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Thomas-Cook-Pleite: "Brexit war nur ein Sargnagel"

23. September 2019

Der älteste Reiseanbieter Thomas Cook steht vor dem Aus. Tourismusexperte Torsten Kirstges erklärt im DW-Interview, wie es dazu kam und wie sich die Insolvenz auf die Branche auswirkt.

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Deutschland Flughafen Düsseldorf | Flugzeuge von Condor & Thomas Cook
Bild: picture-alliance/dpa/R. Weihrauch

DW: Mit dem britischen Reiseanbieter Thomas Cook hat es einen der Großen der Branche getroffen - mehr als 20.000 Mitarbeiter rund zehn Milliarden Euro Jahresumsatz. Wie konnte es zur Insolvenz kommen?

Torsten Kirstges: Das hat eine lange Vorgeschichte. Thomas Cook hat bereits um die Jahrtausendwende enorme wirtschaftliche Probleme gehabt und war damals schon kurz vor der Insolvenz. Mit drastischen Maßnahmen wurde der Konzern dann gerettet, hat aber weiterhin eine enorme Schuldenlast getragen, die er nicht abbauen konnte. Als dann Liquiditätsengpässe, Schwankungen im Geschäft, Sondereinflüsse wie die Unsicherheit wegen des Brexit etc. dazu kamen, konnten die nicht mehr abgefedert werden.

Gibt es einen Trend, weg von Pauschaltourismus hin zu mehr Individualtourismus? Und ist das ein weiterer Grund für die Pleite von Thomas Cook?

Nein, ich sehe so einen Trend nicht. Zumindest in Deutschland ist der Anteil der Pauschalurlauber an allen Urlaubern eigentlich unverändert. Ungefähr die Hälfte der Urlauber machen Pauschalreisen, die andere Hälfte organisieren ihre Reise selber. Unter Pauschalreisen fallen dabei auch Baustein-Lösungen, individualisierte Pauschalreise, also alle Reisen, die vom Veranstalter unterstützt durchgeführt werden. Anbieter von  Pauschalreisen müssen natürlich auch mit der Zeit gehen. Heute wird von den Kunden mehr Flexibilität und Individualisierung gewünscht. Das ist für ein Großunternehmen vielleicht schwieriger umzusetzen, als für einen Mittelständler, der per se ein bisschen flexibler aufgestellt ist.

Torsten Kirstges
Torsten Kirstges glaubt, dass trotz der Pleite von Thomas Cook Pauschalreisen nicht vor dem Ende stehenBild: privat

Die Anbieter unterbieten sich sowohl bei Flügen als auch bei Übernachtungen mit Dumpingpreisen. Welche Rolle spielt der Preiskampf in der Branche für das Ende von Thomas Cook?

Die Margen sind schon seit Jahren unter Druck. Die Branche wirbt gerne mit dem Preis, weniger mit der Qualität oder anderen Stärken der Pauschalreise. Die Margen der einzelnen Veranstalter sind niedrig. Und sie sind umso geringer, je austauschbarer das Produkt ist. Wenn ich also vornehmlich klassische Bade-Pauschalreisen anbiete, d.h. Flug, Transfer, Hotel und Verpflegung, dann bin ich sehr austauschbar und deswegen auch sehr gut vergleichbar. Das führt dazu, dass der Preisdruck und damit auch der Margendruck ohne Zweifel sehr stark ist.

Gibt es eigentlich Erkenntnisse darüber, welche Art von Tourismus schädlicher für das Klima ist? Individual oder pauschal?

Das kann man an der Organisationsform nicht festmachen. Ausschlaggebend ist die Art der Beförderung. Am schädlichsten für das Klima sind natürlich Flugreisen. Ob ich die auf eigene Faust oder über einen Veranstalter buche, ist für die Klimabilanz unerheblich. Die Klimadiskussion hat sicherlich nicht dazu geführt, dass ein Unternehmen wie Thomas Cook in Schwierigkeiten gerät.

