Totgesagte leben länger
9. Juni 2004Alexander Machowetz weiß, was er seinem Job schuldig ist: Den deutschen Ausstieg aus der Kernkraft sieht er als "Folgen der grünen Gesinnungspolitik - da spielen ideologische Betrachtungsweisen eine größere Rolle als volkswirtschaftliche Interessen." Machowetz ist Pressesprecher bei Framatome ANP, dem führenden europäischen Nuklearkonzern. Da kann man den Ausstieg aus der Atomenergie schon von Berufs wegen nicht gutheißen.
Doch auch wenn Machowetz ein bisschen über die Atomgegner wettert. Seinem Unternehmen und der Kernenergiebranche in Deutschland geht es im Kern nicht so schlecht, wie man denken könnte. Auch drei Jahre nach der Einigung über "die geordnete Beendigung der Kernenergienutzung zur gewerblichen Erzeugung von Elektrizität". Unter diesem Titel einigten sich Bundesregierung und deutsche Stromwirtschaft im Juni 2001 auf den Ausstieg aus der Atomenergie.
Atom macht weiter Arbeit
Zwar wurde mit der Novelle des Atomgesetzes, die am 22. April 2002 in Kraft trat, der Neubau von Atomkraftwerken in Deutschland verboten. Die rund 38.000 Angestellten, die in der deutschen Atomindustrie und Forschung arbeiten, brauchen sich um ihren Arbeitsplatz im Moment aber nicht zu sorgen, bestätigt Dr. Manfred Horn vom DIW Berlin. "Der Atomausstieg hat ja praktisch noch gar nicht begonnen", erklärt der Energieexperte. Bisher wurde nur ein Atomkraftwerk, das in Stade, abgeschaltet. Die anderen sind weiter am Netz und selbst wenn sie in Zukunft nach und nach abgeschaltet werden, gibt es für die Atomarbeiter noch genug Aufgaben, etwa beim Rückbau.
Alexander Machowetz bestätigt: "Momentan haben wir in Deutschland ein Marktvolumen wie vor dem Ausstiegsbeschluss." Denn die Framatome ANP ist nicht nur mit dem Bau von Kernkraftwerken beschäftigt, sondern betreut sie auch, modernisiert sie und versorgt sie mit Brennstoffen - alles Aufgaben, die weiterhin anstehen. Ohnehin war der Bau von neuen Kraftwerken über die letzten zehn bis zwanzig Jahre nur von untergeordneter Bedeutung. "Da waren vor allem Serviceleistungen gefragt, sonst war der Markt praktisch tot", erklärt Manfred Horn.
Großfusion in Nuklearindustrie
Anders könnte es aussehen, wenn es erst mal richtig ernst wird mit dem Ausstieg. Aber selbst für den nuklearen Ausstiegs-Ernstfall ist die deutsche Atomindustrie gut gerüstet. "Wir sind inzwischen international gut aufgestellt", erklärt Machowetz. Denn Framatome ANP ist das Ergebnis einer großen Atomfusion. 2001 haben Siemens aus Deutschland und die französische Framatome ihre Atomsparten zu dem neuen Konzern verschmolzen. Die Unternehmen hatten schon länger kooperiert und zusammen auch den europäischen Druckwasserreaktor EPR entwickelt.
Die Fusion hat erfreuliche Auswirkungen für die Deutschen, erklärt Machowetz. "Durch den Zusammenschluss sind wir relativ unabhängig vom heimischen Markt." Dem neuen Großkonzern gelang vor kurzem ein großer Coup. Er erhielt den Zuschlag für den Bau eines neuen Kernkraftwerks in Finnland. Es ist das erste Kernkraftwerk der dritte Generation und der erste AKW-Neubau in der EU seit zehn Jahren. Gesamtvolumen: drei Milliarden Euro. Dass die Deutschen das Kraftwerk mitbauen, obwohl die Kernkraft im eigenen Land "out" ist, hat für Energieexperten Manfred Horn auch mit der Fusion zu tun. "Es ist natürlich nicht besonders hilfreich für ein Unternehmen, wenn das Heimatland sagt: 'Das ist uns zu gefährlich.'"
Brüten über Atomplänen
Während die Deutschen der Kernenergie abgeschworen haben, brüten andernorts immer mehr Länder über Plänen für neue Anlagen. Die Atomkraft scheint eine Renaissance zu erleben. Nicht nur Finnland setzt auf Atomkraft, auch Frankreich denkt über den Bau des neuen Reaktors nach. Fünf der zehn neuen Beitrittsländer zur EU haben insgesamt 19 Atommeiler mit in die Gemeinschaft gebracht. Und in Fernost planen die Chinesen gleich eine ganze Batterie von neuen AKWs.
Kein Wunder, dass auch in Deutschland die Diskussion über Atomenergie neu entflammt ist. Erst vor kurzem hat die CSU-Regierung in Bayern ein langfristig angelegtes Gesamtkonzept zur Energiepolitik beschlossen. Darin enthalten: längere Laufzeiten für Atomkraftwerke und nötigenfalls auch der Neubau von AKWs. Außerdem verkünden Edmund Stoiber und Angela Merkel unisono, nach einem Wahlsieg der CDU/CSU 2006 komme der Ausstieg aus dem Ausstieg. Alexander Machowetz dürfte die Diskussion mit Freude betrachten. Er betont zwar, es sei Aufgabe des Bundes, die Rahmenbedingungen zu schaffen, aber "darauf vorbereitet sind wir natürlich schon."