Pakistanische Debatte
2. Juli 2008Von ihrem neuen Stützpunkt würden die Taliban Angriffe in Afghanistan ausführen. So bewerten Afghanistan und die USA die aktuelle Situation. Auch in der Millionenstadt Peshawar sollen die Taliban aktiv sein. Afghanistans Präsident Karzai drohte zwischenzeitlich damit, afghanische Soldaten zum Kampf gegen die Taliban über die Grenze zu schicken. Und die US-geführten Koalitionstruppen haben regelmäßig Ziele in Pakistan unter Beschuss genommen. Dabei starben sogar Pakistanis.
Jetzt geht die demokratisch gewählte, pakistanische Regierung von Premier Gillani erstmals militärisch gegen die unruhigen Stammesgebiete vor. Bisher hatte die Februar demokratisch gewählte Regierung noch versprochen, auf Dialog mit den Militanten zu setzen.
Sympathie mit den Taliban
In Pakistan wiederum herrscht Frustration darüber, dass die Armee seit Jahren im Grenzgebiet gegen die eigene Bevölkerung im Einsatz ist und es ihr noch nicht einmal gelungen ist, die Aufständischen unter Kontrolle zu halten. Die neue Regierung versucht daher, in Verhandlungen Abkommen mit den Taliban zu schließen - bislang allerdings ohne klare Linie.
Eine mehr oder weniger offene Sympathie für die Taliban ist weit verbreitet in Pakistan. Für den militanten Widerstand der Paschtunen gegen die NATO-Präsenz in Afghanistan, aber auch gegen die eigene Regierung zeigen viele Verständnis. Für Rustam Shah Mohmand, einen früheren Botschafter Pakistans in Kabul, seien alle Verhandlungen überflüssig, solange die Regierung den "Krieg gegen den Terror" der USA unterstütze. "Es gibt keine Militanz in den Stammesgebieten", sagt er. "Es ist nur eine Reaktion auf die Politik der pakistanischen Regierung."
Unabhängig um jeden Preis
Pakistan will souverän sein, national unabhängig. Deshalb bestehen im Land starke Widerstände gegen Präsident Musharraf, seit er den USA nach dem 11. September Unterstützung versprach. Damit habe er Pakistans nationale Souveränität kompromittiert, meinen viele.
Die Mehrheit der Pakistani sieht den Krieg gegen den Terrorismus und gegen die Taliban nicht als Pakistans Krieg, sondern als von außen aufgezwungen. Hunderte von Pakistani sind im Anti-Terror-Kampf verschwunden, was für zusätzlichen Unmut gesorgt hat. Nur wenige Politiker und Kommentatoren werben aktiv dafür, dass Pakistan auch im eigenen Interesse gegen militanten Extremismus vorgehen müsse. Diejenigen, die für eine härtere Linie gegen die Taliban eintreten, argumentieren meistens pragmatisch, dass Pakistan die Position der USA und der NATO nicht einfach ignorieren könne.
Schwierige Stammesgebiete
Die Frage bleibt, wie der Staat die Stammesgebiete unter seine Kontrolle bringen kann. Sie sind seit der Kolonialzeit autonom, mit eigenem Stammesrecht. Viele treten dafür ein, diesen Sonderstatus abzuschaffen. Ex-Geheimdienstchef Durrani ist skeptisch. Er glaubt nicht, dass die Paschtunen dazu bereit sind, immerhin seien diese Stammesgesellschaften schon rund 500 Jahre alt. "Mit vorgehaltenem Gewehr kann man einen Paschtunen und seine Lebensweise nicht ändern. Dann schon eher mit Sympathie und Zuneigung", meint er.
Dagegen beschreibt der Ex-Minister und ehemalige Senator der regierenden People’s Party, Shafqat Mahmood, die Situation in den Stammesgebieten als katastrophal: Die Alphabetisierungsrate der Frauen sei eine der niedrigsten in ganz Südasien. Es sei entsetzlich, wie die Frauen behandelt würden. Es gäbe keine Infrastruktur. Man könne die Lage dort nicht ignorieren.
Politische Reformen scheinen dabei erst langfristig eine Lösung für die Stammesgebiete zu sein. Kurzfristig bleibt die Gratwanderung Pakistans zwischen Militäraktionen und Diplomatie gegen die Taliban, zwischen nationalen und internationalen Interessen, zwischen den Forderungen der USA und dem Willen der Bürger, sich ihre Politik von keinem mehr vorschreiben zu lassen.