Krankenpflege in Deutschland
20. Oktober 2011Die staatliche Kranken- und Altenpflege in Deutschland hat inzwischen eine über 200-jährige Tradition. Vor 1800 wurden nur Arme oder Zugereiste in öffentlichen Häusern medizinisch betreut. Wohlhabende Bürger wurden zu Hause bei der Familie gepflegt. Ausnahmen bildeten sogenannte Cholera- oder Pesthäuser, in denen die Kranken von den Gesunden isoliert wurden. Als ein solches wurde zum Beispiel 1710 die Berliner Charité gegründet. Krankenschwestern, wie wir sie heute kennen, gab es damals noch nicht. Ihre Rolle wurde mehr schlecht als recht von den Wärterinnen übernommen. Doch es gab viele Klagen - und generell zu wenig Personal.
"Wilde Schwestern"
1832 gründete der Berliner Mediziner Johannes F. Dieffenbach (1792-1847) die erste Krankenwartschule mit einer dreimonatigen Ausbildung und gab das Buch "Anleitung zur Krankenwartung" heraus. Der Berufszweig begann sich danach - wenn auch zögerlich - herauszubilden. Es dauerte aber bis ins 20. Jahrhundert, bevor ein einheitlicher Status entstand. Das ist auch deshalb erstaunlich, weil sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts der Status des Mediziners stark verbesserte und Ärzte zu hoch angesehenen Bürgern wurden, was sie bis heute sind. Das Image- und Verdienstgefälle zwischen Arzt und Pflegepersonal war und ist noch heute immens.
Parallel dazu gab es in Deutschland Krankenpflege in konfessionellen Häusern. Hier stand neben der Krankenpflege auch die Seelsorge im Mittelpunkt. Man grenzte sich stark von der staatlichen Pflege ab, indem man zum Beispiel die dortigen Schwestern als "wilde Schwestern" diffamierte. Die Krankenpflege wurde von Ordensschwestern durchgeführt, die ihr gesamtes Leben der Krankenpflege widmeten und auf Privatleben verzichteten. Oft fanden hier auch von der Gesellschaft nicht gern gesehene unverheiratete Frauen eine Zuflucht. Erst nach 1945 wurde übrigens das Zölibat für die Schwestern aufgehoben! Damals leisteten sie eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung, die heutzutage durch ein Drei-Schicht-System gewährleistet wird.
Die dritte Säule in der Geschichte der deutschen Krankenpflege bildet die Kriegskrankenpflege vor allem durch die Schwesternschaft des Roten Kreuzes. Sie pflegten Kriegsverletzte und sicherten die Neutralität von Lazaretten. Initiator dieser Bewegung war der Schweizer Geschäftsmann Henry Dunant, der 1859 unfreiwillig Zeuge einer Schlacht wurde und sich fortan der Betreuung von Verletzten widmete.
Spiegel der Gesellschaft und der Politik
Seit 1902 gibt es eine Schwesternschaft an der Charité in Berlin. Der chronischen Unterversorgung versuchte man dadurch entgegen zu treten, indem bürgerliche Töchter höherer Stände angeworben wurden. Doch die Resonanz blieb verhalten.
1907 konnte das erste Mal ein Examen nach einer einjährigen Ausbildung abgelegt werden. Die Fortschritte im Ansehen des Berufes Krankenschwester zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden durch die Gründung der NS-Schwesternschaft 1934 zunichte gemacht. Die Arbeit der Krankenschwestern wurde unter ein ideologisches Diktat gestellt. Gemeindeschwestern meldeten "auffällige" Kinder, in Krankenhäusern fanden Zwangssterilisationen, Menschenversuche und Tötungen statt.
Bereits 1946 wurde in der sowjetisch besetzten Zone der Krankenhausbereich radikal verstaatlicht und die Ausbildung von Krankenhauspersonal auf ein akademisches Niveau gehoben. In den 1950er-Jahren wurde die Ausbildung an Fachschulen verlegt, 1981 dann sogar ein Diplom-Studiengang eingerichtet. In Westdeutschland wurde die Krankenpflege erst allmählich professionalisiert. Prägend blieben zunächst die großen Schwesternschaften, also die konfessionelle Pflege.
