Tiger schlägt Löwe
7. Mai 2014Die Wirtschaft in Afrika südlich der Sahara boomt. Für 2014 prognostiziert das Weltwirtschaftsforum dem Kontinent ein Wachstum von mehr als fünf Prozent; viele Staaten wie Nigeria und Ghana liegen noch weit darüber. In vielen Großstädten hat sich eine wohlhabende, konsumorientierte Oberschicht herausgebildet. Gläserne Bürotürme schießen aus den Böden. Längst hat sich der Begriff der "afrikanischen Löwenstaaten" etabliert - in Anlehnung an asiatische Tigerstaaten wie Taiwan, Südkorea oder Singapur, die sich in nur wenigen Jahrzehnten von Entwicklungsländern zu Industriestaaten mauserten.
Doch der Vergleich hinkt. "Das Wachstum in Afrika in den vergangenen zehn, fünfzehn Jahren hat keinerlei Gemeinsamkeiten mit der Entwicklung in Asien", sagt David Owiro vom Institute für Economic Affairs in Kenias Hauptstadt Nairobi. Denn der Erfolg der Tigerstaaten, die sich zu einem großen Teil nie unter kolonialer Herrschaft befunden haben, sei nicht zuletzt auf eine strikte staatliche Wirtschaftspolitik zurückzuführen. So wurden etwa in Südkorea große Staatskonzerne geschaffen, die eine marktbeherrschende Stellung einnahmen. In Europa sind solche zentralistischen Gebilde verpönt. In ihrer Entwicklungspolitik für Afrika unterstützen westliche Staaten und Organisationen statt dessen Demokratisierung, gute Regierungsführung - und freie Marktwirtschaft.
Wachstum fußt auf Rohstoffexporten
Bei vielen der afrikanischen Löwen beruht das Wirtschaftswachstum weitgehend auf Bodenschätzen wie Öl oder seltenen Erden. Öl macht 95 Prozent der nigerianischen Exporte aus und die Gewinne sind beachtlich, bei der breiten Bevölkerung kommt davon aber wenig an: Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf ist 15 mal niedriger als in Deutschland. Für einen nachhaltigen wirtschaftlichen Aufschwung in Tigerstaat-Manier bedarf es jedoch einer soliden Mittelschicht, denn nur sie bringt Kaufkraft und gesellschaftliche Stabilität - und die ist in den afrikanischen Löwenstaaten noch zu schwach ausgeprägt. "Wenn Afrika es nicht schafft vom reinen Rohstoffexport wegzukommen, dann wird diese Mittelschicht einfach fehlen, die in Europa sehr langsam, in Asien schon schneller aufgebaut wurde und ohne die man in Afrika langfristig auch nicht auskommen wird", sagt Judith Helfmann-Hundack vom Afrika-Verein der deutschen Wirtschaft.
"Das Wachstum muss sich auf die Beschäftigung auswirken", sagt auch Wirtschaftsexperte Owiro aus Kenia. Dafür sei eine stärkere Industrialisierung notwendig: Statt Baumwolle zu exportieren und Stoffe zu importieren, könnten Textilien direkt in Afrika gefertigt werden. Statt Ananassaft aus Brasilien einzuführen, könnten eigene Saftfabriken gebaut werden. Dann gäbe es auch mehr Jobs.
Kein Vertrauen in die heimische Wirtschaft
Viele Afrikaner, die eine gute Ausbildung genossen haben, führt ihre Karriere nach Europa oder in die USA - Chancen auf einen guten Job in ihrer Heimat sehen sie kaum. Die Eliten haben wenig Vertrauen in ihre eigene Heimat. "Wer Geld hat, der sichert es auf Bankkonten in Europa oder Nordamerika, statt es in sein eigenes Land zu investieren", sagt der CDU-Bundestagsabgeordnete Volkmar Klein, der sich in verschiedenen Entwicklungsinitiativen engagiert. In Asien hingegen sei das Vertrauen in die eigenen Strukturen viel stärker verankert.
Der deutsche Schriftsteller Ilija Trojanow ist in Kenia aufgewachsen und hat sich auch in seinen Werken intensiv mit Afrika beschäftigt. "Das Besondere am asiatischen Modell ist, dass viele Intellektuelle mit einem großen Selbstbewusstsein Momente der eigenen Traditionen wiederbeleben und sich gleichzeitig am Instrumentarium westlichen Denkens und Handelns bedienen", glaubt er. Diese Kombination erlaube es, konkurrenzfähig zu sein und eine eigene Identität zu entwickeln. "Das fehlt bei den afrikanischen Eliten fast völlig. Sie sind im Geiste viel mehr kolonialisiert."
Von einem Erfolg wie dem der asiatischen Tiger seinen die afrikanischen Löwen noch weit entfernt, so die Einschätzung Trojanows. Auch Judith Helfmann-Hundack vom Afrika-Verein bremst die Euphorie, die das Weltwirtschaftsforum Afrika in Nigerias Hauptstadt Abuja in diesen Tagen versprüht: "In Europa dauerte die Entwicklung zum Industriestaat einhundert Jahre, in Asien wenige Jahrzehnte. Von Afrika werden jetzt ganz andere Sprünge verlangt."