Totalausfall Gomez, Lichtblick Kramer
4. September 2014Der Abend war schon etwas fortgeschritten, als der Bundestrainer seinen verbalen Abwehrriegel errichtete. Mit blütenweißem Hemd saß Joachim Löw auf der Pressekonferenz in einem Zelt des Sponsors außerhalb des Stadions und versuchte, seine Elf gegen die Kritik zu verteidigen. 2:4 verloren, vom eigenen Publikum ausgepfiffen - und doch war eigentlich alles okay für den Bundestrainer. Sein Team habe phasenweise durchaus gut gespielt, nur sei einiges gegen sie gelaufen, sagte Löw. Mario Gomez habe ein bisschen Pech gehabt, mancher Spieler brauche eben noch etwas Zeit. Sonst seien viele gute Ansätze zu sehen gewesen und überhaupt müsse man sich keine Sorgen machen. Das Spiel gegen WM-Finalgegner Argentinien "war ein guter Test für Sonntag", fasste Löw zusammen und man kann ihm dabei durchaus Recht geben - wenn man "gut" nicht im Sinne von "erfolgreich", sondern im Sinne von "aufschlussreich" interpretiert.
Denn die 90 Minuten von Düsseldorf offenbarten vor allem eines: Man kann sich im Leistungssport nicht auf seinen Lorbeeren ausruhen. Egal wie verdient und mitreißend der WM-Sieg vor anderthalb Monaten auch war, nun steht die nächste Aufgabe an: die EM-Qualifikation. Ansprüche und Erwartungen sind groß in Fußball-Deutschland, das konnte man in der Düsseldorfer Arena spüren. Einerseits schwappte bereits nach drei Minuten die erste La-Ola-Welle durchs Stadion. Andererseits pfiffen dieselben Fans rund 50 Minuten später ihre eigene Mannschaft aus. Für Joachim Löw unverständlich, aber tatsächlich durchaus nachvollziehbar, denn die Darbietung seiner Elf war alles andere als weltmeisterlich. Im Hinblick auf die bereits am Sonntag mit dem Spiel gegen Schottland beginnende EM-Qualifikation (ab 20:30 MESZ im DW-Livestream) lohnt ein genauerer Blick auf die deutsche Elf.
Tor:
Wie gewohnt der Rückhalt im deutschen Team: Manuel Neuer. Deutschlands Fußballer des Jahres verhinderte mit zwei Paraden Schlimmeres, war aber bei den beiden ersten Toren machtlos. Im zweiten Durchgang durfte Roman Weidenfeller ran und konnte bei seinen ersten Aktionen nur zusehen, wie der Ball zweimal an ihm vorbei ins Netz fiel. Der denkbar bitterste Start in eine Partie. Bei beiden Treffern der Argentinier wurde Weidenfeller von seinen Vorderleuten im Stich gelassen, sonst machte er seinen Job solide. Trotz vier Gegentreffern: Im Tor hat Deutschland weiter kein Problem. Davor hingegen schon.
Abwehr:
In dieser Formation wird die Abwehr wohl nicht so schnell wieder spielen, es sei denn Benedikt Höwedes wechselt zum BVB. Überfordert mit Angel di Marias Vorstößen, gedanklich zu langsam, phsysisch nicht energisch genug - die Viererkette aus Erik Durm, Matthias Ginter, Benedikt Höwedes und Kevin Großkreutz war an diesem Abend nahezu durchgängig nicht wettbewerbsfähig. Dem überragenden und an allen Treffern beteiligten di Maria konnten sie meist nur hinterhersehen, die Zuordnung funktionierte überhaupt nicht. Zwar verliehen Durm und Großkreutz der Offensive mehr Elan, als dies zum Beispiel Höwedes während der WM tat, doch dadurch fehlten sie hinten und luden die Argentier zu schnellen Kontern geradezu ein.
Die Abstimmung zwischen Matthias Ginter und Benedikt Höwedes im Abwehrzentrum war - vorsichtig formuliert - noch ausbaufähig. Oft standen beide viel zu weit weg von Sergio Agüero, Erik Lamela und Co. Jeder schien den anderen in der Verantwortung zu sehen. Ein Geschenk, das Argentinien dankend annahm und Tore locker wie im Training erzielte. Konsequenz: Zum Start der EM-Qualifikation ist die Abwehr die größte Baustelle des Bundestrainers, Nachnominierungen hat er ohnehin schon angekündigt.
Mittelfeld:
Viel Licht und Schatten im zentralen Bereich des deutschen Spiels. Offensiv spielten vor allem André Schürrle und Marco Reus ihre Schnelligkeit aus, blieben aber unter ihren immensen Möglichkeiten. Ein paar gute Pässe, ein Tor von Schürrle und ein Pfostenschuss von Reus sprangen dabei heraus. Julian Draxler wirkte dagegen seltsam antrittschwach und blieb fast unsichtbar. Erst nach einer guten halben Stunde wurde klar, warum: Der rechte Oberschenkel zwickte, Draxler musste raus, für ihn kam Lukas Podolski, der seinerseits aber ebenso kaum Akzente setzen konnte.
Dahinter versuchten Toni Kroos und Christoph Kramer die Räume zu öffnen, was aber insbesondere Kroos nicht so gut gelang wie bei der WM in Brasilien. Auch fehlte seinen gefürchteten Distanzschüssen die gewohnte Präzision. Senkrechtstarter Christoph Kramer überzeugte mit viel Laufarbeit und Anspielbarkeit und entwickelt sich in Abwesenheit der verletzten Konkurrenten Sami Khedira, Bastian Schweinsteiger und Ilkay Gündogan immer mehr zur echten Alternative. Insgesamt wirkten viele Aktionen im Mittelfeld überhastet und nicht zu Ende gedacht. Erst als Argentinien nach dem 4:0 die Zügel schleifen ließ, kam die DFB-Elf besser ins Spiel und zu zwei Toren durch André Schürrle (52. Minute) und Mario Götze (57.).
Angriff:
Mario Gomez fehlte deutlich erkennbar der Anschluss ans Spiel - durchaus nachvollziehbar nach seiner schier endlosen verletzungsbedingten Länderspielpause. Weniger verständlich war jedoch, dass er in seiner Kernkompetenz, dem Torschießen, nicht zu überzeugen wusste, oder sagen wir es klarer: versagte. Völlig frei tauchte Gomez in der siebten Minute vor Sergio Romero auf und schoss genau auf den argentinischen Torhüter. Und es wurde nicht besser. In der 28. Minute wurde Gomez wieder frei vor Romero angespielt, wieder vergab der Stürmer des AC Florenz kläglich. Raunen und Gelächter von der Tribüne waren die Quittung. Heftiges Haareraufen dann in der 45. Minute, denn Gomez machte seinen Negativ-Hattrick perfekt: Die dritte hunderprozentige Chance, und wieder brachte er es fertig, aus kurzer Distanz den Torwart anzuschießen. Ein tragisch-trauriges DFB-Comeback eines ehemaligen Torjägers. In der 56. Minute reagierte Löw und brachte Mario Götze für Gomez, der mit Pfiffen verabschiedet wurde. Götze füllte seine Joker-Aufgabe wie gewohnt aus: Nicht sehr lauffreudig, aber im entscheidenden Moment zur Stelle und anders als Mario Gomez auch treffsicher.