Taiwan macht China Vorwürfe
13. Juni 2017Panamas Entscheidung, die diplomatischen Beziehungen mit Taipeh zugunsten der Volksrepublik China aufzugeben, traf Taiwan zwar überraschend, aber nicht aus heiterem Himmel. Schon seit längerem war darüber spekuliert worden, das mittelamerikanische Land sei der wahrscheinlichste Kandidat, der als nächstes mit Peking offizielle Beziehungen aufnehmen würde. So kam es auch. Die kommunistische Führung in Peking erlaubt mit seiner Ein-China-Politik keinem Land, sowohl diplomatische Beziehungen mit der Volksrepublik als auch mit Taiwan zu unterhalten, das sich offiziell nach der 1911 gegründeten Republik China benennt.
"Taiwan kann das nicht akzeptieren", sagte Taiwans Präsidentin Tsai Ing-wen am Dienstag. Sie zeigte sich deutlich verärgerter als noch im Dezember, als der afrikanische Zwergstaat Sao Tome und Principe die Seiten wechselte. "Wir können nicht mehr tatenlos zusehen, wie unsere Interessen bedroht werden", sagte sie in Taipeh, der Hauptstadt des Inselstaats Taiwan. Peking gefährde den Frieden und die Stabilität zwischen beiden Seiten der Taiwanstraße, so Tsai weiter. Ob und wie sie die Chinapolitik nun neu ausrichten wird, ist noch unklar. Die von ihr geführte Demokratische Fortschrittspartei (DPP) gilt als chinakritisch. Zu der Klientel gehören Menschen, die mehr Unabhängigkeit vom Festland China wollen. Sie hatten Tsai bei den letzten Präsidentschaftswahlen 2016 als erste Frau ins höchste politische Amt gewählt.
Vor einem Jahr schien noch alles in Ordnung
Tsais erste Auslandsreise als Präsidentin hatte sie im Juni 2016 nicht zufällig nach Panama geführt. Unter Taiwans lateinamerikanischen Verbündeten galt das Land, auch wegen des Panama-Kanals, als der bedeutendste. Bei einer Zeremonie zur Eröffnung der Kanalerweiterung traf Tsai damals unter anderem die Ehefrau von US-Vizepräsident Joe Biden – auf viel direkteren Kontakt mit Washingtons oberster Führung können Taiwans Staatschefs kaum noch hoffen. Die Bilder von Tsai und Panamas Präsident Juan Carlos Varela, die damals entstanden, illustrieren noch viele der heutigen Berichte.
Noch im Januar hatte Panamas Vize-Außenminister Miguel Hincapié bekräftigt, die Beziehungen zu Taiwan seien "exzellent, so wie immer". Das werde auch so bleiben, sagte er, obwohl die Volksrepublik ein wichtiger Investor in Panama sei.
"Getäuscht und hingehalten"
Wie tief die Enttäuschung in Taipehs diplomatischen Zirkeln nun sitzt, ließ heute auch die Erklärung von Tsais Außenminister David Lee erahnen. Er nehme diesen "sehr unfreundlichen Akt" mit "tiefer Verärgerung" zur Kenntnis. Man sei bis zum letzten Moment getäuscht und hingehalten worden. So habe Panama zuletzt keinen neuen Botschafter mehr entsandt, und Taiwans letzter Gesandter sei in Panama nie empfangen worden, um sein Beglaubigungsschreiben zu überreichen.
Völlig klar ist man sich in Taiwan darüber, dass die Abwerbung Teil von Pekings Bemühungen ist, Taiwan und seine chinakritische Regierung international noch mehr zu isolieren - als Abstrafung für Tsais Weigerung, sich in irgendeiner Form zu einem Ein-China-Prinzip zu bekennen. Als sie gewählt wurde, hatte Taiwan 23 diplomatische Verbündete. Nun sind es noch 20.
Auch chinesische Medien, die als offizielles Sprachrohr der Regierung gelten, machen keinen Hehl aus dem Zusammenhang. "Das ist der Preis, den Tsais Regierung bezahlen muss", schrieb die in Peking erscheinende nationalistische Tageszeitung "Global Times". "Taiwan kann der Macht Festlandchinas nichts mehr entgegensetzen. Unabhängigkeit ist eine Sackgasse." Taiwans Bevölkerung werde sich von Tsai und ihrer Partei abwenden, wenn sie erst ihre Wirtschaft oder den Frieden gefährdet sehe.
China könnte Trotzreaktion provozieren
Ob dieses Kalkül aufgehen wird, ist fraglich. Bei vielen Taiwanern könnte Peking eher eine Trotzreaktion hervorrufen. Man erinnert sich hier gut an eine ähnliche diplomatische Eiszeit während der Präsidentschaft von Tsais Parteigenossen Chen Shui-bian (2000-2008). Im Unterschied zu damals agierte Tsai bislang allerdings weniger provokativ, so dass Chinas barsche Politik noch ungerechtfertigter erscheint. Und vor allem tendiert die seitdem nachgewachsene junge Generation viel stärker dazu, ihre Heimat ohnehin als ein von China politisch wie kulturell getrenntes Land zu sehen.
Die Schuld für das Abwerben Panamas gäben viele nicht Tsai und ihrer Partei, so Taiwanexperte Jon Sullivan von der Universität Nottingham. Vielmehr empfänden sie das Anziehen der Daumenschrauben als "Angriff auf Taiwans Würde". So werde die Unterstützung für Taiwans real bestehende Eigenständigkeit noch verstärkt.
"Panama war ein Warnschuss", sagte Sullivan im Interview mit der DW. Taipeh müsse nun fürchten, dass seine verbliebenen fünf Verbündeten in Mittelamerika - Nicaragua, Honduras, Guatemala, El Salvador und Belize - Panama folgen könnten, womöglich gar auf einen Schlag. Wahrscheinlicher sei es aber, dass Peking den Druck weiterhin schrittweise erhöht.
Realistisch gesehen sei es für China kein Problem, nahezu jeden von Taiwans zumeist kleinen und verarmten Verbündeten abzuwerben - zumal Tsai klar gemacht habe, dass sie die noch von ihrem Vor-Vorgänger Chen praktizierte Scheckbuchdiplomatie nicht wieder aufnehmen wolle.
Es geht auch um den Vatikan
Das letzte Kronjuwel unter Taiwans Alliierten sei nun der Vatikan als einziger europäischer Staat, so Sullivan. Peking umwerbe den Vatikan "aggressiv" und sei auch bereit, dem Pontifex maximus Zugeständnisse zu machen. Ein Streitpunkt seit Jahren ist etwa die Frage, ob Rom in China eigenständig Bischöfe ernennen darf.
Welche konkreten Folgen ein theoretisch mögliches Ende sämtlicher diplomatischer Beziehungen für Taipeh hätte, ist unklar. Das taiwanesische Außenministerium unterhält für seine Diplomaten bereits jetzt inoffizielle Vertretungen in dutzenden Ländern, darunter auch in Berlin. Einige von Taiwans Verbündeten bringen zwar jedes Jahr in der UN-Vollversammlung Taiwan zur Sprache, das bleibt aber stets folgenlos. Ihre Bedeutung ist vor allem symbolischer Natur.