Tauwetter in Südasien?
14. Juni 2002Die Spannung zwischen Indien und Pakistan hat sich in den vergangenen Tagen deutlich gelegt. Der im Kaschmir-Konflikt vermittelnde US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld begrüßte zu Recht die Fortschritte bei der Entschärfung der Krise. Der Druck der USA zeigte also Wirkung. Der jüngste Anschlag vor dem US-Konsulat in Karatchi unterstreicht jedoch noch einmal: Pakistans Militärmachthaber Pervez Musharraf befindet sich innenpolitisch in einer schwierigen Lage.
Warum soll man sich nicht auch mal über gute Nachrichten freuen? Seit einer Woche gehen die Spannungen zwischen Indien und Pakistan deutlich zurück. Von akuter Kriegs-Gefahr ist nicht mehr die Rede. Indien hat einen Teil der Kriegsflotte abgezogen, einen neuen Botschafter in Pakistan ernannt und lässt die pakistanische Fluggesellschaft PIA wieder über sein Territorium fliegen.
Grund für das Tauwetter: Pakistans Präsident Pervez Musharraf hat versprochen, die Infiltration von Rebellen ins indisch kontrollierte Kaschmir-Tal dauerhaft zu unterbinden. Und zwar auf amerikanischen Druck hin. Die USA, zurzeit die einzige Macht, die dazu in der Lage ist, haben in Südasien de facto eine Vermittler-Rolle übernommen. Wie sonst soll man die Gespräche von Vizeaußenminister Richard Armitage und jetzt Verteidigungsminister Rumsfeld in Delhi und Islamabad bezeichnen?
Bemerkenswert ist das deshalb, weil Indien sich seit Jahr und Tag gegen internationale Vermittlung im Kaschmir-Konflikt gewehrt hat. Die werde Pakistan Vorteile bringen, fürchteten die Inder. Immerhin gibt es eine UN-Resolution, die ein Referendum über den Status Kaschmirs verlangt - Indien war immer dagegen.Seit dem 11. September ist Bewegung in den Kaschmir-Konflikt gekommen. Indien hat erkannt, dass es die Anti-Terror-Politik Washingtons ausnutzen kann, um die Infiltration nach Kaschmir zu stoppen.
Das funktioniert anscheinend. Musharraf wird seinen Versprechen diesmal Taten folgen lassen müssen, entschiedener handeln müssen als bei der letzten Krise im Dezember. Damals hatte es in Pakistan eine Verhaftungswelle unter Islamisten gegeben, die meisten waren aber bald wieder auf freiem Fuß. Diesmal wird Washington ein Auge darauf haben, dass die Demarkations-Linie in Kaschmir undurchlässig bleibt.
Aber es bleiben noch viele Fragen offen nach der amerikanischen Vermittlungs-Tour: Die andauernden Artillerie-Gefechte in Kaschmir sind dabei das geringste Problem, auch wenn die Bevölkerung im Grenzgebiet natürlich sehr darunter leidet. Für die Militärs ist dieser überflüssige Schusswechsel längst zu einem Ritual geworden, bei dem man "Dampf ablässt".
Wichtiger ist die Frage, ob Indien einen neuen Terror-Anschlag wieder mit Kriegs-Drohungen beantworten würde, auch wenn Pakistans Regierung möglicherweise gar keine Schuld daran trüge, auch wenn Musharraf alles unternehmen würde, den Terrorismus zu unterbinden. Hier hat der indische Sicherheitsberater Brajesh Mishra Rumsfeld gegenüber immerhin ein besonnenes Vorgehen zugesagt.
Das größte Problem wird sein, wie Musharraf seine Position im eigenen Land verkaufen kann. Indien scheint seine Forderungen einseitig durchgesetzt zu haben, ohne selbst Zugeständnisse zu machen. Kann das gut gehen? Musharraf hat sich in einem fragwürdigen Referendum als Staatschef bestätigen lassen und innenpolitisch damit in eine schwierige Lage manövriert. Im Herbst sind Parlamentswahlen. Nachgiebigkeit gegenüber Indien wird ihm da keine Stimmen einbringen.
Kurzfristig haben die USA entscheidend dazu beigetragen, die Krise in Südasien zu entschärfen. Aber sie dürfen sich nicht einseitig als Helfer Indiens einspannen lassen. Andererseits wird es auch der indischen Regierung schwer fallen, mit amerikanischen Unterhändlern nur dann über Kaschmir zu reden, wenn es im eigenen Interesse liegt.Hier liegt die große Chance der aktuellen Krise: Die Tür ist wieder ein bisschen weiter geöffnet für eine internationale Lösung des Kaschmir-Konflikts.