Titandioxid künftig im Essen verboten
18. Januar 2022Titandioxid verzaubert die Kunden: Lebensmittel wie Süßigkeiten, Dessert, Mozzarella, Fertigsuppen, Backwaren und Salatsoßen sehen durch den Zusatzstoff E171 glänzender, frischer und knackiger aus.
Die Industrie macht sich die hohe Leucht- und Deckkraft des Weißpigments zunutze, das auch in vielen Kosmetikprodukten wie Zahnpasta zu finden ist, dann unter der Bezeichnung CI77891. Oder in Medikamenten und Sonnencremes. Auch in Klebstoffen und Gummi, in Lacken und Farben, sogar in Beton und Papier findet sich Titandioxid.
Die Titandioxid-Produktion ist ein Riesengeschäft. Weltweit werden jährlich zwischen vier und fünf Millionen Tonnen Titandioxid hergestellt, davon allein etwas mehr als eine Million Tonnen in Europa.
Die Lebensmittelindustrie aber wird für den EU-Markt künftig gänzlich ohne Titandioxid auskommen müssen, denn die EU-Kommission hat Mitte Januar 2022 nach jahrelangen Verhandlungen ein Verbot für den Zusatzstoff in Lebensmitteln wegen möglicher Krebsrisiken erlassen. "Mit dem Verbot entfernen wir einen Lebensmittelzusatzstoff, der nicht mehr als sicher gilt", sagte EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides.
Frankreich hatte die Verwendung des umstrittenen Zusatzstoffes Titandioxid in Lebensmitteln 2020 verboten. In der Folge haben bereits viele Lebensmittelhersteller vorsorglich weitgehend oder vollständig auf den Einsatz von Titandioxid verzichtet.
EU-Lebensmittelbehörde prüft seit Jahren
Die EU-Kommission hatte ihren Vorschlag bereits im Frühjahr 2021 auf Grundlage einer überarbeiteten Empfehlung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) vorgelegt.
Und bei der EFSA überwogen am Ende die Zweifel: Nach eigenen Angaben konnte die EFSA zwar keine abschließenden Beweise für eine toxische Wirkung von E171 finden, aber gleichzeitig konnte sie auch keine negativen Effekte auf das menschliche Erbgut in den Zellen und mögliche Krebsrisiken ausschließen. Die Zweifel konnten also nicht ausgeräumt werden - und so rieten die EFSA-Forschenden von Titandioxid im Essen ab.
Wie gefährlich ist Titandioxid?
Seit Jahren steht Titandioxid im Verdacht, krebserregend zu sein. 2017 hatten französische Wissenschaftler bei Ratten nachgewiesen, dass eine regelmäßige orale Einnahme von E171 dem Immunsystem schadet und Darmentzündungen hervorruft. In den Versuchen zeigte sich, dass Titandioxid die Darmbarriere durchbrechen kann und so als Nanopartikel ins Blut gelangt. Unklar ist noch, ob Titandioxid auch die Blut-Hirn-Schranke (BHS) überwinden kann. Die BHS ist eine Barriere zwischen dem Blut und Gehirn. Sie ist durchlässig für Nährstoffe, für die meisten Schadstoffe und Krankheitserreger ist die Blut-Hirn-Schranke allerdings undurchlässig. Sie dient dem Schutz des Gehirns.
Zahlreiche weitere Untersuchungen folgten, unter anderem von Experten der französischen Agentur für Lebensmittelsicherheit, Umweltschutz und Arbeitsschutz (ANSES), aber die Zweifel an der Sicherheit blieben.
Titandioxid wird nicht mehr als sicher angesehen
Entscheidend für die Neubewertung waren letztlich Bedenken hinsichtlich einer möglichen erbgutschädigenden Wirkung von Titandioxid. Nach Auswertung der vorhandenen Daten konnte die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit diesen Verdacht nicht entkräften. Eine genotoxische Wirkung von Titandioxid konnte nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden. Deshalb hat die EFSA Titandioxid als Lebensmittelzusatzstoff nicht mehr länger als sicher angesehen.
Diese Einschätzung teilt auch das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR). Allerdings weist das BfR darauf hin, dass für eine abschließende Bewertung noch Wissenslücken bestehen.
Ganz anders sieht dies freilich die "Titanium Dioxide Manufacturers Association (TDMA)", die die wichtigsten Produzenten von Titandioxid (TiO2) in Europa vertritt. Die EFSA-Stellungnahme basiere nicht auf allen relevanten Daten zur Sicherheit von E171, gehe von unrealistischen Annahmen aus und die für die Studien verwendete Testmaterialien seien nicht repräsentativ. Die TDMA werde mit allen relevanten Interessengruppen zusammenarbeiten, um sicherzustellen, dass eine vollständige und transparente Überprüfung unter Verwendung aller verfügbaren Daten und bewährter Verfahren durchgeführt wird, heißt es in einer Mitteilung der Interessenvertretung der TItandoxid-Hersteller.
Gefahr durchs Einatmen der Titandioxid-Partikel
Das jetzt von der EU-Kommission verhängte Verbot tritt in einem halben Jahr in Kraft, es gilt aber nur für den Zusatzstoff in Lebensmitteln wegen möglicher Krebsrisiken. Ansonsten darf Titandioxid weiterhin verwendet werden.
Allerdings ist der weitverbreitete Weißmacher nicht nur als Zusatzstoff in Nahrungsmitteln möglicherweise gesundheitsschädlich. So stufte der Ausschuss für Risikobewertung der EU-Chemikalienbehörde ECHA im Jahr 2017 Titandioxid als "vermutlich krebserregend bei Inhalation" ein. Dies könnte durchaus passieren, wenn etwa Titandioxid-haltige Lacke versprüht, Sonnencremes aufgesprüht oder wenn Titandioxid durch Abrieb in die Luft gelangt.
Denn beim Straßenbau werden die Titandioxid-Körnchen mittlerweile häufig in den Beton der Fahrbahndecken eingewalzt. Dort soll das Titandioxid Schadstoffe reduzieren, indem es in Verbindung mit Sonnenlicht Stickstoffdioxid zu wasserlöslichem Nitrat umwandelt, das dann wiederum vom Regen weggespült wird.
Bislang konnte nicht abschließend geklärt werden, ob das Einatmen von Titandioxid möglicherweise krebserregend ist, die Fronten bleiben verhärtet.
Gesundheitsbehörden versus Chemieindustrie
Der EU-Verbraucherschutz sieht vor, dass die EU Rechtsvorschriften erlässt, um die Sicherheit und die Rechte von Verbraucherinnen und Verbrauchern zu schützen. Können Zweifel an der Sicherheit nicht ausgeräumt werden, wird oder bleibt ein Produkt sicherheitshalber verboten.
Die Chemieindustrie wiederum befürchtet, dass die EU-Kommission ihr Verbot für den Einsatz in Lebensmitteln auch auf andere titandioxidhaltige Produkte ausweiten und sie ebenfalls als "möglicherweise krebserregend" kennzeichnen könnte. Um dies zu verhindern, wird die europäische Chemieindustrie vermutlich auch weiterhin die bisherigen und auch künftige wissenschaftlichen Untersuchungen anzweifeln bzw. diskreditieren.
Mit dem Verbot von E171 in Lebensmitteln ist die hitzige Debatte zwischen Gesundheitsbehörden und Chemieindustrie jedenfalls noch lange nicht beendet.