Techno am Trendende
29. Oktober 2013Techno - entweder man liebt ihn oder hasst ihn. Wegen seiner synthetischen Sounds, den sich wiederholenden Rhythmen und dem fehlenden Gesang ist Techno für viele "keine richtige Musik." Für Millionen von Clubgängern allerdings, hat Techno in den 1990ern Tanzmusik auf eine neue Ebene gehoben. Seine anhaltende Popularität in Berlin ist der Grund dafür, dass viele glauben, Techno sei eine deutsche Erfindung. Aber obwohl seine Wurzeln in der Bundesrepublik zu finden sind, ist er eigentlich eine Entwicklung aus Detroit, USA.
Die Erfinder dieser Musik wie Juan Atkins, Kevin Saunderson und Derrick May nennen deutsche Elektropioniere wie Kraftwerk und Tangerine Dream als Einflüsse für ihre Musik, die das Konzept des Diskjockeys an Plattenspielern von der Disko gelöst hat. Anfangs ging es nur um technisches Experimentieren. Mit einem wachsenden Interesse an elektronischer Untergrundmusik in den 1980er Jahren schwappten Techno und ähnliche Musikströmungen mehr und mehr nach West-Berlin über.
Bescheidene Anfänge
"Die Szene in Berlin war damals sehr klein", erinnert sich Alec Empire, Frontmann des Techno-Trios Atari Teenage Riot. "Techno veränderte alles: wie wir Musik verstanden und wie wir sie hörten. Man musste immer neue Ideen entwickeln; die DJs und das Publikum verlangten jedes Wochenende nach neuer Musik."
"Die meisten der Clubs gab es damals nur für ein paar Wochen, allerhöchstens ein paar Monate", sagt Autor und Techno-Experte Tobias Rapp. "Alles war sehr flüchtig damals. In der Szene selbst passierte alles über Mund-zu-Mund-Propaganda. Es war Teil des Erlebnisses, durch die Straßen dieser leeren Stadt zu laufen und nach Partys zu suchen."
Mauerfall und Tanzwut
Es brauchte ein weltbewegendes politisches Ereignis, um Techno von einer Nischenerscheinung zu dem definierenden Sound der 1990er zu machen. "Alles kam mit dem Fall der Berliner Mauer 1989", sagt Musikproduzent Mark Reeder, "auf einmal konnten all diese Kids aus der ehemaligen DDR frei entscheiden, welche Musik sie hören wollten. Und sie wollten Techno hören, etwas Neues und Futuristisches." Geschäftstüchtige Promoter machten sich die Vielzahl der leer stehenden Häuser in den östlichen Vierteln zunutze und zogen überall in der Stadt provisorische Clubs auf. 1989 startete auch die Love Parade, ein Straßenumzug zu lauten Techno-Beats. Im ersten Jahr waren nur 150 Berliner dabei. Mitte der 1990er zog die Open-Air-Party in Berlin bereits eine Million Tanzwütige an.
Aber gerade als es so schien, als würde Techno die Welt regieren, brannte er aus. "Techno ist explodiert. Und dann von einem Tag auf den anderen kollabiert", sagt Tobias Rapp. "Es war ein klassisches Beispiel für eine Subkultur, die erst zum Mainstream wird und dann ausstirbt." Trotz des abnehmenden Schubs als kreative Kraft in den 1990ern, ist der Geist des Techno bis heute nicht aus Berlin wegzudenken. Durch die steigende Beliebtheit der Billigflieger um die Jahrtausendwende ist eine völlig neue Generation von Party-Urlaubern nach Berlin gekommen, um die mittlerweile legendären mehrtägigen Techno-Partys zu erleben.
Techno als Touristenattraktion
Tobias Rapp hat dieses Phänomen erstmals 2004 bemerkt und 2009 in seinem Buch "Lost and Sound: Berlin, Techno und der Easyjetset" beschrieben. "Ich stand in einer Schlange vor einem Club und wartete darauf, hineingelassen zu werden, als mir auffiel, dass niemand um mich herum Deutsch sprach. Menschen aus aller Welt standen dort in der Schlange um mich herum, und ich war der einzige Deutsche."
Mehrere 10.000 Clubgänger kommen jedes Wochenende nach Berlin, um sich unterhalten zu lassen, aber hält der stete Einmarsch dieser Massen internationaler Partygänger eine ganze Szene am Leben? "Ich glaube nicht, dass Techno wirklich tot ist”, sagt Tobias Rapp." Techno ist zwar eine sehr einfache musikalische Form, aber eine mit unendlich vielen Möglichkeiten. Ich glaube, dass die speziellen Umstände in Berlin wie die Billigflieger und die günstigen Hotels ihren Beitrag zur Langlebigkeit der Szene leisten." Lutz Leichsenring von der Clubcommission Berlin, dem Verband der Berliner Club-, Party- und Kulturereignisveranstalter e.V., betont die Bedeutung der elektronischen Musik als das Hauptgeschäft für die Berliner Musikszene. "Mehr als 35% der Menschen, die nach Berlin kommen, kommen der Musik wegen", sagt er. "DJ-Sets, Konzerte und Festivals machen den Großteil der 1500 täglich stattfindenden Events aus."
Düstere Zukunft?
Während Berlin also weiter an dem Erbe der Technoszene verdient, scheinen die kreativen Möglichkeiten lange ausgeschöpft. "Auch wenn immer noch gute elektronische Musik in Berlin produziert wird, würde ich 90% davon nicht als wegweisend bezeichnen", sagt DJ Julian Braun. "Die Clubszene an sich sticht hier heraus. Es ist wichtiger, Musik zu machen, die die Leute berührt, als zwingend etwas Neues zu erschaffen." Auch Mark Reeder würde Techno noch nicht abschreiben, trotzdem stimmt er zu, dass Berlin einen kreativen Schub brauchen könnte, um aus seiner derzeitigen Krise zu kommen. "Ich denke, es wird Zeit, dass sich in der Musik wieder etwas Neues tut, Techno bewegt sich seit zwei Jahrzehnten in den gleichen Gefilden."
Ist Techno also tot? Seine ursprüngliche Form mit den harten Kickdrums, den hoch gepitchten Sirenen und den Filmsamples wohl schon. Was aber weiterhin Bestand hat, ist die Clubkultur, die Techno hervorgebracht hat, sowie die Subgenres, die vom Techno inspiriert sind. Und mit all den Hotels, die beinahe so schnell wie neue Clubs aus dem Boden sprießen, scheint es, als würde die Stadt die neue Generation von Clubgängern geradezu erwarten. "Ich glaube, der basslastige, für Techno typische four-to-the-floor-Beat bleibt weiterhin attraktiv," resümiert Tobias Rapp. "Meine Erfahrung nach 25 Jahren in Berlin ist, dass andere Stile kommen und gehen, aber Techno bleibt."