1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Tom Koenigs: "Afghanistan muss sich auf die internationale Gemeinschaft verlassen können"

Das Gespräch führte Klaudia Prevezanos14. Januar 2006

Mitte Februar tritt Tom Koenigs sein neues Amt als UN-Beauftragter für Afghanistan an. Zuvor findet Ende Januar eine internationale Afghanistan-Konferenz statt. Ein Interview mit DW-WORLD über seine Erwartungen.

https://p.dw.com/p/7m4T
Der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung wechselt das AmtBild: dpa - Bildfunk

DW-WORLD: Welche Erwartungen haben Sie an die Afghanistan-Konferenz Ende Januar in London: Ist damit zu rechnen, dass einzelne Länder, die Afghanistan unterstützen, von dieser Hilfe zurücktreten?

Sicherheitslage in Afghanistan Konvoi
Afghanische Polizisten bewachten einen Laster mit Wahlunterlagen im September 2005Bild: AP

Tom Koenigs: Damit rechne ich eigentlich nicht, denn die Zusagen waren doch sehr deutlich. Und die Erfahrung der internationalen Gemeinschaft gerade mit Unterstützungen dort im Raum, die kurzfristig waren, sind so, dass man sich spätestens bei der Petersberg-Konferenz, dem Vorläufer-Treffen für London, gesagt hat: Nur eine langfristige und zuverlässige Unterstützung wird die Stabilität, die man sich ja auch langfristig wünscht, bringen. Die afghanische Regierung muss sich auf die internationale Gemeinschaft als dauerhaften Partner verlassen können. Sonst sind die Allianzen, die geschlossen werden, doch sehr fragil.

Können Sie sich vorstellen, dass die Krisenregion Irak zur Konkurrenz wird, und die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft für Afghanistan in den Irak geht?

Das glaube ich nicht, es gibt ja viele Krisenherde oder Staaten, die im Aufbau sind. Es gibt viele arme Staaten. Und die internationale Gemeinschaft, insbesondere der wohlhabendere Teil, wird sich daran gewöhnen müssen, dass man Hilfe nur durch langfristige Aufbauprozesse wirklich effizient leisten kann. Und dass das kurzfristige Engagement ein Strohfeuer ist, das manchen Ländern sogar mehr schadet als nützt. Die Aufbauhilfe in Afghanistan ist von Anfang an als langfristige Hilfe gesehen und konzipiert worden. Ich glaube, die internationale Gemeinschaft wird sich sowohl in dem wirtschaftsbezogenen, als auch im sicherheitsbezogenen, als auch in dem good-governance-bezogenen Teil - dem Regieren unter Einbeziehung der Zivilgesellschaft - auf eine lange Anwesenheit vorbereiten müssen. Afghanistan ist ja ein Land, in dem es vorher bereits kurzfristige Interventionsmaßnahmen durch Geld, durch Waffenlieferungen, sogar durch Truppen gegeben hat. Und die sind alle daran gescheitert, dass es an der notwendigen Zuverlässigkeit gefehlt hat. Und an der notwendigen Aufmerksamkeit gegenüber dem, was die Afghanen selbst brauchen und wie sie sich selbst regieren wollen.

Was sind Ihre wichtigsten Ziele als neuer UN-Sonderbeauftragter für Afghanistan? Was haben Sie sich vorgenommen?

Die Ziele sind die alten. Das wichtigste ist, dort Stabilität zu erreichen durch eine Zusammenarbeit mit der Regierung. Wo die Regierung bestimmt, was gemacht wird und mit wem. Natürlich erwarte ich mir eine Verbesserung der Effizienz der Regierungsinstitutionen und eine Modernisierung. Die wirtschaftliche Entwicklung in einem der ärmsten Länder der Welt ist natürlich unglaublich wichtig. Trotzdem kann man nicht so hohe Ansprüche stellen, wie man sie vielleicht an die Schweiz hat. Afghanistan ist ein Land mit einer riesigen Analphabetenrate, mit einem sehr kleinen durchschnittlichen Einkommen und einer großen Armut. Wenn es gelänge, die Milleniumsziele wenigstens ansatzweise bis 2015 zu erreichen - die afghanische Regierung hat bereits gesagt, dass sie das schafft, aber erst bis 2020 - wenn es gelänge, eindeutig in diese Richtung zu gehen, so dass man mit Optimismus meinetwegen auf das Jahr 2020 blicken könnte, dann würde ich schon sagen, dann hat der Einsatz sich gelohnt. Und wird der Einsatz sich weiterhin lohnen.

