Tradition, Dankbarkeit und Sühne: Thailands Mönche auf Zeit
30. Juli 2023Kaum hatte Palath Dilokloetthanakorn seinen Universitätsabschluss in der Tasche, entschloss sich der damals 22-Jährige für einen Schritt, den viele thailändische Männer machen, bevor sie ins Berufsleben einsteigen: Er trat in ein buddhistisches Kloster ein.
"Es ist eine Tradition, in die ich mich meinen Eltern zuliebe fügte", sagt Palath Dilokloetthanakorn im DW-Interview. "Dabei spielte auch eine Rolle, dass ich ihr ältester Sohn bin." Am Tag seiner Ordination seien seine Eltern überglücklich gewesen, berichtet er.
Palath Dilokloetthanakorn verbrachte einen Monat in einem örtlichen Tempel. In Thailand gilt ein solcher Aufenthalt als Übergangsritus. Viele junge Männer, die nach der Universität auf Jobsuche sind, verbringen die Wartezeit bis zum Berufseinstieg im Kloster.
"Der Gang ins Kloster ist eine Möglichkeit, sich bei der Familie für die Erziehung zu bedanken", sagt Uthit Siriwan, Religionsgelehrter und praktizierender Anhänger des Buddhismus. "Viele Menschen sind der Überzeugung, dass die Ordination große spirituelle Verdienste verleiht. Diese gehen nach allgemeiner Überzeugung auch auf die Eltern über."
Klösterliches Leben mit 227 strengen Regeln
Männer, die sich für diese Tradition entscheiden, müssen sich beim Einzug in das Kloster Kopf und Augenbrauen rasieren und im Morgengrauen in leuchtend orangefarbenen Gewändern barfuß durch die Straßen laufen. Ihre Aufgabe ist, von den Menschen in den örtlichen Gemeinschaften Essensgaben entgegenzunehmen.
Mönche, die der vorherrschenden Schule des Buddhismus, dem Theravada, anhängen, dürfen ihr Essen nicht selbst zubereiten. Sie dürfen nur gespendete Lebensmittel zu sich nehmen. Die Speisevorschrift ist nur eine von insgesamt 227 strengen Verhaltensregeln, die das Leben der Mönche bestimmen. Dazu gehören unter anderem das Verbot von sexuellen Beziehungen sowie der Verzicht auf Geld.
"Diejenigen, die ordiniert wurden, haben sich körperlichen und geistigen Trainings unterzogen. Sie haben einen besseren Sinn für Selbstdisziplin, Verantwortung und Bewusstsein als diejenigen, die auf die Ordination verzichteten", sagt Religionsexperte Uthit Siriwan.
Mönchtum als geistige Übung und praktischer Dienst
Er selbst habe im Kloster hauptsächlich praktische Hilfe geleistet, berichtet Palath Dilokloetthanakorn von seinem Aufenthalt in seinen frühen Zwanzigern. Auf die buddhistischen Lehren habe er sich weniger konzentriert. Aus diesem Grund trat er mit 35 Jahren ein zweites Mal in das Mönchsleben ein - ein Schritt, den viele Thais für außergewöhnlich halten.
"Die meisten Thailänder betrachten die Ordination als wichtiges Ereignis im Leben, das auch nur einmal stattfinden sollte. In letzter Zeit sehen immer mehr Menschen das allerdings anders", so die Beobachtung des Religionsgelehrten Uthit Siriwan. "Heute ziehen die jungen Männer es vor, mehrmals ordiniert zu werden. Das erscheint ihnen wie ein Kurs, der den Geist stärkt und auffrischt und Ermutigung und Inspiration verleiht". Für diese zeitlich begrenzten Ordinationen gibt es keinen festen Zeitraum. Die jungen Männer können zwischen einem Tag und mehreren Monaten im Kloster verbringen.
Das Bedürfnis, Gelegenheit zur persönlichen und spirituellen Entwicklung zu finden, brachte auch den 29-jährigen Nattapong Chaosangket dazu, ein klösterliches Leben zu beginnen. Ein Eintritt ins Kloster in diesem Alter erscheint vielen Thailändern als reichlich spät: Die meisten Männer werden im Alter von 20 Jahren und noch vor ihrer Heirat ordiniert.
