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Tektonische Platten wackeln vor großen Beben

29. April 2020

Forscher haben bei zwei der größten jüngeren Erdbeben in Japan und Chile eine interessante Gemeinsamkeit entdeckt: In den Monaten vor dem Beben gab es eine merkwürdige großflächige Bodenbewegung.

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Erdbeben - Messung
Bild: picute-alliance/dpa/P. Steffen

Sie gehören zu den Top 10 der stärksten je gemessenen Erdbeben: Das Tohoku-oki Seebeben von 2011 vor der japanische Küste schlug mit 9,0 auf der Richterskala zu Buche und löste den verheerenden Tsunami aus, bei dem mehr als 15.500 Menschen starben und der auch das Kernkraftwerk Fukushima zerstörte. Es war das viertstärkste Beben der letzten 100 Jahre. Das Seebeben von 2010 vor der Küste der chilenischen Region Maule belegt den sechsten Platz auf dieser Rangliste.

Nun haben Forscher des Geoforschungszentrums Potsdam (GFZ) gemeinsam mit Kollegen aus Chile und den USA bei beiden Beben verblüffende Gemeinsamkeiten festgestellt: Eine merkwürdige mehrfache Umkehr der Bodenbewegung - sozusagen ein extrem langsames "Wackeln" der Kontinentalplatte in den Monaten vor dem Beben.

Japan Überschwemmung Flut
Der gewaltige Tsunami nach dem schweren Beben riss alles mit sich und kostete tausende MenschenlebenBild: picture-alliance/AP Images/Y. Kanno

Die Seismologen um den GFZ-Geophysiker Jonathan Bedford werteten gemeinsam mit einem Team von Geodäten, Geologen und Seismologen die Bewegungen von Bodenstationen des Globalen Satellitennavigationssystems GNSS aus. Diese Bodenstationen dienen grundsätzlich dazu, die Position der Satelliten möglichst präzise zu erfassen, die in einem elliptischen Orbit um die Erde kreisen.

Sind die Satelliten einmal präzise eingemessen, läßt sich der Messvorgang aber auch umdrehen, erklärt Bedford im Gespräch mit der Deutschen Welle. Dann wird das Satellitennetz zum Referenzmaßstab für die Position der Bodenstationen, und das mit einer verblüffenden Genauigkeit von wenigen Millimetern.

In Japan gibt es ein sehr enges Netz von Bodenstationen. Obwohl das Netz in Chile nicht so engmaschig ist, reichte es doch aus, um die Daten zu gewinnen.

Mehr dazu: Warum ist die Tsunami-Warnung nicht bei den Menschen angekommen?

Die ganze Kontinentalplatte "wackelt"

Bedford und seine Kollegen haben sich angeschaut, wie sich die Bodenstationen in Japan und Chile in den fünf Jahren vor den beiden Beben bewegt haben. Dabei ist ihnen aufgefallen, dass sich die Plattenbewegung der Kontinentalplatte, auf der die Stationen stehen, in den letzten fünf Monaten vor dem Beben (im Falle von Japan) und sieben Monaten (im Falle von Chile) mehrmals umgekehrt hat. Die Forscher veröffentlichten ihre Ergebnisse in der Fachzeitschrift Nature.

Infografik Karte GNSS Bodenststionen in Japan und Chile  DE

An beiden Plattengrenzen findet eine Subduktion statt. Das heißt, die ozeanischen Platten schieben sich jeweils unter die kontinentalen Platten. Kurz vor der Küste entsteht dabei ein Graben unter Wasser. Normalerweise wird die Kontinentalplatte von der ozeanischen Platte gedrückt und dadurch vom Graben weg geschoben. Die Geophysiker konnten nun aber feststellen, dass es zunächst eine Umkehr dieser Bewegung in Richtung hin zum Graben gab, dann wieder weg vom Graben und noch einmal hin zum Graben.

Mehr dazu: Vulkane und Erdbeben: Der Pazifische Feuerring

Infografik Plattentektonik DEUTSCH

Die gleiche Bewegung über tausende Kilometer

Dieses Phänomen bezeichnen sie als "Wackeln", wobei dies ein extrem langsames, mehrere Monate dauerndes Wackeln ist. Auch die Größe dieser Bewegung ist nicht besonders auffällig: Sie lag nur zwischen vier und acht Milimetern, berichtet Bedford. Aber es ist dennoch signifikant, weil die relative Geschwindigkeit der Platten selbst nur wenige Zentimeter pro Jahr beträgt. Dafür erstreckte sich das Gebiet, auf dem die Forscher das Phänomen beobachtet haben, über tausende von Kilometern entlang der Plattengrenzen.

"Normalerweise nimmt man an, dass die tiefere Subduktion zwischen großen Erdbeben mit konstanter Geschwindigkeit voranschreitet", sagt Bedford. "Unsere Studie zeigt, dass das eine zu starke Vereinfachung ist. In der Tat ist die Veränderung von Geschwindigkeit und Richtung wahrscheinlich entscheidend für das Verständnis, wie die größten Erdbeben entstehen." 

Japan Otsuchi - Folgen von Erdbeben/Tsunami
Trotz aller Forschung ist eine kurzfristige Erdbebenwarnung bislang nicht möglichBild: Getty Images/AFP/T. Kitamura

Dadurch, dass globale Satellitenortung mittlerweile immer besser geworden ist und erstmals auch präzise Daten der letzten Jahrzehnte vorliegen, haben Erdbebenforscher immer bessere Möglichkeiten, solche Beobachtungen zu machen. "Wir können jetzt die Bewegungen Jahrzehnte zurückverfolgen", sagt Bedford. "Als nächstes möchten wir die Veränderungen fast in Echtzeit beobachten", so der GFZ-Geophysiker.

Nicht geeignet als Frühwarnsystem

Bisher galt: Seismologen können zwar sicher sagen, dass Erdbeben in einer bestimmten Weltregion wahrscheinlich sind. Wann diese Erdbeben aber genau auftreten, hingegen nicht. Zwar ist es oft möglich auf Grundlage der Plattenbewegung zu prognostizieren, dass zum Beispiel ein Jahrhundert nach einem schweren Erdbeben wieder ein schweres Erdbeben in einer Region auftreten wird, aber es können am Ende auch 80, 150 oder 200 Jahre dazwischen liegen. Auch können schwächere Beben Druck aus dem System herausnehmen. Es ist also bisher praktisch unmöglich, den genauen Zeitpunkt eines schweren Bebens vorherzusagen.

Mehr dazu: Kurzfristige Erdbebenwarnung ist nicht möglich

Könnte uns eine beobachtete untypische Plattenbewegung also einen besseren Warnhinweis auf ein unmittelbar bevorstehendes Beben geben?

Eher nicht: "Es wäre nicht klug für einen Geophysiker, eine solche Warnung auszusprechen" , lautet Bedfords ernüchternde Antwort. "Die in der Studie beobachteten Signale müssen nicht unbedingt Vorläufer-Bewegungen eines großen Bebens sein", mahnt er zur Vorsicht - mehr Forschung sei nötig.

Grundsätzlich sollten Menschen in bekannten Erdbebengebieten immer mit Beben rechnen - auch mit schweren. "Die allgemeine Öffentlichkeit sollte zu jeder Zeit vorbereitet sein", so der Erdbebenforscher.