"Titan"-Retter setzen jetzt auf Tauch-Roboter
22. Juni 2023Vier Tage nach dem Verschwinden des Tauchboots "Titan" im Nordatlantik wird das Zeitfenster für eine mögliche Rettung der Besatzung immer kleiner. Der Sauerstoffvorrat dürfte nach Berechnungen der US-Küstenwache inzwischen aufgebraucht sein, wie Medien in den USA berichteten. Es wird mit dem Schlimmsten gerechnet.
Trümmerteile gefunden
Inzwischen sind auch Tiefsee-Tauchroboter in der Region eingetroffen. Ein französisches Forschungsschiff mit dem Tauchroboter "Victor 6000" traf im Suchgebiet im Nordatlantik ein. Laut US-Küstenwache begann der Roboter kurz darauf seinen Einsatz, ein kanadischer Tauchroboter erreichte zudem bereits den Meeresgrund. "Es ist immer noch eine aktive Such- und Rettungsmission", sagte der Chef der Küstenwache im Nordosten der USA, John Mauger, dem britischen Sender Sky News.
Die Suchtrupps entdeckten derweil ein Trümmerfeld. Die US-Küstenwache teilte auf Twitter mit, ein ferngesteuertes Unterwasserfahrzeug habe die Trümmer im Suchgebiet in der Nähe des Wracks der "Titanic" entdeckt. Die Informationen würden jetzt von Experten ausgewertet. Ob es sich um Trümmerteile der vermissten "Titan" handeln könnte, war zunächst völlig unklar. Das Tauchboot wird seit Sonntagvormittag (Ortszeit) vermisst.
Die "Titan" war mit fünf Menschen an Bord auf dem Weg zum Wrack der 1912 gesunkenen "Titanic" in rund 3800 Metern Tiefe. Etwa eine Stunde und 45 Minuten nach Beginn des Tauchgangs riss der Kontakt zum Mutterschiff ab. Unklar ist, ob das Boot noch intakt ist und wo es sich befindet. Nach Angaben des Betreibers hatte die 6,70 Meter lange "Titan" ausreichend Sauerstoff an Bord, um fünf Menschen für 96 Stunden zu versorgen. Diese Frist ist bereits abgelaufen.
Drama ähnlich wie gesunkener Luxusdampfer "Titanic"
Doch selbst wenn das Tauchboot bald gefunden würde, kann es Experten zufolge unter Wasser nicht mit frischem Sauerstoff versorgt werden. "In dieser Tiefe gibt es wirklich keine Möglichkeit, Sauerstoff hineinzubekommen", sagte der Meeresforscher Tom Dettweiler dem US-Sender CNN. "Es gibt keine Öffnung oder ähnliches, durch die Sauerstoff eindringen könnte." Die einzige Lösung wäre, die "Titan" so schnell wie möglich nach oben zu bringen, die Luke zu öffnen und zu den Menschen zu gelangen, betonte Dettweiler, der selbst 1985 an der Suche und dem Fund des gesunkenen Luxusdampfers "Titanic" beteiligt war.
Aber das Tauchboot aus großer Tiefe an die Oberfläche zu bringen, würde vermutlich mehrere Stunden dauern, betonte der Forscher. "Es ist einfach so, dass wir es mit einer großen Entfernung und schwierigen Bedingungen zu tun haben", sagte Dettweiler. "Wenn man darüber nachdenkt, ist es dem ursprünglichen Untergang der "Titanic" sehr ähnlich, bei dem die Retter es einfach nicht rechtzeitig geschafft haben."
Eines der größten Probleme sei, die für eine Ortung und Rettung nötige Ausrüstung zum Suchgebiet zu bringen. "Es ist alles sehr groß, sehr schwer, es musste in Frachtflugzeugen hingeflogen werden." Erst von dort könne die Ausrüstung auf Schiffe herabgelassen werden. Es handele sich um einen "gewaltigen Aufwand".
Langsamer Tod durch mangelnden Sauerstoff
Ohne Sauerstoff würde den fünf Besatzungsmitgliedern ein langsamer Tod bevorstehen, wie der Lungenfacharzt Rainer Schädlich erklärte. "Der Prozess dauert lange, da sich der Sauerstoff langsam aufbraucht und zusätzlich CO2 durch Atmung entsteht."
Bei zunehmendem Sauerstoffmangel kommt es demnach zu Kopfschmerzen sowie zu Übelkeit, Erbrechen, Müdigkeit, aber auch Atemnot, Verwirrtheit, Schwindel und Benommenheit bis zur Apathie. "Die bei einem Sauerstoffmangel auftretenden Symptome, insbesondere die Atemnot, können sehr unangenehm sein. Insofern würde ich nicht von einem milden Tod sprechen." Wie schnell der Sauerstoff verbraucht werde, hänge stark von Atmung und Aktivität der Menschen an Bord ab, sagte der Hamburger Intensivmediziner.
Zahlungskräftige Insassen
An Bord der "Titan" befindet sich auch der Forscher Paul-Henri Nargeolet (77). Der als "Monsieur Titanic" bekannte Franzose gilt als einer der führenden Experten für das Wrack des Luxusliners. Weitere Insassen sind der britische Abenteurer Hamish Harding (58), der mehrere Guinness-Weltrekorde hält, sowie der britisch-pakistanische Unternehmensberater Shahzada Dawood (48) und dessen 19-jähriger Sohn Suleman. Der fünfte Vermisste ist der Chef der Betreiberfirma OceanGate, Stockton Rush (61), der das Boot steuerte.
OceanGate bietet zahlungskräftigen Kunden eine abenteuerliche Reise - die Kosten für die insgesamt achttägige Expedition liegen bei 250.000 US-Dollar, das sind umgerechnet etwa 229.000 Euro pro Person. Die Tauchfahrt zur Titanic selbst dauert gewöhnlich aber nur einige Stunden.
Die "Titanic" war im April 1912 auf ihrer Jungfernfahrt von Southampton nach New York im Nordatlantik gesunken. Mehr als 1500 der 2200 Menschen an Bord starben. Die in zwei große Teile zerbrochenen Überreste des berühmten Luxusdampfers wurden 1985 entdeckt.
as/sti (dpa, rtr, afp)