Corona: Tempo oder Sorgfalt
25. Oktober 2020Bundespressekonferenz in Berlin, zu Beginn der Pandemie im Frühjahr: Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat mehrere Experten mitgebracht zu dieser Veranstaltung: Christian Drosten ist dabei, der Virologe von der Berliner Uniklinik Charité, der schon bald bundesweite Berühmtheit erlangen soll. Noch ist keine Rede von der Schließung von Schulen, Kitas und Restaurants, von Kontakt-Beschränkungen, von all dem, was Deutschland wie viele andere Länder auch bald fest im Griff haben wird.
Noch ist das Virus eine Bedrohung aus China, weit weg. Drosten referiert lange über die Bedeutung der Reproduktionszahl, also dem Wert, der aussagt, wie viele andere Menschen Infizierte anstecken.
Spahn ist eine gewisse Ungeduld anzumerken: Was heißt das, was müssen wir machen jetzt? So lautet seine unausgesprochene Frage. Drosten bleibt gelassen: Die Dinge sind komplex, sagt er, eine schnelle Antwort ist nicht möglich, wir müssen lernen. Das ist nicht unbedingt das, was Spahn hören will.
Wissenschaftler als Verkünder von Regierungsbotschaften?
Tempo, Klarheit und Entscheidung einerseits. Sorgfalt, Differenzierung, Nachweisbarkeit andererseits. Dabei ist es geblieben im Verhältnis von Politik und Wissenschaft in der Corona-Krise. Alles in allem ist die Kommunikation zwischen beiden Bereichen aber geglückt. Die täglichen Verlautbarungen über das Infektionsgeschehen aus dem Robert-Koch-Institut in Berlin haben längst den Charakter offizieller Regierungsverlautbarungen angenommen.
In jeder Analyse über den bislang in Deutschland eher sanft verlaufenden Fortgang der Pandemie ist der Hinweis enthalten, die Politik habe den Rat der Wissenschaft angenommen. Und Christian Drosten ist mittlerweile ungewollt zu einer Art Pandemie-Popstar geworden, der in seinem Podcast im Norddeutschen Rundfunk die Seuche und ihre Folgen anschaulich erklärt.
Zeit als entscheidendes Kriterium für Politik
Aber es gibt einen ständigen Konflikt zwischen Politik und Seuchen-Experten. Die Politik muss schnelle Antworten auf drängende Fragen liefern: Brauchen wir Masken? Wie lange wird die Pandemie dauern? Die Aufgabe lautet: Wenn wir einschneidende Maßnahmen ergreifen, müssen wir den Menschen sagen, warum das nötig ist. Und zwar schnell. Das klingt nach Aktionismus, ist es aber nicht. Denn in der Politik ist Zeit ein wichtiges Kriterium.
Wissenschaftler dagegen haben klare Kriterien, ab wann sie welche Aussagen treffen können, der Zeitfaktor spielt dabei fast nie eine Rolle. Am deutlichsten wird dieser Zwiespalt beim Thema Impfstoff: Natürlich wartet die Politik täglich darauf, endlich die erlösende Botschaft setzen zu können, dass es einen Impfstoff gibt. Aber die Wissenschaft bleibt dabei, dass Sorgfalt vor Tempo geht. Nicht ohne Grund spricht gerade ein Populist wie US-Präsident Donald Trump ständig von neuen Impfstoffen, glückbringenden Medikamenten und obskuren Heilmethoden. Es ist das Tempo, auf das er abzielt, der schnelle Erfolg, der ihm im politischen Alltagskampf Vorteile verschaffen kann.
Krisen-Bewältigung ist nie populär
Tatsächlich steht die Politik, zumal in Demokratien, vor anderen Herausforderungen als die Wissenschaft: Sie muss neuen Erkenntnissen, in diesem Fall über die Gefahr des Coronavirus, zur Geltung verhelfen, ihr gesellschaftliche Akzeptanz verleihen.
Sie muss berücksichtigen, welche Gruppen der Gesellschaft das wie trifft, vor allem aber: Ob daraus sich ergebende Maßnahmen auch durchsetzbar sind, ob die politische Rückendeckung da ist. Denn bei unvorhergesehenen Ereignissen wie der Pandemie sind die Folgen für die Allgemeinheit nie populär.
