In den Kinos: "Once Upon a Time in Hollywood"
26. Juli 2019"Wir alle sind vor dem Fernseher aufgewachsen und somit auch mit vielen Morden" heißt es in einer Szene des Films "Once Upon a Time in Hollywood". Vielleicht ist das die Schlüssel-Aussage des neuen Tarantino-Films, zumindest aber eine, die viel sagt über seinen Regisseur und dessen Werk. Vor allem auch über seinen neuen Film.
Tarantinos filmisch geprägtes Leben fing schon mit seiner Geburt an. "Quint Asper" hieß eine Figur in der populären TV-Western-Serie "Gunsmoke" (1955-75/in Deutschland: "Rauchende Colts"). Tarantinos Mutter, bei dessen Geburt 16 Jahre alt und sein 21-jähriger Vater gaben dem Jungen deshalb den Namen Quentin.
Die Film-Publizistik arbeitete sich schon früh an Tarantino ab
"Die Kindheit fiel ins anbrechende Fernsehzeitalter, das der junge Quentin in der South Bay, am Südrand von Los Angeles, erlebte, und sie ging über in eine middle-class-Jugend in Kinos und vorm TV, den Kopf über Comics gebeugt, während Recorder und Radio die Hintergrundmusik lieferten", schrieb Peter Körte in der bereits im Jahr 2000 publizierten deutschen Monografie über den Regisseur.
Auch das sagt viel aus. Dass einem Regisseur, der zum damaligen Zeitpunkt gerade einmal drei Spiel-Filme in eigener Regie inszeniert hatte, schon eine ausführliche Biografie gewidmet ist, war kein Zufall. Tarantino wurde schon mit seinem zweiten Film "Pulp Fiction" Kult. Und hier trifft der Begriff Kult tatsächlich zu. Tarantinos Filme waren beim (zumeist jungen) Publikum beliebt, faszinierten aber auch die Kritiker.
Die Tarantino-Filme: Pure Unterhaltung, aber auch kluges Spiel mit der Pop-Kultur
Das Publikum kam und kommt bei jedem neuen Tarantino-Film auf seine Kosten. Die Filme sind actiongeladen, spannend, oft sehr witzig und voller überraschender Volten, mit einem Wort: mordsmäßig unterhaltsam. Sie sind aber auch anspielungsreich und voller Zitate, sehr ironisch, haben meist einen doppelten Boden, spielen mit der Geschichte des Kinos ebenso wie mit der gesamten Popkultur des 20. Jahrhunderts.
Der Regisseur verarbeitete die TV- und Kinosucht von Kindheit und Jugend
Neben den vielen Fernsehserien wurde das Kino für den jungen Quentin zu einem Zufluchtsort. Und so wie die Western-TV-Serien den kleinen Quentin süchtig machten, kamen später vor allem Kriminalfilme, billige Horrorstreifen, Italo-Western, aber auch viele Martial-Arts-Filme aus Asien hinzu. Quentin Tarantino wurde ein Film-Maniac, ein Besessener des Kinos. Aber eben einer, der daraus produktiv etwas machte. Sein Filmwissen vervollständigte er in Videotheken, den Sprung in die Praxis vollzog er unter anderem bei einem Regie-Workshop bei Robert Redford.
Und er begann zu schreiben, Skripts und Drehbücher, schließlich wurde "Reservoir Dogs" 1992 sein erster Film in eigener Regie, da war er noch keine 30 Jahre alt. Zwei Jahre später folgte der Geniestreich "Pulp Fiction", der junge Regisseur präsentierte sein zweites Werk im Wettbewerb der Filmfestspiele in Cannes, gewann die Goldene Palme und später auch noch einen Drehbuch-Oscar. Der Rest ist Kino-Geschichte.
