Test-Hersteller bleiben gelassen
11. August 2021Die Diagnostik-Unternehmen in Deutschland haben im vergangenen Jahr überdurchschnittlich am Geschäft mit Corona-Tests verdient. Allerdings werden die großen Zuwächse von ihrem Branchenverband nicht an die große Glocke gehängt. Stattdessen wird gern auf die deutlichen Umsatzeinbußen bei der Routinediagnostik verwiesen.
Im letzten normalen Jahr vor der Pandemie 2019 lag der Anteil der Infektions-Diagnostik, die alle Erkrankungen betreffen, die von Viren, Bakterien oder Parasiten ausgelöst werden, bei rund zehn Prozent des gesamten Branchenumsatzes, erklärte Martin Walger im Interview mit dem Deutschlandfunk. "Im vergangenen Jahr ist das aufgrund der Corona-Pandemie auf über 30 Prozent angestiegen, da ist der Bedarf wirklich explodiert", sagte der Geschäftsführer des Verbands der Diagnostica-Industrie (VDGH) - eine glatte Verdreifachung.
Kein Einbruch des Gesamtgeschäfts ab Oktober erwartet
Wenn ab Oktober die Bürger für ihre Tests selbst zahlen sollen, dann werde das Geschäft mit Antigen-Tests sicher wieder auf ein Normalmaß zurückgehen, so Walger. Aber dann bliebe immer noch "der große Bereich, in dem die Labor-Diagnostik unterwegs ist, also die Krebs-Diagnostik, die Diagnostik für chronisch Kranke: Diabetes, Herzerkrankungen, für das Screening von Neugeborenen, für die Blutblid-Bestimmung, für Elektrolyte und so weiter und so fort. Das ist unser Hauptgeschäft."
Der VDGH vertritt die Interessen deutscher Unternehmen, die Instrumente, Reagenzien, Testsysteme und Verbrauchsmaterialien für die Diagnose menschlicher Krankheiten produzieren. Die Bandbreite seiner etwa 100 Mitglieder reicht von den deutschen Töchtern von Traditionsfirmen wie dem Weltmarktführer Roche aus der Schweiz oder der globalen Nummer Zwei aus den USA, Abbott, bis zum Rostocker Unternehmen Centogene, das vor gerade einmal 15 Jahren gegründet wurde.
Corona-Sonderkonjunktur, Rückgänge im bisherigen Geschäft
Gegenüber den riesigen Zuwächsen in der Infektionsdiagnostik waren 2020 die Umsätze in der Routinediagnostik - je nach Unternehmen - um zwei bis 16 Prozent im Vergleich zum Vorjahr zurück gegangen. Unterm Strich sei der Gesamtmarkt ohne das Geschäft mit Corona-Diagnostik sogar um 3,3 Prozent zurück gegangen, hatte der VDGH-Vorstandsvorsitzende Ulrich Schmid bei der Jahrespressekonferenz im April 2021 vorgerechnet. Nach Angaben des Verbands hatten 2020 mehr als 70 der VDGH-Mitgliedsunternehmen "corona-assoziierte Produkte" im Angebot und insgesamt zu einem dicken Branchenplus von 25,9 Prozent beigetragen. Diese "Rekordmarke" bedeute, so Schmid, dass die Diagnostik-Industrie aus ihrer Nische ins Blickfeld geraten sei und sich von "einer Branche für Insider zu einem Player mit Systemrelevanz" entwickelt hat.
Insgesamt legte das Marktvolumen der Branche 2020 im Vergleich zum Vorjahr um mehr als 500 Millionen Euro auf rund 2,75 Milliarden Euro zu.
Bürgertests kosten Steuerzahler bis jetzt mehr als drei Milliarden Euro
Wie die Zahlen für 2021 aussehen, lässt sich bisher nur abschätzen. Doch beim Blick auf die Kosten für die kostenlosen Bürgertests werden die Dimensionen deutlich: Bisher kostete die Antigen-Testkampagne in diesem Jahr den Bund offenbar mehr als drei Milliarden Euro, wie die Rheinische Post Anfang August nach einer Anfrage beim Bundesgesundheitsministerium erfuhr.
Die Zahlen stützen sich auf Daten des Bundesamts für Soziale Sicherung (BAS). Danach musste der Bund 2020 bislang für Leistungen der Labordiagnostik in Höhe von 782 Millionen Euro und weitere 1,084 Milliarden Euro Sachkosten für die Antigen-Schnelltests sowie weitere Leistungen wie die Abstrichnahmen geradestehen.
Kombitest für Grippe und Corona
Dass die Branche in absehbarer Zeit unter die Räder kommt, ist auch bei einem deutlichen Rückgang des Geschäfts mit den bisher kostenlosen Bürgertests eher unwahrscheinlich. Denn schon jetzt arbeiten Diagnostik-Unternehmen an Test-Verfahren für die kommende Erkältungssaison, die gleichzeitig Grippe-Viren und den SARS-Cov-2-Erreger nachweisen könnten.
Daneben läuft auch das kostenlose Testen für alle unter 18 und Menschen, die nicht geimpft werden können, weiter. Und mit einem von Martin Walger erwarteten Preis für den PCR-Schnelltest von 8 bis 10 Euro werden wohl auch im Herbst viele Menschen bereit sein, für die Tests zu zahlen. Außerdem werde sich auch voraussichtlich das normale Diagnosegeschäft wieder erholen, unterstreicht der VDGH-Geschäftsführer. Dann nämlich, wenn viele Menschen, die in der Pandemie auf Früherkennungs-Maßnahmen verzichten haben, das Geschäft mit der Routine-Diagnostik ankurbeln. "Das heißt: Wir werden ein Stück in eine neue Normalität kommen, das ist meine Prognose."