Terrormarkt Irak
13. Mai 2005In den vergangenen beiden Wochen gab es im Irak rund 400 Tote bei Gewaltanschlägen. Diese Entwicklung war abzusehen, denn es gelang der amerikanischen Regierung zuvor nicht, den militärischen Sieg in einen politischen Erfolg zu verwandeln. Die Menschen jubelten den Befreiern nicht zu und von Beginn an begleiteten Gewaltakte die Besetzung des Landes. Der letzte Versuch, die politische Lage zu wenden, war die Installation einer irakischen Regierung, die den Auftrag hat, in der irakischen Bevölkerung nachträgliche Legitimation für die Beseitigung des Saddam-Regime herzustellen. Derzeit ist nicht zu sehen, dass dies gelingen wird.
In der Gewaltspirale aus Partisanen, Guerilla, Terroristen
Damit aber entwickelt sich der amerikanisch besetzte Irak zu einem von unterschiedlichen Formen der asymmetrischen Kriegsführung geprägten Gewaltmarkt. Partisanen verteidigen ihr Land gegen die eindringende Macht, die Guerilla kämpft als Avantgarde einer arabischen Emanzipation und Terroristen bomben sich in die weltweite Aufmerksamkeit. So hilfreich diese Differenzierung analytisch ist – in der konkreten irakischen Lage verdichten sich die unterschiedlichen Formen von Gewalt derzeit zu einem komplexen und dynamischen Markt. Und damit sind andere Formen von Rationalität als sie dem staatlichen Gewaltmonopol zugrunde liegen handlungsbestimmend.
In der jetzigen Lage laufen die amerikanischen Truppen deshalb Gefahr, in taktischen Auseinandersetzungen zerrieben zu werden. Mit dem Erreichen des politischen Zwecks – dem Regimewechsel im Irak – gibt es für die amerikanische Regierung nämlich keinen Widerpart mehr, der auf strategischer Ebene widersprechende Zwecke für die Kampfhandlungen formulieren könnte. Was auf den ersten Blick als Vorteil erscheint, erweist sich jedoch in Wahrheit als gravierender Nachteil, denn die taktischen Gefechte haben sich von einem diese Gefechte steuernden Plan entfernt, sozusagen verselbständigt. Zwar weisen sie eine verbindende Logik der Gewalt auf, die darauf hinausläuft, die USA aus dem Land zu vertreiben. Dahinter aber können viele Motive stecken. Vor allem aber bedeutet dieser Prozess, dass die USA den Kampf nicht mehr strategisch planen können, sondern taktisch annehmen müssen – und damit in die Gewaltspirale der Terroristen, Guerilleros und Partisanen hineingezogen werden.
USA als Verteidiger im Feindesland
In der ersten Phase des Krieges waren die USA der Angreifer, jedoch konnte die irakische Armee die Vorteile des Verteidigenden nicht nutzen. Weder aus der Kenntnis des Raumes noch aus der Vorbereitung auf die Verteidigung konnte die irakische Armee Vorteile ziehen. Das hatte man auf amerikanischer Seite auch entsprechend kalkuliert. Verspekuliert aber hatte man sich dabei, aus einem Nachteil des irakischen Regimes eigene Vorteile ziehen zu können, und die Bevölkerung direkt auf die eigene Seite zu ziehen.
Zwar gibt es auch eine Reihe sehr positiver Zeichen für die Anerkennung des Regimewechsels, wie etwa die relativ hohe Wahlbeteiligung. Doch wurde die Bevölkerung nicht in einem Maß gewonnen, das den Kriegsverlauf seither hätte nachhaltig beeinflussen können. Deswegen stehen die amerikanischen Streitkräfte nun auch nicht mehr als Angreifer, sondern als Verteidiger im Irak - in Feindesland im wahrsten Sinn des Wortes. Denn auch wenn die Mehrheit der Bevölkerung eine Regimetransformation nicht mit Gewalt zurückdrehen möchte, müssen die Streitkräfte angesichts der Ubiquität der Gewalt davon ausgehen, dass sie jedem gegenüber auf Gewaltmaßnahmen vorbereitet sein müssen.
Vergleich mit Vietnam-Krieg irreführend
Die USA haben sich insbesondere in einen Terrormarkt ziehen lassen, in eine Gewalt-Auseinandersetzung, die großenteils schon nicht mehr als Krieg bezeichnet werden kann. Hier sind es neue Formen von "Gewalt-Unternehmern", die die USA in einer Weise herausfordern, auf die man nicht militärisch-strategisch, sondern nur durch die Taktik des Gegenterrors antworten kann.
Insofern ist auch der Vergleich mit dem Vietnam-Krieg irreführend, soweit es die mögliche Beendigung der Gewalthandlungen betrifft. Denn im Vietnam-Konflikt gab es einen Gegner, der militär-strategisch kalkulierte und seine Gefechte entsprechend einsetzte. Diese Bedingung ist im Irak nicht erfüllt, denn es gibt eben keine politisch Verantwortlichen für die Gewalttaten. Mit dem Auseinanderfallen von Gewaltanwendung und Verantwortung für den Aufbau der inneren Ordnung werden zudem in zunehmendem Maße die Grundlagen der noch verbliebenen Stabilität des Staates Irak untergraben.
Deshalb könnte es sein, dass ganz entgegen der amerikanischen Kriegsziele die befürchtete Destabilisierung des Irak und seines regionalen Umfeldes voranschreitet. Der schnelle militärische Sieg wäre dann ein politischer Verlust, weil die Möglichkeiten asymmetrischer Kriegsführung nicht ausreichend beachtet wurden. Die in den Kriegsplanungen vernachlässigte Frage nach den Exit-Optionen für die Streitkräfte würden dann unter erheblichem Zeitdruck diskutiert werden müssen.
Professor Dr. Thomas Jäger hält den Lehrstuhl für Internationale Politik und Außenpolitik an der Universität Köln