Wenig Anlass zu Nostalgie
Die Arbeitsbedingungen in der Krankenpflege hingen stets auch vom technischen Fortschritt ab. Eine große Erleichterung waren beispielsweise Gummimatten als Krankenbettunterlage oder die Einführung von Einwegspritzen, wodurch sich der Sterilisationsaufwand der Gerätschaften erheblich verringerte. Mehr Wert wurde früher auf Medikamentenlöffel oder Brüh-Tassen gelegt.
Verschwunden aus dem Arbeitsalltag sind die früher getragenen strengen Trachten, die typischen Ordensbroschen und die pflichtgemäße Kopfbedeckung. Die heutige Arbeitskleidung muss vor allem praktisch sein. Seit 2003 wurde die offizielle Berufsbezeichnung verändert in "Gesundheits- und Krankenpflege", um das Image zu verbessern. Ein Knochenjob aber bleibt dieser Beruf auf jeden Fall: Nahrungsaufnahme und -entsorgung bei Kranken zum Beispiel bleibt ein Bereich, der nicht von Maschinen geleistet werden kann. Die Begegnung mit dem Tod bleibt eine Grenzerfahrung, die zum Alltag des Personals in Krankenhäusern gehört.
Neuer Personalmangel
Die professionellen Pflegekräfte wurden in der Vergangenheit ost durch Zivildienstleistende unterstützt. Der Einsatz junger Männer, für die der Zivildienst eine Alternative zum damals noch obligatorischen Wehrdienst darstellte, trug dazu bei, Personalsituation im Kranken- und Pflegebereich erheblich zu verbessern. Zudem entschieden sich nicht wenige der sogenannten "Zivis" dafür, später einen Beruf in diesem Bereich zu ergreifen. Mit dem Aussetzen der Wehrpflicht und dem Ende des klassischen Zivildienstes wird der Gesundheitsbereich aktuell wieder mit Personal- und Nachwuchsproblemen konfrontiert. Der zum 1. Juli 2011 eingeführte Bundesfreiwilligendienst brachte bislang nicht die erhoffte Entlastung.
Vereinbarkeit von Pflege und Beruf
Über Jahrzehnte stand in Deutschland die Vereinbarkeit von Kinderbetreuung und Erwerbsarbeit im Vordergrund. Angesichts der Tatsache, dass der Anteil der Alten an der Gesamtbevölkerung ständig wächst, gewinnt inzwischen die Vereinbarkeit einer beruflichen Tätigkeit etwa mit der Pflege eines Familienmitgliedes zunehmend an Bedeutung.
Immer mehr Menschen reiben sich zwischen Job und Pflege auf. Von den rund zwei Millionen Pflegebedürftigen in Deutschland werden bereits 70 Prozent zuhause versorgt. Die Mehrzahl der Alten und Kranken möchte so lange wie möglich zu Hause bleiben und zieht deshalb eine Betreuung durch die Familie einer stationären Heimversorgung vor. Ihre Pflege wird neben ambulanten Pflegediensten immer häufiger von Angehörigen übernommen.
Das hat auch die Politik erkannt. Die Regierungsparteien CDU/CSU und FDP haben deshalb im 2009 geschlossenen Koalitionsvertrag Folgendes vereinbart: "Um den Familien die Chance zu geben, Erwerbstätigkeit und die Unterstützung der pflegebedürftigen Angehörigen besser in Einklang zu bringen, wollen wir mit der Wirtschaft und im öffentlichen Dienst bei Pflege- und Arbeitszeit verbesserte Maßnahmen zur Förderung der Vereinbarkeit von Pflege und Beruf entwickeln." Inzwischen wurde dazu auch ein Gesetz auf den Weg gebracht. Mit staatlicher Förderung der Familienpflegezeit soll pflegenden Angehörigen die Möglichkeit eröffnet werden, in einem Zeitraum von bis zu zwei Jahren zur häuslichen Pflege von Angehörigen mit reduzierter Stundenzahl im Beruf weiter zu arbeiten und durch eine staatlich geförderte Aufstockung ihres Arbeitsentgelts dennoch ihre finanzielle Lebensgrundlage zu erhalten.
Autor: Kay-Alexander Scholz / Manfred Böhm
Redaktion: Hartmut Lüning