Erste Gouverneurin für Tokio
2. August 2016Unter hoher Wahlbeteiligung haben sich Bewohner von Tokio am Sonntag deutlich für die 64-jährige Yuriko Koike als neue Gouverneurin entschieden. Sie erhielt fast drei Millionen und damit 44 Prozent der Stimmen und besiegte in einem unermüdlichen Wahlkampfeinsatz 20 weitere Kandidaten einschließlich eines Rivalen aus der eigenen Partei. Ihr Versprechen einer transparenten und besseren Regierung kam gut an, weil ihre Amtsvorgänger Yoichi Masuzoe und Naoki Inose nach Korruptionsvorwürfen beide vorzeitig das Handtuch werfen mussten. Daher kommt es jetzt zum dritten Wechsel auf dem Chefposten von Tokio seit 2012.
In den nächsten vier Jahren will Koike die Hauptstadt nach zwei Vorgaben modernisieren. Zum einen soll Tokio zur "Dive City" werden. Dive ist ein japanisches Wortspiel mit dem englischen "diverse": Alle Gruppen von Bewohnern sollen laut Koike in Harmonie zusammenleben. Konkret will sie die Kinderbetreuung verbessern, mehr Arbeitsplätze und Führungspositionen für Frauen schaffen und die Steuern senken. Zum anderen propagiert Koike eine "Smart City". Damit meint sie etwa mehr erneuerbare Energien und mehr Elektroauto-Tankstellen. Zudem will sie das oberirdische Stromkabel-Wirrwarr unter die Erde verlegen und so mehr Platz auf den Straßen schaffen.
Widerstand aus der eigenen Partei
Allerdings bestehen Zweifel an ihrer Durchsetzungsfähigkeit. Denn die Politikerin gehört zwar der Liberaldemokratischen Partei (LDP) von Premierminister Shinzo Abe an, aber hatte ihren Hut für den Gouverneursposten ohne deren Unterstützung in den Ring geworfen. Dadurch spaltete sie die konservative Wählerschaft, so dass dem offiziellen LDP-Kandidaten und Ex-Gouverneur von Iwate, Hiroya Masuda, nur der zweite Platz blieb. Im Stadtparlament hat die LDP jedoch die Mehrheit und könnte Koike nun das Leben schwermachen. Ihr Verhältnis zum mächtigen Chef des Olympischen Komitees, Alt-Premier Yoshiro Mori (LDP), wurde bereits durch ihre Ankündigung belastet, den Anteil Tokios an der Finanzierung der Olympischen Spiele zu verringern.
Zudem hat die spontane Bewerbung ohne Absprache mit den Parteigremien ihren Ruf als "Madame Karussell-Sushi" bestätigt. Der Spitzname spielt darauf an, dass sie in ihrer Karriere häufig ihre Parteizugehörigkeit wechselte. Beim Karussell-Sushi wählt man sich vorbeifahrende Sushi-Stücke aus, auf die man gerade Appetit hat. 1992 zog sie unter der Fahne einer LDP-Abspaltung ins Parlament ein. Danach wechselte sie zum Vorläufer der heutigen oppositionellen Demokratischen Partei. 2005 unterstützte sie den damaligen LDP-Premierminister Junichiro Koizumi gegen innerparteiliche Rebellen. Nach Parlamentsauflösung und Neuwahlen wurde sie dafür mit dem Amt der Umweltministerin belohnt. Im ersten Kabinett von Shinzo Abe 2006-2007 war sie Verteidigungsministerin, gab das Amt jedoch schon nach 55 Tagen wegen eines Streits mit dem Kabinettssprecher auf.
Wenig politische Überzeugungen
Trotzdem bewarb sie sich 2008 um den Parteivorsitz der LDP. Nach ihrer Niederlage bemühte sie sich mehr um ein parteiinternes Netzwerk und engagierte sich in einer revisionistischen Abgeordnetengruppe, die als Sprachrohr der ultrakonservativen Gruppierung "Nippon Kaigi" (Japan-Konferenz) dient. Dennoch traut ihr die Männerregie der LDP nicht über den Weg. Regierungschef Abe holte die populäre Koike nicht ins Kabinett, obwohl er sich für eine höhere Frauenquote einsetzt, und stellte sich auch nicht hinter ihre Kandidatur für den Gouverneursposten von Tokio. Japans Presse beschreibt Koike als Zugvogel mit wenig Überzeugungen. Vielmehr fiel sie immer durch ihre Lust am Brechen von Konventionen und Tabus auf.
So studierte sie in den siebziger Jahren als eine von ganz wenigen asiatischen Frauen Arabisch in Kairo und arbeitete danach als Übersetzerin und für die Japanisch-Arabische Gesellschaft. Aber Ideen zur Nahostpolitik hat man von ihr kaum gehört. Sie heiratete als 21-Jährige, beendete die Ehe jedoch bald wieder. Später war sie als TV-Moderatorin erfolgreich, ohne politisch anzuecken. Trotz ihrer weltoffenen Ausbildung pilgert sie jedes Jahr zum umstrittenen Yasukuni-Gedenkschein für Japans Kriegstote und verlangt von Russland die Rückgabe von vier Kurilen-Inseln. Sie ist für die Förderung von Frauen, aber lehnt das Kommunalwahlrecht von Ausländern in Japan ab und setzt sich auch nicht für mehr Gleichberechtigung von Homosexuellen ein. Wegen ihres Hangs zum Konservativen galt sie eine Zeitlang als "Japans Condi Rice" - ein Vergleich mit der prinzipienfesten US-Außenministerin Condeeleza Rice.
Andererseits erfand sie als Umweltministerin 2005 den "Cool-Biz"-Kleidungsstil: Seitdem verzichten japanische Angestellte im heißen Sommer auf Krawatten und Jacketts. Dieser Abschied von formeller Kleidungsetikette spart Strom, weil die Büros nicht mehr so stark gekühlt werden müssen. Im Wahlkampf für den Gouverneursposten betonte Koike ihre "Öko-Tat" mit einem grünen Stirnband, aber von Atomkraft redete sie nicht. Auch einen Kommentar zu den Korruptionsvorwürfen gegen ihre Vorgänger lehnte die Politikerin ab, vielleicht weil sie selbst ins Zwielicht zu geraten droht. In der Boulevard-Presse kursieren schon Gerüchte über finanzielle Unregelmäßigkeiten und dubiose Spender. Der Wahlkampf um das Gouverneursamt von Tokio habe gerade erst begonnen, lautete eine düstere Schlagzeile.