Er selbst sei bis Anfang 20 allerdings ein "schwieriges Kind" gewesen, sagt Nattapong. Danach sei er dann selbst Vater geworden. "Wenn ich es früher getan hätte, hätte ich wahrscheinlich den ganzen Tag am Telefon verbracht und nichts gelernt", glaubt Nattapong.
In der Kritik: Demonstrative Sühne bei Fehlverhalten
Nicht jeder, der ins Kloster geht, tut dies aus spirituellen Gründen oder um seinen Eltern einen Gefallen zu tun. Manche entscheiden sich für diesen Schritt, um moralische Verantwortung zu übernehmen und für Verfehlungen zu büßen.
Diesen Sommer kam es bei einer Brandschutzübung in einer Schule in Bangkok zu einem Unfall, in dessen Folge ein Schüler ums Leben kam. Drei der beteiligten Feuerwehrmänner gingen daraufhin ins Kloster, um so zu zeigen, wie leid ihnen das Unglück tue.
Andere nutzten den Gang ins Kloster hingegen zum genau entgegengesetzten Zweck, so Uthit Siriwan. Sie wählten diesen Weg, um die Folgen ihrer Fehler möglichst zu minimieren. "Die thailändische Gesellschaft betrachtet Klöster als Orte der Vergebung", sagt der Experte. Gingen Menschen, die einen Fehler begangen haben, ins Kloster, würde ihnen dadurch verziehen.
Mehr als 90 Prozent der thailändischen Bevölkerung gehören dem Buddhismus an. Entsprechend hoch ist das Ansehen, das die Mönche in dem südostasiatischen Land genießen. Allerdings fällt die öffentliche Meinung nicht immer zu ihren Gunsten aus. Viele Thailänder fragen sich, ob diejenigen, die sich in ein Kloster zurückziehen, tatsächlich Reue empfinden und für ihre Taten ernsthaft büßen wollen.
Bekannt wurde im vergangenen Jahr etwa der Fall eines Polizisten, der mit seinem Motorrad einen Arzt angefahren und getötet hatte. Nach seiner Ordination argwöhnten viele Menschen, der Eintritt ins Kloster habe nur einem Zweck gedient: sich nachher wieder in der Öffentlichkeit zeigen zu können.
Ordinationen als Werbetour in Schulen
Um vollwertige Mönche zu werden, müssen Männer ein Mindestalter von 20 Jahren erreicht haben. Jüngere können zwar ebenfalls in das Kloster eintreten, werden aber nur als buddhistische Novizen ordiniert.
Um auf die Möglichkeit eines Klosteraufenthaltes aufmerksam zu machen, veranstalten viele Schulen in Thailand zu Beginn der Sommerferien groß angelegte Ordinationszeremonien. Der Erfolg ist allerdings überschaubar: Die meisten Kinder haben kein sonderliches Interesse an dem Angebot.
Bei dem 11 Jahre alten Kittiwat Penpato ist das allerdings nicht der Fall: Er hat an den Zeremonien bereits teilgenommen und will nun jedes Jahr wiederkommen, um dem Beispiel seines im Kloster lebenden Onkels zu folgen. "Die Zeremonie in der Schule dauert dieses Jahr nur neun Tage", sagt Kancharat Kotsri, die Mutter von Kittiwat. "Mein Sohn aber ist bis zum Beginn des neuen Semesters im Tempel geblieben." Wenn er erwachsen ist, wolle KIttiwat Mönch werden.
Frauen den Männern im Kloster nicht gleichgestellt
Frauen haben hingegen einen schweren Stand: Sie dürfen in Thailand nicht ordiniert werden. In diesem Punkt unterscheiden sich die Regeln des thailändischen Klerus von denen der Orden in Südkorea, China und Vietnam: Dort können Frauen durchaus zu den Mönchen gleichgestellte Nonnen ordiniert werden.
Als Alternative begnügen sich einige gläubige Buddhistinnen damit, sogenannte "Maechi" oder weißgekleidete Nonnen zu werden, die weniger strenge Regeln befolgen.
Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp