Tourismus ist kein Garant für Entwicklung
26. August 2013Weil die Gäste ausbleiben, droht vielen Hotelangestellten in den Badeorten am Roten Meer in den kommenden Wochen und Monaten Zwangsurlaub. Dabei hatte sich der Tourismus in Ägypten gerade erst von der Revolution von 2011 erholt. Mit 11,5 Millionen besuchten 2012 wieder fast zwanzig Prozent mehr Reisende das Land der Pharaonen als im Vorjahr. "Tourismus ist eine der unverwüstlichsten Branchen weltweit", sagt die Pressesprecherin der UN-Welttourismusorganisation (UNWTO), Sandra Carvao. "Naturkatastrophen und Konflikte wirken sich zwar unmittelbar auf den Tourismus aus", so Carvao im DW-Interview, "aber sobald sich die Situation wieder normalisiert, erholt sich die Reisebranche. Oft wächst sie schneller als vor der Krise."
Deshalb sei der Tourismus ein wichtiger Entwicklungsmotor, vor allem für arme Länder, so die Kernbotschaft der UNWTO. Weltweit macht der Tourismus neun Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung aus, jeder elfte Arbeitsplatz hängt von dieser Branche ab. Das trifft so ähnlich auch auf Ägypten zu, wo der Tourismus der größte Arbeitgeber ist: 13 Prozent der Arbeitsplätze hängen direkt oder indirekt von der Reisebranche ab. Nicht nur das Hotelgewerbe, Taxifahrer und Souvenirhändler leben davon, auch das Baugeschäft, die Teppichindustrie sowie die Landwirtschaft und weitere Zulieferer für das Hotelgewerbe, wie Wäschereien und Handwerker zum Beispiel.
Qualität statt Masse
Diese Zahlen sagen jedoch nicht viel über die Qualität der Arbeit aus, gibt Antje Monshausen von der Arbeitsstelle Tourism Watch beim evangelischen Entwicklungsdienst Brot für die Welt zu bedenken. "Vielfach handelt es sich um saisonale und niedrig qualifizierte Beschäftigung, die kaum Aufstiegschancen bietet", so Monshausen gegenüber der DW. "In vielen Entwicklungsländern, die für Touristen attraktiv sind, lebt ein großer Teil der Bevölkerung unter der Armutsgrenze. Das zeigt, dass der Tourismus nicht unbedingt als Motor für Entwicklung gesehen werden kann."
In Ägypten lebt mehr als ein Fünftel der Bevölkerung unterhalb der nationalen Armutsgrenze, so das Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ). Und in Kenia, wo der Tourismus die wichtigste Devisenquelle ist und rund elf Prozent des Bruttoinlandsproduktes ausmacht, muss die Hälfte der Bevölkerung mit weniger als zwei Dollar am Tag auskommen.
Transparenz statt Korruption
Entwicklung ist aber nicht allein eine Frage des Geldes. Stabile politische Rahmenbedingungen sind ebenso wichtig wie ein schonender Umgang mit natürlichen Ressourcen und dem kulturellen Erbe, damit ein Land für Touristen attraktiv ist. Und ohne "good governance" und die Beteiligung der lokalen Bevölkerung an Entscheidungsprozessen werden die Einnahmen aus dem Tourismus kaum zu mehr Wohlstand beitragen. Die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) berät im Auftrag des BMZ zahlreiche Regierungen und Unternehmen unter anderem bei der Entwicklung von Reisezielen, dem Aufbau von Infrastruktur sowie der Öffentlichkeitsarbeit.
Dennoch sei der Tourismus "ein Thema, in dem die Entwicklungshilfe leider noch relativ wenig engagiert ist", bedauert Klaus Lengefeld, GIZ-Seniorberater für Tourismus und nachhaltige Entwicklung. "Nicht weil wir das nicht wollen, sondern weil wir nicht einbezogen werden." Vielen Regierungen sei es nicht recht, wenn von deutscher Seite Transparenz und good governance als Bedingung für die Entwicklungszusammenarbeit in diesem Sektor gefordert werden. "Ein ganz heikles Thema sind Landnutzungs- und Landbesitzrechte", weiß Lengefeld. Sowohl Unternehmen als auch Regierungen versuchen immer wieder, "auf nicht transparenter Ebene oder in einem gemauschelten Investitionsprozess besondere Vorteile zu bekommen", so Lengefeld im DW-Interview.
Leidtragend ist in der Regel die einheimische Bevölkerung. "Fischer berichten uns, dass ihnen durch den Bau von Hotels oder Jachthäfen der Zugang zu ihren Fischgründen verwehrt wird", beschreibt Antje Monshausen von Tourism Watch die Konsequenzen aus der touristischen Nutzung von Stränden und Küstenabschnitten. "Wir haben Fälle von landgrabbing, wo die Einrichtung von Nationalparks zur Vertreibung der lokalen Bevölkerung führt. Es kommt auch immer wieder zu Enteignungen von Land für den Bau von touristischer Infrastruktur wie Flughäfen und Hotelanlagen."
Kritik an unverbindlichen Regeln
Um genau solche Auswirkungen zu verhindern, hat die UNWTO, der 155 Länder angehören, bereits 1999 einen "Globalen Ethikkodex für den Tourismus" verabschiedet. Er versteht sich als ein Empfehlungskatalog für eine sozial, ökologisch und ökonomisch nachhaltige Entwicklung des weltweiten Tourismus. Darin wird das Recht auf Tourismus und Reisefreiheit ebenso festgeschrieben wie die Verantwortung der Reiseindustrie ihren Kunden, der Umwelt und den Gastländern gegenüber. Auch die Rechte von Arbeitnehmern werden erwähnt. In vielen Ländern seien "einige der Vorschriften des Kodex in nationale Gesetze eingeflossen", so Sandra Carvao von der UNWTO.
Weil das Zehn-Punkte-Papier der Welttourismusorganisation aber nicht verpflichtend ist, sei es "wenig effektiv", hält Antje Monshausen von Tourism Watch dagegen. "Es hat keine konkreten Umsetzungsmaßnahmen definiert". Monshausen fordert beispielweise die konsequente Umsetzung des Beschwerdemechanismus, der es Betroffenen im Konfliktfall ermöglicht, sich an das Ethikkomitee der UNWTO zu wenden, "wenn die Tourismusentwicklung in einem Gebiet die Lebensgrundlage und Interessen der Menschen beeinträchtigt." Auch die Umsetzung in den Unternehmen und Verbänden, die den Kodex unterzeichnet haben, müsse durch die UNWTO überprüft und angemahnt werden.
Vom 24. bis 29. August findet die Jahresversammlung der UN-Welttourismusorganisation (UNWTO) in Victoria Falls an der Grenze zwischen Sambia und Simbabwe statt.