Ein Abgang im Osten
18. Oktober 2017Ein Paukenschlag: Sachsens CDU-Ministerpräsident Stanislaw Tillich kündigt für Dezember seinen Rücktritt an. Während das politische Deutschland und die Medien auf den Beginn der Jamaika-Sondierungsgespräche in Berlin schauen, zeigt sich damit im Osten der Republik die Verunsicherung von Merkels Partei über den eigenen Kurs und das Erstarken der AfD.
Die hat in Sachsen ihre stärkste Bastion. Und die Bundestagswahl im September hatte in Sachsen ein politisches Beben gebracht. Die Christdemokraten verloren 15,8 Prozent im Vergleich zu 2013 und erreichten nur noch 26,9 Prozent der Stimmen. Weit mehr als jeder dritte Wähler ging den Christdemokraten von der Stange. Zugleich erreichte die AfD 27,0 Prozent der Stimmen.
Seitdem fürchtet die sächsische CDU das weitere Erstarken des rechten Lagers. Bei der jüngsten Landtagswahl 2014 lag der Stimmenanteil der CDU noch bei 39,4 Prozent. Als nächststärkste Partei folgte damals noch die Linke mit 18,9 Prozent. Die nächsten Landtagswahlen stehen in dem Freistaat 2019 an.
Keine Antworten auf Rechtsruck
Tillich, in Dresden der dritte Ministerpräsident seit der Wende und der dritte, der der CDU angehört, führt die schwarz-rote Staatsregierung seit 2008 an. Zuvor arbeitete er bereits seit 1999 in verschiedenen Funktionen als Minister mit. Der Katholik, unweit von Kamenz geboren, war nach zwei West-Importen der erste Sachse an der Spitze des Freistaates. Immer wieder wurde ihm seine Mitgliedschaft in der Ost-CDU seit 1987 vorgeworfen. Als Redner und im Auftreten ist er wenig charismatisch und wirkt gelegentlich glücklos.
Und lange Zeit blieb er sprachlos und ratlos angesichts der fremdenfeindlichen Übergriffe, die sich seit 2015 in Sachsen häuften. Ja, lange Zeit wurden seine Äußerungen als verharmlosend empfunden. Politische Attacken gegen die fremdenfeindliche Pegida-Bewegung und den parlamentarischen Konkurrenten von Rechts, die AfD, blieben aus. Als Merkel 2016 das sächsische Heidenau besuchte und in übelster Art angepöbelt wurde, stand er neben ihr. Und als 2016 die Bundesrepublik den Tag der deutschen Einheit in Dresden feierte, standen die politischen Gäste schimpfenden und pfeifenden Demonstranten gegenüber.
Nach der Bundestagswahl forderte Tillich als erster prominenter CDU-Politiker - immerhin gehörte er bis 2012 dem Präsidium der Partei an, dem engsten kleinen Kreis um die Vorsitzende Angela Merkel - einen Kurswechsel der Union nach rechts. Ein Großteil der Bevölkerung fühle sich nicht mehr verstanden. "Wir müssen umschalten", sagte er. Das sorgte bei nicht wenigen CDU-Abgeordneten der neugewählten Bundestagsfraktion für Irritation und Verärgerung - und es deutete eine tiefe Kontroverse der Parteispitze in einer fundamentalen Frage an. Am ehesten sprangen noch Unionsabgeordnete der bayerischen CSU Tillich bei.
Nachfolger bereits benannt
Seit dem Frust der Bundestagswahl gab es Spekulationen über neue Gesichter in der Ministerriege Tillichs. Um sein Amt selbst ging es indes nicht. Nun der Rückzug. Er wolle, sagte der 58-Jährige, das Amt im Dezember "in jüngere Hände übergeben". Damit macht er klar, dass er auf eine sächsische Nachfolge setzt. Seinem Willen nach soll die Michael Kretschmer, Generalsekretär der Sachsen-CDU, antreten. Der 42-Jährige, seit 2002 im Bundestag, hatte im September sein Direktmandat im heimischen Görlitz nach 15 Jahren verloren und gehört dem neuen Parlament nicht mehr an. Er gehört zu denen, die sich mit dem Merkel-Kurs der vergangenen Jahre schwer tun. Inhaltlich liegt er voll auf der Linie Tillichs und sorgte 2016 bundesweit mit dem Aufruf zu einer "Leit- und Rahmenkultur" für Debatten.
Mit der Festlegung auf seinen Generalsekretär schloss Tillich zugleich die Option aus: Thomas de Maizière wohnt seit langem in Sachsen, hat dort seinen Bundestagswahlkreis und wurde durchaus als Nachfolger für den angeschlagenen Tillich gehandelt. Darüber war in Berlin gelegentlich auch deshalb spekuliert worden, weil die CSU darauf drängt, dessen aktuelles Amt des Bundesinnenministers für ihren "schwarzen Sheriff" Joachim Herrmann zu sichern.
Zumindest unter einem Aspekt ist Tillichs jetziger Entschluss für die CDU günstig terminiert: Die Konkurrenz in Sachsen schwächelt. Denn Tillichs prominenteste Gegenstimme im Land, Frauke Petry, die für die AfD dem sächsischen Landtag angehört und zugleich in den Bundestag einzog, trat am Tag nach der Bundestagswahl aus der Partei aus. Dem sächsischen Landtag und dem Bundestag gehört sie nun als fraktionslose Abgeordnete an. Ihre angestrebte Bewegung "Blaue Wende" ist bisher ein politischer Papier-Tiger. Und in der sächsischen Heimat hat sie noch ein ganz anderes Problem: Ende August hob der Landtag ihre Immunität als Abgeordnete auf und die Staatsanwaltschaft klagte sie wegen Meineids an. Und nach dem Abgang ihrer prominenten Frontfrau zeigt sich die AfD, die sich mit ihr im Landtag so stark gab, recht gesichtslos.