Tod von Hamas-Chef: Zurückhaltung in Kabul und Islamabad
5. August 2024Solidarisierung und kollektiver Zorn sollten die Bilder von der Trauerkundgebung für Ismail Hanija, den Chef des Politbüros der militant-islamistischen Hamas, in der iranischen Hauptstadt Teheran zeigen. Die Statements der politischen Vertreter der Nachbarländer Pakistan und Afghanistan zur Tötung des politischen Anführers der Hamas, die in Deutschland, der Europäischen Union, den USA und einigen anderen Staaten als Terrororganisation eingestuften wird, blieben aber deutlich hinter offenkundigen Drohungen zurück.
Und längst auch nicht alle Iranerinnen und Iraner teilen die Trauer um den getöteten Hamas-Politiker, so die Politologin Sara Bazoobandi vom German Institute for Global and Area Studies (GIGA) in Hamburg.
Solidarität mit der Hamas nicht bei allen im Iran
Natürlich versuche das Regime, die Demütigung der iranischen Geheimdienste vergessen zu machen und die Tötung Hanijas in ihre Propaganda einzuweben. Das aber dürfte kaum gelingen, so Bazoobandi zur DW. "Denn mobilisieren lassen sich nur diejenigen Personen, die ohnehin mit dem Regime sympathisieren." Darüber hinaus aber liefen die Kundgebung und die mit ihr verbundene Demonstration von Einheit und Entschlossenheit ins Leere. "Diejenigen, die sich davon anstecken lassen, brauchen keine Attentate, um sich mobilisieren zu lassen."
Tatsächlich machten sich viele Landsleute über den Charakter des Regimes ohnehin keine Illusionen, schreibt der Politologe Arash Azizi auf der Webseite des Magazins The Atlantic. "Die iranischen Gefängnisse sind voll mit Dissidenten, Feministinnen, Gewerkschaftern und gewöhnlichen Menschen, die 'Verbrechen' wie etwa das Posten von Tanzvideos im Internet begangen haben."
Für Azizi ist klar: " Wir Iraner wissen seit langem, dass das Regime von Ayatollah Ali Chamenei geschickt gegen seine eigenen Bürger vorgeht, aber wenig ausrichten kann, wenn es mit der militärischen Macht von Gegnern wie den Vereinigten Staaten und Israel konfrontiert ist."
Pakistan: Distanz zum Iran und zur Hamas
Auch in den Nachbarländern zeigt die Tötung Hanijas keinen besonderen Mobilisierungseffekt. Zwar fanden auch in Pakistan entsprechende Kundgebungen statt. In Islamabad etwa wurde ein bereits mehrere Tage andauerndes Sit-in der oppositionellen islamistischen Partei Jamaat-e-Islami für ein paar Stunden zu einer Trauerfeier für Hanija. "Der Märtyrertod von Hanija hat uns einen neuen Geist eingeflößt", sagte Hafiz Naeemur Rehman das Oberhaupt der Jamaat-e-Islami, einem Bericht der iranischen Iran Press zufolge.
Letztendlich werde die Tötung Hanijas von islamistischen Gruppen aber vor allem dazu genutzt, Aufmerksamkeit zu erregen, sagt Birgit Lamm, Leiterin des Büros der Friedrich-Naumann-Stiftung in Islamabad. "Im Kern ging es aber eher um soziale Fragen, etwa die steigenden Energie- und Benzinpreise, die hohe Inflation und Ähnliches. Die Ereignisse in Teheran sollen vor allem dabei helfen, den Bewegungen ein wenig Publicity zu verschaffen" so Lamm zur DW.
Zwar empfände die pakistanische Gesellschaft nahezu durchgängig Solidarität mit den Palästinensern im Gazastreifen. "Aber das färbt nicht auf die Hamas ab. Mit ihr solidarisieren sich hier die wenigsten." Das habe auch mit dem schwierigen nachbarschaftlichen Verhältnis zum Iran zu tun. "Die pakistanische Bevölkerung ist mehrheitlich sunnitischen Glaubens. Für schiitische Regime hat sie jeher wenig Sympathien. Das färbt auch auf eine sunnitische Organisation wie die Hamas ab, die vom Iran ja unterstützt wird."