Ähnlichkeiten beim Umgang mit dem Klimaschutz
Es drängt sich eine Parallele zum Klimaschutz auf. Beispielsweise bei einem Hintergrundgespräch dieser Tage mit einem führenden deutschen Energieexperten. Einem Anhänger der Energie-Wende, des Ausbaus also von Wind- und Sonnenstrom in Deutschland, des Abschieds von der Kohle. Der Experte zeigt sich nach den vielen Jahren an der Macht schwer enttäuscht von Angela Merkel: Die Physikerin (also Wissenschaftlerin) hätte so viel mehr erreichen können bei Themen wie dem Ausstieg aus der Kohle-Verstromung, dem Umbau des Verkehrs weg vom Auto. Warum hat sie das nicht getan, wo sie es doch besser wissen müsste? Tja, warum nicht?
Merkels Rolle war in den letzten Jahren eben nicht die der Wissenschaftlerin, sondern die der Regierungschefin. Der Horizont von Machtpolitikern besonders in den Turbo-Zeiten einer sich mehr und mehr digitalisierenden Welt orientiert sich maximal an der nächsten Wahl. Darunter leidet der Kampf gegen den Klimawandel. Die Fakten sind seit Jahrzehnten erdrückend: Der Mensch heizt die Atmosphäre auf, die Folgen sind massiv. Aber vielleicht doch nicht sehr in Deutschland. Wenn die Menschen aber nicht fühlen können, wie sich ihre Umwelt verändert, kann man mit dem Thema Klimaschutz keine Wahl gewinnen. Trotz aller Wichtigkeit des Themas in den Umfragen.
Die Kraft der Bilder in der Krise
Das ist bei der Corona-Krise fundamental anders. Noch sind die Infektionszahlen vielleicht zynisch gesprochen zu gering, als dass in jeder Familie ein dramatischer Fall präsent ist, der die Gefahr der Pandemie verdeutlicht.
Aber die Deutschen haben im Frühjahr die Bilder aus Italien gesehen mit den Schlangen von Toten-Transporten aus den Kliniken. Seitdem steht eine stabile Mehrheit hinter der Regierung und ihrem Corona-Kurs. Der visuelle Eindruck ist es, der zählt.
Wissenschaft darf sich irren, Politik nicht
Grundsätzlich unterschiedlich erscheint mir aber das Ziel von Politik einerseits und Wissenschaft andererseits: Wissenschaftler machen Experimente. Irrtum, Rückkehr und Neuanfang gehören elementar zu ihrer Arbeit. Ist eine Erkenntnis ausgereift (soweit man das sagen kann), kommt es entweder zur Anwendung oder Weiterentwicklung, aber die Wissenschaftler nehmen sich dann oft aus dem Spiel.
Bei der Politik geht es um Durchsetzbarkeit. Immer wieder haben uns die Virologen in der Pandemie an ihrer Arbeitsweise teilhaben lassen: Masken sind schlecht, Masken sind gut. Kontakt-Beschränkungen sind jetzt notwendig, jetzt können wir lockern. Die Politik aber bekommt ein Problem, je sprunghafter sie wird: Die Menschen können ihr nicht mehr folgen. Und anders als die Wissenschaft muss die Politik auch teils irrationale Gefühle und Stimmungen zumindest wahrnehmen.
Wenn Forscher ständig Alarm schlagen
Fatal kann die Verbindung von Wissenschaft und Politik werden, wenn die Erkenntnisse der Forschung kaum oder wenig ins praktische Leben umgesetzt werden: Seit Jahren verkünden die Klimaforscher, es müsse umgehend gehandelt werden: Runter von CO2! Gemessen daran ist wenig passiert. Die Klima-Experten geraten dadurch in die Rolle permanenter Panikmacher. Immer ist es in ihren Verlautbarungen fünf vor zwölf, das wirkt über die Jahre ermüdend.
Dabei geschieht ja viel, unzählige Unternehmen verabschieden sich von den fossilen Energieträgern, aber im Moment jedenfalls noch nicht schnell genug. Das zumindest ist in der Pandemie anders: Was der Forschung jedenfalls in Deutschland beim Thema Corona hilft, ist die gefühlte Präsenz der Bedrohung, die allein schon durch das Maskentragen in Erinnerung gerufen wird. Dazu ist das Virus neu, unbekannt, es gibt (noch) kein Gegenmittel. Und schon ist die große Mehrheit bereit, den Wissenschaftlern und der Politik zu folgen. Bei allen unterschiedlichen Ansätzen.