Till Brönner als Fotograf
3. Juli 2019DW: Herr Brönner, Sie stammen zwar vom Niederrhein, haben aber auch biografische Bezüge zum Starlight Express in Bochum. Inwieweit hat Ihre fotografische Reise durch das Ruhrgebiet bei Ihnen auch eigene Erinnerungen aus Ihrer Jugend an Orte, an Landschaften geweckt?
Till Brönner: Ich habe mir das Starlight Express Theater tatsächlich noch mal angeguckt - vor dem Hintergrund, dass ich vor vielen, vielen Jahren, als es als Musiktheater gegründet wurde, als 19-Jähriger dort als Aushilfe gespielt habe. Damals habe ich mir quasi mein Zubrot damit verdient.
Der Kreis der Musiker, die damals aus Köln und der Umgebung rekrutiert wurden (dort gibt es eine große Jazzszene, Anmerk. d. Red.), um bei diesem Musical zu spielen, der kennt sich bis heute noch sehr gut. Insofern war mein Besuch mit der Kamera bei Starlight Express so was wie ein kleines Nachhausekommen.
Wie war die Arbeit damals als Newcomer hinter den Kulissen?
Es war wirklich spannend. Damals gab es sehr viele Musiker hinter der Bühne, die dann abends, wenn die Vorstellung zu Ende war, auf die Bühne kamen und sich dem Publikum präsentiert haben, um zu zeigen, dass sie hier noch richtig Handarbeit am Instrument verrichten. Und dass das viele Gewerke sind, die da zusammen arbeiten. Heute sind das viel weniger Musiker.
Ihre Fotografien vom "Melting Pott", wie Ihre Ausstellung ja heißt, zeigen das Ruhrgebiet nicht nur als Industriegebiet, sondern zum Teil in wildromantischen Landschaftsaufnahmen. Sie geben ihm sowas wie "einen Glanz". Haben Sie da selbst auf Ihrer Rundreise richtige Schätze entdeckt?
Für mich war das eine der interessantesten Reisen, die ich bisher gemacht habe. Die mir künstlerisch und auch menschlich eine Erfahrung nahegebracht hat, die ich trotz meiner Trompete, mit der ich ja auch viel auf Reisen bin, wahrscheinlich nie gemacht hätte. Also, es war für mich tatsächlich eines der spannendsten Jahre – auch ganz persönlich.
Als Fotograf bin ich vielen Menschen hier im Ruhrgebiet begegnet, die mir ihre Geschichte erzählen wollten. Und damit lohnt es sich, behutsam umzugehen. Übrigens auch fotografisch. Ich versuche so gut es geht, nichts und niemand vorzuführen.
Und manche Posen, die es natürlich auch gibt in dieser Ausstellung, sind ja angefragt. Da sieht man, dass Sascha Wolf und sein Sohn Joel – Schalke-Legenden sozusagen – vor der Kamera die Ärmel hoch krempeln, um uns ihre Tätowierungen zu zeigen. Dann ist das nicht nur Eitelkeit, sondern auch Vertrauen.
In der Region zwischen Rhein und Ruhr sagen viele Einheimische: Wir brauchen keine Kultur, wir haben doch Fußball. Stimmt das, oder ist das auch nur wieder ein Klischee? Wie haben Sie das erlebt?
Also, das Ruhrgebiet ohne Fußball erzählen zu wollen, das würde nie funktionieren. Und das Ruhrgebiet nur auf Fußball zu beschränken, wäre viel zu kurz gegriffen.
Nicht nur, dass zuletzt so viele Kulturstätten – nicht nur Museen – hier geschaffen worden sind, deren Existenz aber auch nicht die Antwort auf die Zukunft des Ruhrgebietes ist, zeigt ja, dass hier das Verständnis für und auch ein Bedürfnis nach Kultur vorhanden ist.
Wenn Sie bei Ihren fotografischen Exkursionen einen öffentlichen Platz betreten haben, den Sie nicht kannten – den Rathausplatz von Marl beispielsweise oder eine der Zechenhalden –, wie war Ihr erster Blick darauf? Und wie haben Sie entschieden: Was fotografiere ich hier?
Als Musiker mit seinem Programm auf die Bühne zu gehen, ist ja was ganz anderes, weil man sich selbst präsentiert. Und da gibt es so was wie eine Abstraktion, das Ausblenden dieses Ortes. Mit gleichzeitiger Neugier, was mich in diesem Konzertsaal oder Jazzclub jetzt erwartet. Und was für eine Mentalität sich bei den Menschen widerspiegelt, ist auch ein wichtiger Aspekt.
Dennoch kann ich mich theoretisch abends in meinem Hotelzimmer verkriechen und am nächsten Morgen wieder unerkannt die Stadt verlassen. Als Fotograf lasse ich mich ja auf das, was in dieser Stadt vorhanden und sichtbar ist, ein und gehe auf die Suche – mit der Kamera. Und ich muss mir die Frage stellen, was davon halte ich denn jetzt für fotografierwürdig. Und was gibt mir eine Bild von dieser Stadt, von diesem Ort.
Als ich aufgehört habe, nach Bildern zu suchen, und zu fotografieren begann, was mir begegnete, merkte ich plötzlich, wie ich auf einmal eine andere Sicht auf die Gegend und die Menschen bekam. Und auf einmal eine Handschrift, die das Ruhrgebiet quasi selbst entwickelt hat, sich in den Fotografien zu etablieren begann.
Geschichten zeigen sich auch in Gesichtern. Sie sind als Weltklasse-Musiker und Star der Jazzszene gewohnt, viel fotografiert zu werden. Wie wichtig war Ihnen als Fotograf auch der Dialog mit Ihrem Gegenüber? Haben Sie die Kamera auch manchmal einfach weggelassen?
Der Fotograf ist natürlich auch ein Mensch. Der kann natürlich bestimmte Situationen, die aufrichtig und menschlich sind, nicht einfach ignorieren. Ich bin keiner, der auf der Hatz ist nach Sensationen. Ich versuche ja, die Leute nicht bloßzustellen, sondern über das Vertrauen, das ich mir erwerbe, etwas Künstlerisches mit nach Hause zu nehmen. Und das ist ein Geschenk meines Gegenübers.
Das ist eine andere Herangehensweise als Fotograf. Und deshalb muss man einfach wissen und spüren, wann man die Kamera einfach mal in der Tasche lässt. Oder wann es auch mal gut ist. (lacht)
Till Brönner, 1971 geboren in Viersen, ist einer der international bekanntesten deutschen Jazz-Trompeter, der mit vielen Weltklasse-Musiker zusammen gespielt hat. Er lebt abwechselnd in Berlin und Los Angeles. Seine Fotografien für die Ausstellung "Melting Pott" waren eine Auftragsarbeit. Über ein Jahr ist Brönner dafür kreuz und quer durchs Ruhrgebiet gereist und hat Orte, Architektur, Alltagsszenen fotografiert und auch Prominente wie den Ruhrbischof Franz Hengsbach oder den Fußballspieler Mario Götze vor die Kamera geholt. Bis zum 9. Oktober 2019 sind die Arbeiten im Museum Küppersmühle in Duisburg zusehen. Danach gehen sie als Ausstellung auf Reisen.