IS-Terror in Palmyra
19. August 2015Als die Milizen der Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS) im Mai die antike Wüstenstadt Palmyra, eine der bedeutendsten Ruinenstädte der arabischen Welt, eroberten, hatten sie sich auf ein einträgliches Geschäft eingestellt. Zahllose der dort befindlichen Antiquitäten, so ihr Kalkül, würden sie in den internationalen Kunstmarkt einschleusen und durch den Verkauf ein Vermögen machen. Doch die Rechnung, so scheint es jetzt, ging nicht auf. Womöglich auch darum nicht, weil Chaled al-Assad, der langjährige, inzwischen pensionierte Chef-Archäologe von Palmyra, viele der Kunstschätze vor dem Angriff der Dschihadisten in Sicherheit gebracht hatte.
Er selbst wollte seine Heimatstadt allerdings nicht verlassen. "Ich wurde in Palmyra geboren, hier habe ich gelebt, und ich weigere mich, den Ort zu verlassen." So harrte er aus – und fiel bald den Dschihadisten in die Hände. Über einen Monat nahmen sie den Archäologen in die Zange, versuchten herauszufinden, ob, und wenn ja, welche Gegenstände Al-Assad vor ihnen versteckt hatte. Vor allem interessierte sie, wo sie sie finden konnten.
Ob die Terroristen Al-Assad zum Reden bringen konnten, ist bislang noch unbekannt. Sicher ist, dass sie ihn, einen der renommiertesten Archäologen Syriens, nach Kräften leiden ließen: Am Dienstag enthaupteten sie den 81-jährigen in Anwesenheit einer großen Menschenmenge. Seinen Kopf stellten sie Presseberichten zufolge auf einer römischen Säule im Zentrum der Stadt aus.
Enthauptung ist eine mehrdeutige Botschaft
Der arabische Fernsehsender Al-Dschasira weist darauf hin, dass die IS-Milizen entgegen ihrer sonstigen Gewohnheiten kein Video von der Tötung des Archäologen ins Netz stellten. Das Verbrechen, vermutet Al-Dschasira-Kommentator James Denselow, richte sich daher vor allem an die lokale Bevölkerung. Sie solle durch das Video weiter eingeschüchtert werden.
Zugleich aber, vermutet Denselow, setze der IS seinen kulturellen Vernichtungszug fort - was die Dschihadisten selbst als Zeitenwende dazustellen versuchten. Ebenso wie bereits im benachbarten Irak, wo sie die antiken Stätten Ninive und Chorsabad zerstörten, haben sie auch in Syrien zu ihrem Vernichtungsfeldzug angesetzt. Die IS-Milizen, vermutet Al-Dschasira, wollten in ihrem Herrschaftsbereich eine neue Zeitrechnung einführen. "Überbleibsel, Ruinen und geschichtliche Zeugnisse sind Teil der IS-Strategie, der Region, in der sie ihr Kalifat errichtet haben, ein 'Jahr Null' aufzuzwingen."
Doch ihren Angriff richteten die Dschihadisten nicht nur gegen die antiken Stätten selbst, sondern ebenfalls auch gegen jene, die sie in gewisser Weise erst zum Leben erwecken: Historiker, Archäologen, Denkmalpfleger. Denn ihre Arbeit trägt ganz entscheidend dazu bei, das antike Erbe nicht nur zu erhalten, sondern auch zu deuten und einem größeren Publikum verständlich zu machen. Es sind die Altertumsforscher, denen das öffentliche Bewusstsein von der multikulturellen Vergangenheit der Region ganz wesentlich zu verdanken ist. Auch darum, vermutet Al-Dschasira, musste Al-Assad sterben.
Kriegserklärung an säkulare Intellektuelle
Doch Al-Assad musste noch aus einem anderen Grund sterben. Über 40 Jahre lang erforschte er die antiken Stätten seiner Heimatstadt, veröffentlichte mehrere Bücher über sie und trug wesentlich dazu bei, dass Palmyra zum Weltkulturerbe erklärt wurde. Zugleich war er international bestens vernetzt, gehörte zur globalen "Scientific Community", die keine Grenzen kennt. Im gesamten Habitus verkörperte Al-Assad den Typus des akademisch gebildeten Intellektuellen - und damit das exakte Gegenbild jener bärtigen Zeloten, die sich in den Reihen des IS finden. Indem sie ihn enthaupteten, erklären die Dschihadisten auch den säkularen Intellektuellen den Krieg.
Denkbar ist aber auch, dass die Dschihadisten mehr und mehr die Kontrolle über sich selbst verlieren. Darauf deutet ein Video hin, dass der IS Anfang Juli veröffentlichte. Im Amphitheater von Palmyra - vor kurzem wurden dort noch klassische Opern inszeniert - ließ die Terrororganisation 20 syrische Soldaten öffentlich hinrichten. Der Andrang war groß: Die Zuschauer nahmen auf den Tribünen Platz und folgten dem Aufmarsch der 20 Kinder und Jugendlichen, die die Soldaten dann von hinten erschossen. Die Hinrichtungsszene war zugleich eine Art pervertierter Kommunion: Hier zeigten die IS-Milizen, was sie unter dem Eintritt ins Erwachsenenalter verstehen - nämlich die Fähigkeit zum Morden.
Die Brutalität, mit der der IS gegen alle Andersdenkenden vorgeht und alles zerstört, was nicht seiner Auffassung einer "wahren" Auslegung des Islam entspricht, ist eine riskante Strategie. Sie zieht zwar zahlreiche Menschen in ihren Bann. Die hohe Zahl der Flüchtlinge, die in immer größerer Menge auch nach Europa kommen, zeigt aber, dass er erheblich mehr Menschen abschreckt. Am Ende könnte der IS über ein Toten- und Ruinenreich herrschen.