Toilettenmangel macht krank
28. Mai 2012In seinem Beruf als Mediziner ist Dieter Häussinger schon viel gereist. Eine seiner Vortragsreisen führte den Professor der Uni-Klinik in Düsseldorf in die indische Millionenstadt Kalkutta. Als er dort eines Morgens mit dem Taxi durch die Straßen fuhr, sah er wie mehrere Kinder mit heruntergezogenen Hosen am Straßenrand hockten und ihre Notdurft verrichteten. "Es ist absolut klar, dass es so zur Übertragung von Krankheiten kommt", betont Häussinger, der in Düsseldorf die Klinik für Gastroenterologie, Hepatologie und Infektiologie leitet.
Der Zugang zu einer Toilette, zu sauberem und kontrolliertem Wasser: In Deutschland ist das überall gegeben. Ganz anders ist die Situation in vielen Ländern Afrikas, insbesondere südlich der Sahara und in großen Teilen von Asien, beispielsweise in Indien. Zum Schutz vor Infektionskrankheiten spielt neben der Toilette die persönliche Hygiene allerdings eine mindestens genauso große Rolle. Nicht umsonst heißt es deswegen: Händewaschen nicht vergessen.
Fäkal-orale Übertragung
Im menschlichen Kot sind viele Keime, die krank machen können. Und sie können zum Teil lange überleben. "Vor allem in flüssigen Medien", wie Dieter Häussinger erklärt. In Ländern, wo die Trennung zwischen Abwasser und Nutzwasser nicht strikt erfolgt, sieht der Spezialist eine ernstzunehmende Gefahr: "Da werden Fäkalien ins Wasser geleitet, gleichzeitig wird dieses Wasser aber auch gebraucht, um Gefäße zu reinigen oder Teller zu spülen." Aber auch Kot, der nicht mit Wasser in Berührung kommt, kann eine Gefahr darstellen. Fliegen nehmen den Erreger mit ihren Beinen auf und können ihn, wenn sich sich auf Essen niederlassen, an den Menschen weitergeben.
"Fäkal-oral", so nennen Experten den häufigsten Übertragungsweg für Infektionskrankheiten, die durch Toilettenmangel verursacht werden. Das bedeutet beispielsweise: vom Kot über die Hand in den Mund. Wenn ein Mensch einen Erreger in sich aufgenommen hat, beginnt sich der Körper zu wehren: "Jeder Erreger produziert ein bestimmtes Gift", erklärt der Universitätsprofessor. "Dieses Gift führt dazu, dass im Darm viel Flüssigkeit produziert wird, um eben diesen Erreger auszuspülen." Das führt dann zu Durchfallerkrankungen.
Durchfallerkrankungen sind ein riesiges Problem
Für Sebastian Dietrich von der Hilfsorganisation "Ärzte ohne Grenzen" zählt Durchfall zu einer der Haupterkrankungen, die ihm und seinen Kollegen bei ihren Einsätzen im Ausland begegnen. 3.000 bis 6.000 Kinder sterben pro Tag an den Folgen einer Durchfallerkrankung, weil ihre Körper zu viel Flüssigkeit verlieren.
"Durchfallerkrankungen sind ein riesiges Problem", betont Dietrich. "Sie werden aber zu einem noch größeren Problem in den Teilen der Bevölkerung oder bei Kindern, die ohnehin schon geschwächt sind. Beispielsweise bei Menschen, die häufiger an Malaria erkranken oder Hunger leiden", so der Experte.
Was Erwachsene mit ihrem Körpervolumen oft wieder ausgleichen können, führt bei den Kleinen schnell zum Tod: "Bei einem Flüssigkeitsverlust von ein bis zwei Litern kann es oft schon zu spät sein", gibt der Mediziner zu bedenken. Dabei könnte schon eine einfach Dehydrations-Lösung aus Wasser, Zucker und Salz dabei helfen, den Körper wieder zu Kräften kommen zu lassen. Aber auch hierfür müsse das Wasser sauber und keimfrei sein.
"Schwierig wird es außerdem bei Erkrankten, die schon so ausgetrocknet sind, dass sie nicht mehr trinken können, also schon apathisch sind", erklärt der Mediziner. Dann könne nur noch eine Infusion helfen. Aber der Weg bis zur nächsten Behandlungsmöglichkeit sei oft zu weit.
Menschen trocknen aus
Die gefürchteste aller Infektionskrankheiten ist die Cholera. Sie tritt vor allem dann auf, wenn viele Menschen auf engem Raum zusammenleben und es keine Toiletten oder Zugang zu sauberem Trinkwasser gibt. Dann sei es nur noch eine Frage der Zeit, so der Spezialist Dieter Häussinger, bis Fäkalien in irgendeiner Weise in die Trinkwasserkette gerieten und eine Epidemie entstehe. "Haiti ist das typische Beispiel", fügt er hinzu. In Haiti hatte im Jahr 2010 ein heftiges Erdbeben so viel Schaden angerichtet, dass viele Menschen in Notunterkünften untergebracht werden mussten. Durch das Zusammenleben auf engstem Raum und das Fehlen sanitärer Anlagen, brach in dem Land eine Cholera-Epidemie aus, die Tausenden das Leben kostete.
Bei der Cholera leiden die Menschen an einem "wässrigen Durchfall", erklärt Sebastian Dietrich, der mit seiner medizinischen Hilfsorganisation im Ausland schon viele Betroffene behandelt hat. Zehn bis zwanzig Liter Flüssigkeit pro Tag, können die Erkrankten ohne weiteres verlieren. "Das sind zwei Wassereimer", sagt er. "Da kann man gar nicht mehr zur Toilette gehen, das fließt dann einfach alles raus." Das verheerende an der Krankheit ist, dass der Mensch so viel Flüssigkeit verliert, dass er austrocknet und stirbt.
Um das Entstehen von Infektionskrankheiten zu verhindern, zählt das Bauen von Toiletten zu einem der ersten Dinge, die Dietrich und seine Kollegen tun, sobald sie in einem Flüchtlingslager ankommen. "Ein einfaches Loch in der Erde, wo ein kleines Häuschen draufsteht, ein Gitter um Fliegen abzuhalten und ein Abzug, damit es nicht zu sehr stinkt", das muss reichen, um das Schlimmste zu verhindern, sagt Sebastian Dietrich von "Ärzte ohne Grenzen".