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Tatort – Portrait einer Legende

28. November 2010

Keine Serie im deutschen Fernsehen ist erfolgreicher als die Krimiserie "Tatort". Längst ist sie Kult und spiegelt die deutsche Wirklichkeit der vergangenen Jahrzehnte wider. Ein Rückblick.

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ARD/SF DRS/ORF TATORT Motiv aus dem Vorspann (Foto: WDR)
Bild: Repro: WDR

Damals, im Jahre 1970, sah die deutsche TV-Landschaft ganz anders aus als heute. Für Krimiunterhaltung sorgten simpel gestrickte Serien aus den USA, das war auf Dauer öde, und da hatte Redakteur Gunther Witte die Idee seines Lebens. Er erfand eine neue Krimireihe für das Fernsehen mit Episoden aus unterschiedlichen Regionen Deutschlands, das Ganze auf Spielfilmlänge gestreckt, alles unter einem Logo: "Tatort". Das funktioniere bis heute, findet Tatort-Erfinder Witte, denn die Grundkriterien, die er damals formuliert habe, würden in der Regel noch heute berücksichtigt: "Die Regionalität, die führende Rolle des Kommissars und die Forderung, dass der Zuschauer die Geschichten in unserer Realität für möglich halten sollte."

Tatort Ostzone

Szene aus dem NDR-Tatort 'Taxi nach Leipzig' (Foto: NDR)
Taxi nach Leipzig - Hauptkommissars Paul Trimmel (Walter Richter) wird bedrohtBild: NDR

"Taxi nach Leipzig" war am 29. November 1970 der erste "Tatort". Und es war gleich eine Geschichte mit aktuellem Zeitbezug, ein deutsch-deutscher Kriminalfall mit Grenzübertritt, ein spannender TV-Film in beiden deutschen Staaten, während in der Wirklichkeit draußen die Entspannungspolitik Gestalt annahm. 40 Jahre "Tatort", das bedeutet über 100 verschiedene Kommissare im Laufe der Jahre. Während anfangs beim "Tatort" fast immer die Einzelgänger ermittelten, sind es heute durchweg Ermittlerteams. Das ist einerseits näher an der tatsächlichen Polizeiarbeit, andererseits ermöglicht die dramaturgische Spiegelung im Team eine charakterliche Vertiefung der Figuren.

Auch die Fälle sind rauer, härter geworden, aber immer noch wird die Mörderjagd mit aktuellen gesellschaftspolitischen Themen verknüpft, damals wie heute. ARD-Programmdirektor Volker Herres fasst das so zusammen: "40 Jahre 'Tatort' spiegeln 40 Jahre deutsche Geschichte wider: Was hat die Menschen jenseits von Mord und Totschlag bewegt? Wie lebte es sich in deutschen Wohnzimmern, wie veränderten sich die Arbeitsplätze, wie schlugen sich soziale Entwicklungen nieder und was waren die Sorgen und Nöte der Leute?" Das Schöne am "Tatort" sei, dass er sich immer wieder neu erfinde und trotzdem eine zuverlässige Konstante bleibe.

Legendäres "Reifezeugnis"

Szene aus dem NDR-Tatort 'Reifezeugnis' (Foto: NDR)
Reifezeugnis - Sina (Nastassja Kinski) verführt ihren LehrerBild: NDR

Der legendärste "Tatort" ist auch der am häufigsten wiederholte: "Reifezeugnis" von 1977. Die blutjunge Schauspielerin Nastassja Kinski verdreht als minderjährige Nymphe ihrem Lehrer den Kopf, die pikante und verbotene Affäre mündet schließlich in einen Mord. Damals empfanden die Deutschen diese Geschichte als durchaus skandalös. Weniger erotisch, dafür aber voller weiblicher Intuition sind die Kommissarinnen der vor einigen Jahren gestarteten Frauen-Offensive im "Tatort". Mehrere Ermittlerinnen gestalteten den "Tatort" plötzlich gefühlvoller, einfühlsamer, weniger Testosteron-lastig. Die Frauen-Offensive kam vor allem beim weiblichen Publikum bestens an. Die erste weibliche Kommisarin in der Reihe war allerdings Schauspielerin Nicole Heesters, die bereits 1978 für eine Krimi-Revolution sorgte. Es gab launische Kritiken zur ersten Ermittlerin im "Tatort", nur langsam gewöhnte man sich an den weiblichen Kommissar eine heute als chauvinistisch empfundene Reaktion.

Kultobjekt Schimanski

"Tatort"-Kultobjekt Nummer Eins ist bis heute der ungehobelte Kommissar Horst Schimanski. Mit Parka, Schmuddelklamotten und rauem Charme gespielt von Götz George. Schimanski ist in Deutschland legendär und fest verwurzelt mit dem "Tatort" der 80-er Jahre. Mittlerweile sind die Sitten im "Tatort" feiner geworden.

Szene aus dem WDR-Tatort 'Kinder der Hölle' (Foto: WDR)
Götz George als Schimanski in "Kinder der Hölle"Bild: WDR/Michael Böhme

Wie bei kaum einer anderen TV-Reihe wurde der "Tatort"-Vorspann zum Markenzeichen. Da ist die markante Titelmusik des Komponisten Klaus Doldinger. Dazu rennt ein Mann im Fadenkreuz um sein Leben. Horst Lettenmayer, ein unbekannter Kleindarsteller, spielte das damals, nicht ahnend, dass sein Vorspann jahrzehntelang praktisch unverändert laufen würde. Für seinen Auftritt gab es magere 300 DM und kein Wiederholungshonorar.

40 Jahre "Tatort", das sind 40 Jahre deutsche Fernseh-Geschichte. Der TV-Krimi als Zeitdokument – Deutschland als Krimi. Was als Experiment geplant war, ist mit durchschnittlich sechs bis zehn Millionen Zuschauern aus der populären Kultur Deutschlands nicht mehr wegzudenken.

Gemeinsames Krimi-Gucken

"Tatort" sehen ist Kult. In großen Städten treffen sich Liebahber der Serie seit einigen Jahren zum gemeinsamen Krimi-Gucken auf großer Leinwand am Sonntagabend in Kneipen. Es gibt den "Tatort" auf DVD und eine ganz eigene Adaption zum Hören. Medienwissenschaftler Jürgen Trimborn ist der Meinung, dass der "Tatort" gerade auch deshalb zur beliebtesten Krimiserie der Deutschen geworden ist, weil sie sich eben auf authentische Fälle, Schauplätze und Menschen stütze. "Während früher im 'Kommissar' oder bei 'Derrick' in exklusiven Villen in München-Grünwald ermittelt wurde, recherchieren die 'Tatort'-Komissare immer da, wo die Fernsehzuschauer tatsächlich leben, und das in den verschiedensten Gegenden Deutschlands. Dieser Regionalbezug hat zweifellos viel zum Erfolg der Serie beigetragen", so Trimborn. Dadurch sei der "Tatort" zu einer wirklichen Fernsehinstanz geworden, bis heute, trotz der enormen Konkurrenz durch die Privatsender. Für viele Fernsehzuschauer sei der sonntägliche "Tatort" sicherlich ebenso etwas "Heiliges" wie die "Tagesschau" - und damit sei die Serie einer der ganz wenigen deutschen TV-Dauerbrenner über Jahrzehnte hinweg.

Autor: Robert H. Bales

Redaktion: Marlis Schaum / Reinhard Kleber