Die pakistanische Regierung erklärte den Freitag vergangener Woche zu einem Tag der Trauer für Hanija. Auch Premier Shehbaz Sharif verurteilte die Tötung. "Die ganze Welt hat den Akt aufs Schärfste verurteilt", sagte er während einer Sitzung seiner Koalitionsregierung und kritisierte Israel für sein Vorgehen. Schärfere Worte und Drohungen vermied er allerdings.
Die Zurückhaltung sei konsequent, sagte der Politologe Marvin Weinbaum vom Middle East Institute in Washington dem vom US-Kongress finanzierten Sender Radio Free Europe. "Unter den pakistanischen Politikern herrscht allgemein die Ansicht, das Land habe selbst genügend Sicherheitsprobleme, als dass es sich direkt einmischen sollte."
Das sieht auch Birgit Lamm so. Zwar spreche die Regierung mit Blick auf Israels Vorgehen von einem 'Völkermord' und erkenne auch den israelischen Staat nicht an. Aber die Regierung unterstützt öffentliche Demonstrationen für die palästinensische Sache nicht." Dafür habe sie gute Gründe, so Lamm weiter: Pakistan ist Partner der USA ebenso wie Saudi-Arabiens. Diese beiden Staaten stehen auf der Seite Israels. Mit beiden will es sich Pakistan durch eine zu deutliche Positionierung gegen Israel nicht verscherzen. Und auch innenpolitisch steht die Regierung nicht sonderlich unter Druck. So hält sie sich zurück."
Zurückhaltung bei den Taliban
Die Taliban schickten Mawlawi Abdul Kabir, den stellvertretenden Premierminister für politische Angelegenheiten, am Donnerstag nach Doha, der Hauptstadt des Emirats Katar, um an der Beerdigung von Hanija teilzunehmen. Zuvor hatte er in Teheran an der Amtseinführung des neuen iranischen Präsidenten, Massud Peseschkian, teilgenommen.
In einer Erklärung verurteilten die Taliban die Tötung von Hanija. Diese sei ein "erheblicher Verlust für die islamische Gemeinschaft und die dschihadistische Bewegung". Zudem forderte die Gruppe muslimische und arabische Länder auf, alle Anstrengungen zu unternehmen, um israelische Angriffe zu stoppen. Die Fortsetzung der "israelischen Verbrechen" führe zu einer erhöhten Instabilität in der Region. Dafür würden Israel und seine Unterstützer zur Rechenschaft gezogen.
Das Statement gehe allerdings über allgemeine Floskeln kaum hinaus, sagt Thomas Ruttig, Mitbegründer der unabhängigen Denkfabrik "Afghanistan Analysts Network". Die Zurückhaltung spiegele die eher losen Beziehungen zwischen den Taliban und der Hamas. "Zwar äußern beide Seiten gelegentlich gegenseitige Solidaritätsbekundungen, aber darüber hinaus geht ihre Beziehung nicht", so Ruttig im DW-Interview. Dies sei nicht zuletzt geografisch bedingt: "Für weitere Kontakte liegen die Regionen geografisch schlicht relativ zu weit auseinander. Es gab während des Kampfes der Taliban gegen die sowjetische Besatzung zwar viele Freiwillige aus arabischen Ländern, darunter auch einige Palästinenser. Aber daraus sind keine sonderlich engen Beziehungen gewachsen."
Bereits in ihrer ersten Regierungszeit hätten die Taliban darauf geachtet, auf internationaler Ebene zu allen Seiten möglichst gute Beziehungen zu pflegen und sich nicht in fremde Konflikte hineinziehen zu lassen, sagt Elinor Zeino, bis zur Machtübernahme der Taliban im August 2021 Leiterin des Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Kabul. "Die Taliban wollten internationale Anerkennung und wollten sich als verantwortungsvoller staatlicher Akteur präsentieren."
Tatsächlich hatten Oppositionspolitiker aus dem islamistischen Spektrum und ehemalige Kommandanten die Taliban auch schon für ihre Zurückhaltung nach dem Terrorangriff der Hamas auf israelisches Territorium am 7. Oktober 2023 kritisiert.