Auch mit dem eigenen Werk "spielt" der Regisseur facettenreich
Tarantino ist ein geschickter, aber sympathischer Vermarkter seines Werks. Bei Festivals tritt er gerne wie ein großes, albernes Kind auf, lässt sich von Presse und Publikum feiern, macht gerne Mätzchen vor den Kameras. Und er hat es sich angewöhnt, seine Filme durchzunummerieren, auch das gehört zum "Kult": Als "Quentin Tarantinos neunter Film" wird "Once Upon a Time in Hollywood" schon lange in Trailern angekündigt. Nach zehn Filmen werde er als Regisseur aufhören, hat er vor nicht allzu langer Zeit gesagt. Allzu ernst sollte man diese Aussage aber nicht nehmen. Es wäre auch zu schade.
In "Once Upon a Time in Hollywood" präsentiert Tarantino sich nämlich in Bestform. Man hat dem Regisseur trotz aller Meisterschaft im Umgang mit filmischen Mitteln immer mal wieder vorgeworfen, er verschenke seine formale Brillanz an dünne Geschichten. Auf einige Filme trifft das sicher zu, Tarantinos letztes Werk, die Western-Hommage "The Hatefull 8", hat dem längst beerdigten Filmgenre kaum etwas Neues hinzufügen können.
Tarantinos neuer Film erzählt von schwindendem Ruhm in Hollywood
Und auch in "Once Upon a Time in Hollywood" hat man an einigen (wenigen) Stellen das Gefühl, Tarantino verliere sich in seligen Kino-Erinnerungen. Die Geschichte, die der Regisseur erzählt, ist im Grunde eine einfache Film-im-Film-Story: Der alternde und zunehmend erfolglose Western-Star Rick Dalton (Leonardo DiCaprio) steht Ende der 1960er-Jahre vor den Trümmern seiner Karriere. Einzig die Freundschaft mit seinem Stuntman und persönlichem Assistenten Cliff Booth (Brad Pitt/unser Bild oben) macht ihm noch ein wenig Freude. Das Angebot des Produzenten Marvin Schwarz (Al Pacino), in Europa beim gerade populären Italo-Western noch einmal durchzustarten, schlägt er zunächst aus.
Parallel zur Haupterzählung hat Tarantino zwei weitere Stränge montiert, die sich im Laufe der Filmhandlung zunehmend kreuzen: Zum einen die Geschichte der hochschwangeren und später bestialisch ermordeten Ehefrau des Regisseurs Roman Polanski, Sharon Tate (Margot Robbie), die gerade in Hollywood erste Erfolge feiert. Und: Die zwischen Drogenwahn und Allmachtsphantasien herumirrende Hippie-Kommune um den Sektenführer Charles Manson, die für den Mord verantwortlich war.
Das alles führt Tarantino zu einem furiosen filmischen Finale. Wie in seinen besten Filmen gelingen Tarantino in "Once Upon a Time in Hollywood" Szenen, die die Herzen der Tarantino-Fans höher schlagen lassen dürften: Kamera, Musik, Schnitt und Montage, dazu die kluge Regie, viele ironische Drehbucheinfälle, immer wieder kleine witzige und liebevoll ausgeführte Nebengeschichten - Tarantino ist in seinem neuesten Film meist auf der Höhe seiner Kunst.
Tarantino schreibt in "Once Upon a Time in Hollywood" Geschichte um
"Wir alle sind vor dem Fernseher aufgewachsen und somit auch mit vielen Morden", ein Satz aus "One Upon a Time in Hollywood": Das sieht man Tarantinos neuem Film deutlich an. Er steckt voller Zitate und Anspielungen. Doch das ist hier so gekonnt und sorgfältig zusammengefügt, dass "One Upon a Time in Hollywood" beste, pure Kino-Unterhaltung bietet. Und das mit den "Morden", mit denen seine Filmfiguren und eben auch der Regisseur selbst aufgewachsen ist? Das führt er in "One Upon a Time in Hollywood" zu einem sehr überraschenden Ende. Das ist irrwitzig, aber auch brutal. Manche Zuschauer dürfte das auch verschrecken.
"Once Upon a Time in Hollywood" startet am 26. Juli in vielen Ländern in den Kinos, so auch in den USA. In Deutschland kommt Tarantinos neuer Film am 15. August in die Lichtspielhäuser.