Tom Dumoulin holt WM-Gold im Zeitfahren
20. September 2017Einfahrt in den rot-blau-weißen Tunnel: Am Fuße des Mount Floyen tauchen die Fahrer ein in ein Fahnen- und Menschen-Meer mit ohrenbetäubender Kulisse. Auf einem schmalen Sträßchen geht es in engen Serpentinen steil bergan, links und rechts stehen frenetisch anfeuernde Norweger in Regenjacken. Es regnet, natürlich, will man sagen, denn in Bergen regnet es an 248 Tagen im Jahr - Europarekord. Aber der Stimmung schadet das überhaupt nicht. Die Norweger feiern jeden Fahrer, der sich den neun Prozent steilen Schlussanstieg hinaufschindet. Wie im Wintersport erleben auch die Athleten der Rad-WM ein faires, extrem begeisterungsfähiges Publikum, das den kleinen Mount Floyen an diesem Tag zu ihrem Alpe d'Huez macht.
Und natürlich gewinnt an so einem Berg am Ende ein Holländer: Tom Dumoulin feiert seinen ersten Weltmeistertitel im Einzelzeitfahren - mit einer überlegenen Vorstellung. Mit knapp einer Minute Vorsprung verweist er am Ende den ehemaligen slowenischen Skispringer Primoz Roglic (+ 57,79 Sekunden) und den britischen Tour- und Vueltasieger Chris Froome (+ 1:21,25 Minuten) sogar mit mehr als einer Minute auf die Plätze. Auf dem 31 Kilometer langen und anspruchsvollen Parcours benötigt der Niederlädner nur 44:41,00 Minuten und darf über Gold jubeln.
Dumoulin peilt die dritte Medaille an
"Das ist fantastisch. Ich hatte einen tollen Tag", freute sich Tom Dumoulin später im Ziel, dessen Wattmesser unterwegs ausfiel - eigentlich ein klarer Nachteil, weil das Kontrollinstrument fehlt. Es kam aber noch ein weiteres Problem hinzu: Die Topfavoriten in der letzten Startgruppe fuhren im Trockenen los, unterwegs setzte Regen ein. "In jeder Kurve ist mein Rad etwas gerutscht, weil ich die Zeitfahrreifen aufgezogen hatte und es im Regen rutschig wurde", sagte der Gewinner des diesjährigen Giro d'Italia, der nach WM-Gold im Team- (mit seinem deutsch-niederländischen Sunweb-Rennstall) und Einzelzeitfahren immer noch nicht satt ist: Auf die Frage, ob er seinen Sieg nun feiern werde, entgegnete Dumoulin: "Ich möchte mich auf das Straßenrennen konzentrieren." Auch in diesem Rennen am Sonntag hat er Medaillenchancen. Die Niederländer setzen damit ihre goldene WM-Bilanz fort.
Die hatte sich für das Zeitfahren auch Titelverteidiger Tony Martin ausgerechnet - wenngleich mit der Einschränkung, dass dies nicht sein Kurs sei. Der Deutsche kritisierte den kurzen und bergigen Kurs als zu schwer und stellte sich dennoch der Herausforderung. Am Ende war es wohl der Schlussanstieg sowie der einsetzende Regen, der ein besseres Resultat von Martin verhinderte. Tom Dumoulin war aber so oder so an diesem Tag für den Katusha-Profi Martin außer Reichweite.
Martin schon vor dem Floyen geschlagen
Der viermalige Weltmeister mit Wohnsitz in der Schweiz belegte in 46:20,88 Minuten den neunten Platz und verlor damit das Regenbogentrikot. Martin, der als letzter Fahrer startete, war zwischenzeitlich Zweiter, ging aber nur mit der sechsbesten Zwischenzeit in den 3,4 km langen Zielanstieg zum Gipfel des Floyen. Dort konnte er seine Qualitäten im Kampf gegen die Uhr angesichts des durchschnittlich 9,1 Prozent steilen Berges aber nicht ausspielen. Auch die anderen beiden Starter des Bundes Deutscher Radfahrer (BDR) zeigten ein solides, wenngleich nicht überragendes Rennen: Nikias Arndt belegte in 46:57,05 Minuten den 19. Rang, Jasha Sütterlin beendete das Rennen in 48:09,07 Minuten auf dem 35. Platz.