wahlsieg.
Chiang Wan-an (M), Bürgermeisterkandidat in der Hauptstadt Taipeh von der Kuomintang-Partei (KMT), jubelt über seinen Wahlsieg.Bild: Chiangying-Ying/AP/picture alliance

Bei den Wahlen am Samstag gewann Chao für seinen Bezirk die Wahl als Stadtrat. Auf nationaler Ebene jedoch machte die DPP Verluste. Präsidentin Tsai Ing-wen gab daraufhin ihren Partievorsitz ab. Auf lokaler Ebene ist der Hauptkonkurrent der Präsidentenpartei DPP die Kuomingtang (KMT) immer noch stärker. Der angebliche Urenkel des früheren Präsidenten und Militärherrschers Chiang-Kai-Shek, Chiang An-wan, wurde in Taipeh zum Bürgermeister gewählt. Die KMT tritt für einen Austausch mit Peking ein. Vincent Chao hält dagegen. "Demokratie ist unsere beste Verteidigung gegen autoritäre Aggression", sagt er. Taiwan stehe an der Front gegen autoritäre Regimes "ganz vorne".