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KunstIsrael

Wie Israels Kunstszene an die Geiseln der Hamas erinnert

10. November 2023

Israel bangt um das Schicksal der mehr als 230 von der Hamas entführten Geiseln. Und alle hoffen, dass sie lebend zu ihren Familien zurückkehren. In Kunstaktionen bleiben sie präsent.

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Eine Hand hält das Papier, auf dem die andere Hand mit einem Pinsel das Porträt eines älteren Mannes malt. Daneben ist eine weitere gemalte Person erkennbar.
Sie sind nicht vergessen: Künstlerinnen und Künstler porträtieren die Geiseln der HamasBild: Bernard Dichek

"Man kennt ihre Gesichter mittlerweile auf der ganzen Welt", sagt Yifat Gurion. Eigentlich ist sie Kuratorin der alljährlichen Kunstmesse "Fresh Paint Art" in Tel Aviv, jetzt setzt sie all ihre Energie für die Geiseln ein. "Für uns geht es darum, die Erinnerung an sie lebendig zu halten." 

Mit dieser Haltung ist Gurion nicht allein. Die Kulturszene antwortet mit Kunstaktionen auf das Grauen, das Israel in Atem hält: Eine mit feinem Geschirr, Weingläsern und Kerzen geschmückte lange Tafel lädt ein zum traditionellen Shabbat-Mahl. Normalerweise versammeln sich hier die Familienmitglieder - doch die Stühle auf dem Platz vor dem Tel Aviver Kunstmuseum bleiben leer. Sie sind für die entführten Geiseln reserviert. Es ist eine Geste, die ausdrücken soll: Sie sind noch unter uns.  

Eine andere Kunstaktion auf dem Safra Platz in Jerusalem: Auch hier sieht es so aus, als ob die Menschen eigentlich gleich wiederkommen müssten. Mehr als 230 Betten stehen dort, Pyjamas warten auf ihre Besitzer, auf den Nachttischen liegen Bilderbücher. "Empty Beds" heißt die Installation, die von der Organisation "Bring Them Home Now" (Bringt sie nach Hause) in Zusammenarbeit mit Kunststudierenden aufgebaut wurde. Gemeinsam sang man dazu die Nationalhymne "Hatikvah" - Hoffnung.   

Eine Botschaft an die Welt  

Das Aquarellbild eines jungen Mannes neben seinem Foto, worauf zu lesen ist "Bring him home now!", auf einer Staffelei.
An "This Is Us" beteiligen sich rund 150 Künstler Bild: Bernard Dichek

Israel ist ein sehr kleines Land. Fast jeder kennt eine Person, die betroffen ist von dem schrecklichen Massaker, bei dem Hamas-Terroristen am 7. Oktober 1400 israelische Menschen ermordeten, oder eine, deren Familienangehörige jetzt irgendwo im Gazastreifen gefangen gehalten werden. "This Is Us" - "Das sind wir" lautet so folgerichtig auch der Name des Kunstprojekts, bei dem die Gesichter der Verschleppten mit Farbe auf Leinwand gebannt wurden.

"Es geht nicht darum, einen Ort des Gedenkens zu schaffen, sondern ihr Schicksal wieder ins Bewusstsein zu rufen", sagt Yifat Gurion. Das Kunstprojekt, das sie mit initiiert hat, ist ihr eine Herzensangelegenheit, die sie über die Grenzen Israels hinaus tragen möchte. Denn allzu oft werde dort nur noch über das Leid im Gazastreifen gesprochen: "Ich fühle wirklich mit den vielen unschuldigen Menschen dort", betont Yifat Gurion. "Aber die Welt scheint zu vergessen, dass es Israel nicht um Vergeltung geht. Es geht darum, mehr als 200 Geiseln zu befreien. Meiner Ansicht nach kann das nicht oft genug gesagt werden."  

Den Geiseln ganz nah

Künstlerinnen und Künstler aus ganz Israel und sogar einige aus dem Ausland haben sich an dem Projekt beteiligt und vor dem Kunstmuseum nach Fotovorlagen Gemälde der Geiseln geschaffen. "Sie berühren uns mehr als Fotos", glaubt Gurion. "Sie haben die Kraft, die Herzen der Menschen zu erreichen." 

Eine Frau mal ein Mädchen von einem Foto ab.
Hodaya Gilad fühlt sich ihrem Fotomodell verbunden Bild: Bernard Dichek

Morgens und nachmittags arbeiteten rund 150 Künstler in zwei Schichten. Konzentriert und fast meditativ, als ob sie Verbindung aufnehmen würden zu ihren Modellen. Der eine malte einen Namensvetter, eine andere ein Geburtstagskind. Sie habe beim Porträtieren der 18-jährigen Liri Albab die ganze Zeit überlegt, was diese gerade durchmache - und so das Gefühl gehabt, sie persönlich zu kennen, erzählte die Künstlerin Hodaya Gilad in einem Interview gegenüber der Zeitung "The Times of Israel".  

Und so ging es nicht nur den Malerinnen und Malern, sondern auch den Passantinnen und Passanten. Es kam zu bewegenden Momenten, wenn Menschen Angehörige oder Freunde auf den Bildern wieder erkannten. Der Platz vor dem Museum wurde von der Stadtverwaltung mittlerweile umbenannt: Er heißt jetzt "Platz der Geiseln und Vermissten".

Gemälde sollen ein Geschenk sein   

Yifat Gurion im Porträt.
Yifat Gurion hat das Kunstprojekt in Israel mit ins Leben gerufen Bild: Bernard Dichek

"Wir haben immer betont, dass das keine Ausstellung ist", sagt Yifat Gurion. "Das wäre aus unserer Sicht nicht der richtige Umgang mit den Porträts dieser Menschen. Wir wollen sie den Geiseln überreichen, wenn sie wieder nach Hause kommen - als Geschenk." 

"This Is Us" soll ein Zeichen der Hoffnung sein. Mittlerweile hebt Gurion die Gemälde bei sich zu Hause auf. Und sie stellt die Porträts ins Netz: "Social Media ist ein sehr mächtiges Werkzeug, und wenn solche Aktionen publik werden, erfährt die Welt davon", ist sie überzeugt.  

"Wir haben keine Wahl" 

Woher nimmt Yifat Gurion die Hoffnung, weiter an die Rückkehr der Geiseln zu glauben? "Die Zeiten gerade sind dunkel, und es ist schwer, nicht zu verzweifeln. Es ist schwer zu hoffen, vielleicht sogar irrational", sagt Gurion. "Aber wir haben doch keine andere Wahl, als stark zu sein."  

Sie sei mit den Geschichten von all diesen Pionieren aufgewachsen, die aus Deutschland, Russland und so vielen anderen Ländern gekommen waren. "Sie hatten auch keine Wahl, sonst wären sie im Holocaust umgekommen. Sie kamen her, ich bin hier geboren und aufgewachsen. Das ist jetzt meine Heimat, die Heimat meiner Kinder, meiner Freunde. Und wenn man sich in der Welt umguckt, und all den Hass gegen Juden und Israel sieht - dann wird klar, dass wir keinen anderen Platz zum Leben haben."  

Gurion hofft, dass es irgendwann Frieden geben wird, ein Ende der Spirale der Gewalt. Doch solange bleibt ihr im Moment nur die Hoffnung - und die unermüdliche Energie, mit der sie und andere die Geiseln zumindest symbolisch nach Hause bringen. 

Suzanne Cords Weltenbummlerin mit einem Herz für die Kultur