150.000 Briten und andere sind gestrandet und müssen zurückgeholt werden. Wer kommt für die ganzen Kosten auf?

Es gibt eine verpflichtende Insolvenz-Absicherung. Das ist eine der großen Stärken der Pauschalreise und eine der großen Vorteile der EU, die die Briten ja verlassen wollen. Alle Veranstalter müssen durch eine Versicherung Sorge dafür tragen, dass beispielsweise in einem Insolvenz-Fall des Reiseanbieters die Kundengelder abgesichert sind. Damit bekommen Kunden, die noch nicht gereist sind, ihr Geld zurück und Kunden, die sich schon auf der Reise befinden, werden zurückbefördert. Besonders ist natürlich die enorme Größenordnung. Mit einer solchen Größenordnung hatte die Branche bisher bei Insolvenzen noch nicht zu kämpfen. Da kann es durchaus sein, dass die abgedeckte Versicherungssumme nicht ausreicht. Das wird natürlich nochmal eine sehr spannende Geschichte.

Wir wirkt sich die Pleite von Thomas Cook auf den Rest der Branche aus?

Selbst wenn in Deutschland Thomas Cook-Marken vorerst überleben, wird kaum ein Reisebüro und kaum ein Kunde Thomas Cook-Marken, wie Neckermann oder Bucher buchen. Da die Reisebüros nicht über die Insolvenz-Absicherung abgesichert sind, müssen sie befürchten, ihre Provisionen nicht mehr zu bekommen. Es wird also auf jeden Fall Auswirkungen auf noch bestehende Marken des Konzerns haben. Dadurch werden sie wahrscheinlich früher oder später ebenfalls in die Insolvenz gehen. Die anderen Reiseanbieter sind die lachenden Dritten. Natürlich wird der Kunde generell nicht weniger Urlaub machen. Sie werden sich aber bei anderen Veranstaltern umschauen. Davon wird nicht nur TUI, einer der größten Konkurrenten von Thomas Cook, sondern sicherlich auch einige Mittelständler profitieren.

Werden mit weniger Anbietern die Reisen teurer?

Das muss nicht sein. Es gibt einen starken Marktdruck unter den Veranstaltern - besonders bei austauschbaren, wenig individuellen Reisen. Sollte aber tatsächlich die Condor noch ausfallen - was heute noch nicht der Fall ist - könnte Flugkapazität knapp werden. Das würde natürlich zu kurzfristigen Preissteigerungen bei Flügen führen. Aber wir haben auch gesehen, als Air Berlin vom Markt verschwunden ist, dass sich das sehr schnell durch andere Lösungen auffangen ließ.

Inwiefern hat die Diskussion um den Brexit die Pleite von Thomas Cook befeuert?

Ich würde den Brexit nicht als Grund, sondern eher als letzten Sargnagel bezeichnen. Die Unsicherheit im britischen Reisemarkt kommt auch durch die unsicheren Wechselkurse. Das britische Pfund ist ja schwach geworden. Insgesamt hat die größere Unsicherheit auch die Nachfrage auf dem Reisemarkt ein bisschen gedrückt. Hinzu kommt: Nach der Sommersaison müssen die Veranstalter ihre Leistungsträger bezahlen. In dieser Zeit kommen die ganzen Rechnungen und gleichzeitig gibt es relativ wenig neue Buchungen. Denn das Herbst- und Wintergeschäft ist nicht ganz so groß wie das Sommergeschäft. Dadurch schlägt so ein strukturelles Defizit, das über Jahre aufgebaut wurde, jetzt plötzlich sehr stark durch. Die Unsicherheit wegen Brexit oder wegen Wechselkursschwankungen wird dann zum letzten Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt.

Torsten Kirstges ist Professor für Tourismuswirtschaft an der Jade-Hochschule in Wilhelmshaven.

Andreas Becker
Andreas Becker Wirtschaftsredakteur mit Blick auf Welthandel, Geldpolitik, Globalisierung und Verteilungsfragen.