Welche Bilanz ziehen Sie als Beauftragter der Bundesregierung für Menschenrechte und humanitäre Hilfe: Worauf sind Sie sogar stolz?

Zunächst mal bin ich der Meinung, dass dieses noch nicht sehr alte Amt ein wichtiges Amt ist. Es ist wichtig, dass es eine Stelle gibt, die die Menschenrechtspolitik immer wieder in den Mittelpunkt stellt - auch in der Institution Auswärtiges Amt. Ich habe sehr gut mit der deutschen Zivilgesellschaft, den Nicht-Regierungsorganisationen, zusammengearbeitet. Das ist eine Schnittstelle, die man nur betonen kann. Die Regierung muss auf diese Organisationen hören. Dann war es für mich wichtig, in den Vertretungen im Ausland mit denen, die für Menschenrechte zuständig sind und den Botschaftern über das Thema zu reden. Und die auch mit den Menschenrechtsverteidigern im Lande in Verbindung zu bringen, oder die Kontakte zu verstärken. Ich glaube, das ist eine dauerhafte Aufgabe, dass man in den deutschen Vertretungen Menschenrechte thematisiert und umgekehrt den Regierungen, wo diese Vertretungen akkreditiert sind, immer wieder klar macht, dass die Menschenrechte für Deutschland ein ganz zentraler Teil der Politik sind. Wir haben außerdem neue Themen in diesem Jahr aufgebracht. Das eine ist das Menschenrecht auf Wasser, das die Bundesregierung weiterverfolgen wird. Und das andere, ein Thema, das gerade jetzt sehr akut ist: Menschenrechte bei der Bekämpfung des Terrorismus. Das ist ein Dauerthema und wird eines bleiben. Ich hoffe, dass es sich auch dauerhaft des öffentlichen Interesses erfreut. Da ist es doch zu einer deutlicheren Definition der Position der Bundesregierung gekommen. Das freut mich natürlich ganz besonders, ohne dass ich sagen will, dass das nur mein Verdienst ist.

Was erwartet Ihren Nachfolger, welche Arbeit müsste noch gemacht werden?

Es ist bedauerlicherweise ja so, dass die Menschenrechte auch im nächsten Jahr an verschiedenen Punkten der Welt teils massiv verletzt werden. Was ich von dem Nachfolger oder jedem Nachfolger erwarte, ist, dass er ein offenes Ohr für die Opfer dieser Menschenrechtsverletzungen hat. Und bei der Bewertung die Rechte und die Ansprüche der Opfer in den Vorgrund stellt.

Tom Koenigs (Jahrgang 1944) ist seit Anfang 2005 Beauftragter für Menschenrechte und humanitäre Hilfe der Bundesregierung. Zuvor, ab Mitte 2002, war er Leiter der UN-Beobachtermission in Guatemala. Dort half er, den Friedensprozess nach dem Bürgerkrieg (1969-1996) voranzubringen. Vorher hat er drei Jahre lang im Auftrag der Vereinten Nationen im Nachkriegs-Kosovo die Zivilverwaltung aufgebaut. Ende Dezember 2005 ernannte UN-Generalsekretär Kofi Annan den Grünen-Politiker zum neuen UN-Sonderbeauftragten für Afghanistan. Koenigs folgt dem Franzosen Jean Arnauld, der das Amt seit Februar 2004 innehatte. Der Deutsche tritt seinen Posten am 15. Februar an – dann reist er auch zum ersten Mal überhaupt nach Afghanistan. Ob es einen Nachfolger für seinen Posten im Auswärtigen Amt geben wird, und wer das sein soll, ist bisher unklar.