Terror und Skepsis
17. Mai 2007Knapp 19 Millionen Algerier sind bei den algerischen Parlamentswahlen am Donnerstag (17.5.07) aufgerufen, die 389 Sitze der Kammer für die nächsten fünf Jahre zu verteilen. Mehr als 12.000 Kandidaten treten an. Auf den ersten Blick scheint das Spektrum demokratisch gut durchmischt. Es gibt die Parteien der so genannten Präsidenten-Allianz. Zu ihr gehören die Nationale Befreiungsfront (FLN), die National-Demokratische Sammlungsbewegung (RND) und die Bewegung für Gesellschaft und den Frieden (MSP). Und es gibt weitere wichtige Parteien wie die Sammlungsbewegung für Kultur und Demokratie (RCD) und die Nationale Republikanische Allianz (ANR).
Skeptische Wähler
Nicht an der Wahl teilnehmen dürfen allerdings Islamisten in Tradition der so genannten Islamischen Heilsfront (FIS). Diese Partei hatte die Wahlen von 1991 gewonnen, durfte dann aber doch nicht regieren und ging in den Untergrund – eine Entscheidung, die das Land jahrelangen Terror und schätzungsweise 200.000 Todesopfer kostete. Lediglich kleinere, moderat islamische Parteien sind zur Wahl zugelassen, wie die schon jetzt in der Regierung vertretene Bewegung für eine friedliche Gesellschaft oder die Partei Nationale Reform.
Das große Fragezeichen bei den anstehenden Wahlen ist die Beteiligung. Allgemein wird mit einer sehr geringen Beteiligung gerechnet. Vor fünf Jahren hatten sich nur 46,17 Prozent der Wahlberechtigten beteiligt - ein Negativ-Rekord in der Geschichte des Landes. Die Algerier stünden den Wahlen zu Recht ziemlich skeptisch gegenüber, sagen auch unabhängige Beobachter. "Die Algerier wissen, dass es bei Wahlen immer Missbrauch gibt", erklärt Baya Gacimi, Korrespondentin der französischen Wochenzeitung "Express" in Algier. "Es geht nie gerecht zu, also ziehen sie es vor, sich erst gar nicht dafür zu interessieren."
Aufruf zum Boykott
Längst gehen in Algerien Gerüchte um, laut denen schon im Vorfeld entschieden worden sei, welche Partei wie viele Sitze im Parlament erhalten werde. Das glaubt auch Karim Tabou, Generalsekretär der oppositionellen sozialistischen Berber-Partei FFS. Seine Partei hat deswegen auch zum Wahlboykott aufgerufen. "Die Aufteilung nach Quoten ist für die algerischen Parteien die einzige Möglichkeit zu existieren", sagt er. "Sie ziehen es vor, so in den politischen Institutionen zu existieren, wie die Machthaber es ihnen ermöglichen - statt in und durch die Gesellschaft. Die Komponente, die bei diesen Wahlen abwesend ist – das ist die Bevölkerung."
Naturgemäß anders sehen das die Parteien, die Präsident Abdelaziz Bouteflika nahe stehen. Ayachi Daâdouâa, Fraktionsvorsitzender der Nationalen Befreiungsfront (FLN), weist alle Vorwürfe einer schon abgesprochenen Wahlmanipulation kategorisch zurück. "Diejenigen, die die Wahlen boykottieren, sagen solche Dinge doch nur, um ihre eigene Machtlosigkeit zu kompensieren", glaubt er.
Schwere Versöhnung
Überschattet wurde die Wahl im Vorfeld von Terrordrohungen des Maghreb-Ablegers der Al-Kaida. Diese Gruppierung zeichnete auch verantwortlich für die Selbstmordanschläge auf den Amtssitz des Ministerpräsidenten und eine Polizeiwache in den Vororten Algiers Anfang April - Bilanz: 33 Tote.
Trotz einiger Erfolge des Versöhnungsprojekts von Präsident Bouteflika, der seit 2005 mit Amnestie-Regelungen einen Schlussstrich unter Bürgerkrieg und Gewalt zu ziehen versucht, lebt das Land immer noch im Ausnahmezustand. Jegliche politische Öffnung bleibt stark einschränkt. Die Sorge ist groß, dass Terroranschläge wieder stark zunehmen und das Land erneut destabilisieren könnten.
Hinzu kommt die Ungewissheit über den Gesundheitszustand des Präsidenten. Fest steht, dass Bouteflika schwer erkrankt ist. Politische Beobachter wie Baya Gacimi sagen, dies mache die Lage noch zusätzlich unübersichtlich und lähme schon jetzt den politischen Betrieb. "Entscheidungen, die im Kabinett getroffen werden, werden nicht ausgeführt, wenn sie in Abwesenheit des Präsidenten getroffen werden", erklärt er. Es habe schon seit fünf Monaten keine Kabinettssitzung mehr gegeben.
Die eigentlich spannende Frage ist für viele Beobachter denn auch nicht das Wahlergebnis, sondern die Frage, wer nach einem möglichen Tod Bouteflikas dessen Nachfolge antreten wird. Zwei Namen werden derzeit gehandelt. Zum einen der von Regierungschef und FLN-Generalsekretär Abdelaziz Belkhadem, der Bouteflika sehr nahe steht. Zum anderen der Name von Ahmed Ouyahia - er ist Vorsitzender der National-Demokratischen Sammlungsbewegung und gilt Beobachtern als Wunschkandidat der Militärs. Große Hoffnungen oder Visionen verbinden sich allerdings mit keinem der beiden Namen.