"Terrordrohungen haben sich massiv verschärft"
26. August 2021Die Sicherheitslage rund um den Flughafen von Kabul spitzt sich wenige Tage vor dem mutmaßlichen Ende der militärisch gesicherten Evakuierungen erheblich zu. Die deutsche Botschaft in Afghanistan und andere diplomatische Vertretungen warnen vor Terrorgefahr rund um den Airport der afghanischen Hauptstadt. "Aufgrund der Sicherheitsbedrohungen vor den Toren des Flughafens Kabul raten wir US-Bürgern, derzeit nicht zum Flughafen zu reisen und die Tore des Flughafens zu meiden", teilte die US-Botschaft in der Nacht mit - ohne die Bedrohungslage genauer zu benennen.
Trotz der Warnungen stieg der Andrang am Flughafen noch einmal an, wie ein Augenzeuge der Deutschen-Presse Agentur berichtete. Die Menschen stünden an einem Tor "so eng aneinander wie Ziegel einer Mauer", es gehe keinen Meter voran.
Warnungen aus Berlin
Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer sagte in Berlin, die Terrordrohungen hätten sich "massiv verschärft". "Wir befinden uns jetzt in der sicherlich hektischsten, in der gefährlichsten, in der sensibelsten Phase." Der Evakuierungseinsatz der Bundeswehr soll wegen des bevorstehenden Abzugs der US-Streitkräfte vom Flughafen und der wachsenden Terrorgefahr in Kürze enden. Zurzeit fliegt die Bundeswehr aber Kabul noch an.
Kramp-Karrenbauer sagte, man arbeite zwar "fieberhaft" an der weiteren Evakuierung, müsse aber die Gefahr berücksichtigen. "Das ist keine Einzelfrage für die Bundesrepublik Deutschland, das ist im Moment die Einsatzsituation für alle anderen Staaten auch." Man bemühe sich, "ohne Bruch" in die "Phase zwei" nach dem Ende des Bundeswehreinsatzes zu kommen, betonte die Ministerin. In dieser Phase werde es darum gehen, auf diplomatischem Weg zu versuchen, Menschen die Ausreise zu ermöglichen.
Hubschrauber außer Landes gebracht
Die Bundeswehr hat nach eigenen Angaben bisher mehr als 5200 Menschen ausgeflogen. Darunter seien 4200 Afghanen und 505 deutsche Staatsbürger. Zwei Hubschrauber, die für die Evakuierungsaktionen nach Kabul transportiert worden waren, sind wieder ins usbekische Taschkent gebracht worden. Dort befindet sich das Drehkreuz der Bundeswehr für die Evakuierung.
Gleichzeitig schwindet die Zeit für die Evakuierungen. Die britische Regierung forderte Bürgerinnen und Bürger in der Nähe des Flughafens auf, sich an einen sicheren Ort zu begeben und auf weitere Anweisungen zu warten. Auch sie hatte in ihren Reisehinweisen am Mittwoch von einer "weiterhin hohen Bedrohung durch Terroranschläge" gesprochen. Der Staatssekretär im britischen Verteidigungsministerium, James Heappey, warnte in der BBC, es gebe "sehr, sehr glaubhafte" Hinweise von Geheimdiensten, dass ein Anschlag auf die vor dem Flughafen wartende Menschenmenge unmittelbar bevorstehe.
Die Bundeswehr hatte bereits am Dienstag berichtet, das zunehmend potenzielle Selbstmordattentäter der Terrororganisation "Islamischer Staat" in Kabul unterwegs seien. Ähnlich hatte sich US-Präsident Joe Biden geäußert. Praktisch täglich versuche ein örtlicher Ableger des IS, den Flughafen anzugreifen. Die Terrormiliz sei auch ein "erklärter Feind" der militant-islamistischen Taliban, so Biden.
Letzter Bundeswehrflug noch immer offen
Laut einem Bericht des "Spiegel" könnte bereits an diesem Donnerstag der letzte Evakuierungsflug der Bundeswehr starten. Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums sagte der DW: "Das Zeitfenster für mögliche Evakuierungsflüge schließt sich zunehmend. Ich bitte um Verständnis, dass wir uns zum Schutz der Operation zu einem möglichen konkreten Zeitpunkt der Beendigung der Evakuierungsoperation nicht äußern können."
Frankreich will seinen Evakuierungseinsatz in Afghanistan nach den Worten von Premierminister Jean Castex an diesem Freitag beenden. Die niederländische Regierung rechnet damit, dass an diesem Donnerstag die letzte ihrer Maschinen in Kabul abheben wird. Kanada, Dänemark, Belgien und Polen haben ihre Rettungsmission bereits beendet. Auch die Türkei begann damit, ihre Soldaten aus Afghanistan abzuziehen. Damit dürfte auch die Option vom Tisch sein, dass türkische Truppen den internationalen Flughafen in Kabul über das Ende des NATO-Einsatzes hinaus sichern könnten.
Sicheres Geleit auch nach dem 31. August?
Die USA halten weiter an ihrem Truppenabzug bis zum 31. August fest. Unklar ist, ob Menschen auch danach über den Flughafen ausreisen können. Die US-Regierung betonte, dass es keine "Frist" für ihre Bemühungen gebe, ausreisewilligen US-Amerikanern oder Afghanen zu helfen. Die Taliban hätten sich verpflicht, Menschen über den 31. August hinaus sicheres Geleit zu ermöglichen, sagte Außenminister Antony Blinken. "Und wir haben sicherlich Anreize und Druckmittel gegenüber einer zukünftigen afghanischen Regierung, um sicherzustellen, dass dies geschieht", sagte Blinken weiter ohne ins Detail zu gehen.
Auch nach Angaben der Bundesregierung haben die Taliban zugesagt, dass Afghanen "mit gültigen Dokumenten" auch nach dem 31. August das Land verlassen dürfen. Das gab der deutsche Verhandlungsführer Markus Potzel nach Gesprächen mit Schir Mohammed Abbas Staneksai bekannt, dem Vizechef des politischen Büros der Taliban in Katar. Wie belastbar diese Zusicherungen sind, ist offen. Die Bundesregierung will weiterhin deutsche Staatsbürger und schutzbedürftige Afghanen mit zivilen Flügen von Kabul aus außer Landes bringen. Es geht um mehrere Tausend Menschen.
Noch etwa 1500 US-Amerikaner in Afghanistan
Die USA gingen mit Stand Mittwochnachmittag (Ortszeit) davon aus, dass noch maximal 1500 US-Amerikaner in Afghanistan sind. Davon seien 500 bereits mit konkreten Anweisungen zu ihrer baldigen Ausreise versorgt worden, erklärte das Außenministerium. Regierungsmitarbeiter versuchten weiter intensiv, die restlichen etwa 1000 Personen zu kontaktieren. Das Ministerium betonte, dass diese Zahl auch deutlich niedriger sein könnte.
Biden hatte allen ausreisewilligen Amerikanern in Afghanistan die Ausreise aus dem Land versprochen und zugesichert, sie "nach Hause zu bringen". Die US-Regierung hatte zuletzt immer wieder betont, dass sie ihre Mission bis Ende August abschließen könne. Die Sprecherin des Weißen Haues, Jen Psaki, sagte, der Präsident sei aber über Notfallpläne informiert - für den Fall, dass man doch länger bleiben müsse. Biden hatte das Außen- und Verteidigungsministerium angewiesen, diese Alternativpläne zu erarbeiten.
as/jj/uh (dpa, afp, rtr)