Trainer der Werte: Jupp Heynckes wird 75
9. Mai 2020"Ich bin mit mir im Reinen und happy, wenn ich mein Leben in Stille genießen kann", sagte Jupp Heynckes in einem Interview mit dem Fachmagazin "Kicker" anlässlich seines 75. Geburtstags. "Ich brauche die Öffentlichkeit nicht. Da ist so vieles so oberflächlich." So redet nur einer, der alles erlebt hat. Der die höchsten Gipfel erreicht hat und durch tiefe Täler gegangen ist. Der angefeindet und in den Himmel gehoben wurde. Der einst Sätze wie diesen seines Trainerkonkurrenten Christoph Daum wegstecken musste: "Der könnte auch Werbung für Schlaftabletten machen." Andererseits aber auch Würdigungen anhörte wie jene seines guten Freundes Uli Hoeneß: "Er ist ein Vorbild an Ehrgeiz, Willen - aber auch Menschlichkeit". Jupp Heynckes ist sich immer treu geblieben und hat sich doch auch weiterentwickelt.
"Ich bin ein Perfektionist"
Heynckes stammt aus einer Handwerkerfamilie. Josef, den alle Welt Jupp nennt, war das neunte von zehn Kindern. Sein Vater führte im Mönchengladbacher Stadtteil Holt eine Schmiede, die seit 1823 in Familienbesitz war, seine Mutter hatte einen Tante-Emma-Laden. Beide lehrten ihren Sohn jene Werte, die er später als Spieler und Trainer vorlebte und auch von anderen erwartete: Disziplin, Engagement, Verlässlichkeit, Korrektheit.
"Ich bin ein Perfektionist", sagt Heynckes über sich selbst. Sein Vater vermittelte ihm eine Lehre als Stuckateur in einer Baufirma, für die Heynckes später auch als Bauleiter arbeitete - und auch ein wenig Fußball spielte. "Unsere Betriebsmannschaft war damals unschlagbar", erinnerte sich Karl Bühler, der Sohn des Firmenchefs. In dem Baunternehmen lernte Heynckes auch seine spätere Frau Iris kennen. Sie heirateten 1967 und bekamen später eine Tochter.
Welt- und Europameister
Zu dieser Zeit spielte Heynckes bereits in der Bundesliga. Als Jugendlicher war er zu Borussia Mönchengladbach gekommen. Erfolgstrainer Hennes Weisweiler holte 1964 den damals 19 Jahre alten Stürmer in jene "Fohlenelf", die dann in die höchste Spielklasse aufstieg und dort für Furore sorgte. 13 Jahre lang ging Heynckes in der Bundesliga auf Torejagd, davon zehn Jahre für die Borussia, drei (1967-70) für Hannover 96.
Mit insgesamt 220 Treffern liegt er hinter Gerd Müller, Klaus Fischer und Robert Lewandowski auf Platz vier der "ewigen" Torjägerliste der Liga. Mit den Gladbachern wurde Heynckes viermal deutscher Meister, gewann den DFB-Pokal und den UEFA-Pokal. Als Nationalspieler traf er in 39 Länderspielen 14-mal, wurde 1972 Europameister und 1974 Weltmeister. Bei der Heim-WM verletzte sich Heynckes allerdings in der Vorrunde leicht und verlor deshalb seinen Stammplatz an Bernd Hölzenbein, eine der größten Enttäuschungen seiner Spielerkarriere.
Hochroter Kopf
Die beendete er 1978 und wechselte auf die Trainerbank, zunächst als Co-Trainer unter Udo Lattek, später als Chefcoach "seiner" Gladbacher Borussia. Seine großen Trainer-Erfolge feierte Heynckes jedoch nicht dort, sondern später mit dem FC Bayern und Real Madrid. Außerdem trainierte er die spanischen Vereine Athletic Bilbao und CD Teneriffa, den portugiesischen Traditionsklub Benfica Lissabon und die Bundesligisten Eintracht Frankfurt, FC Schalke 04 und Bayer 04 Leverkusen.
Nicht alle Spieler kamen mit Heynckes perfektionistischer Art klar. So bezeichnete der exzentrische frühere Offensivspieler Wolfram Wuttke (er starb 2015) seinen Trainer zu Gladbacher Zeiten in einem Interview mit "11Freunde" rückblickend als "introvertierten Pedanten": "Einmal brachte ich 74,2 Kilo auf die Waage und er forderte, dass ich bis zum nächsten Spiel zwei Kilo abnehmen müsste. Am Freitag wog er mich erneut, ich hatte immer noch 600 Gramm zu viel. Heynckes' Kopf lief rot an, er verdonnerte mich zu einer Geldstrafe von 100 Mark pro 100 Gramm." Wuttke machte auch Heynckes' Spitznamen unter den Spielern öffentlich: "Osram", wegen der Neigung des Trainers, unter Druck einen hochroten Kopf zu bekommen. "Der glüht ja wie 'ne Osram-Birne", sagte Wuttke.
Höhepunkt: Triple mit dem FC Bayern
Mit den Bayern gewann Heynckes vier deutsche Meistertitel, den ersten davon 1989. Neun Jahre später, 1998, durfte er mit Real Madrid erstmals den Champions-League-Pokal in die Höhe recken, acht Tage danach wurde "Don Jupp", wie die Spanier ihn nannten, entlassen. Seinen größten Triumph als Vereinstrainer feierte Heynckes 2013, als ihm mit den Bayern das Triple gelang: deutscher Meister, Champions-League- und DFB-Pokalsieger. Er wurde zum "Welttrainer des Jahres" gekürt. "Wir waren eine verschworene Gemeinschaft, so eng miteinander verbunden, dass wir uns ohne große Worte verstanden haben", sagte Heynckes in einem Interview der "Welt am Sonntag" zu seinem 75. Geburtstag: "Es ist der Traum eines jeden Trainers, solch eine Mannschaft zu betreuen und zu führen."
Kleine Feier im "Haus der Katzen"
Auf dem Höhepunkt verabschiedete sich Heynckes in den Trainer-Ruhestand - vorläufig, wie sich herausstellte. Im Herbst 2017 übernahm er noch einmal den FC Bayern, als Freundschaftsdienst für Uli Hoeneß. Heynckes lieferte einen weiteren Meistertitel und sagte dann erneut "Servus". Seitdem genießt er das Leben auf seinem Bauernhof in Schwalmtal nahe Mönchengladbach, den er im Stil einer spanischen Finca zur "Casa de los Gatos" (Haus der Katzen) umbauen ließ.
Dort feiert er an diesem Samstag auch seinen runden Geburtstag, "im kleinen Kreis, bei einem Glas Wein", wie Heynckes ankündigte und lachend hinzufügte: "Wenn man älter wird, gibt es doch keinen Grund, überschwänglich zu feiern." Sein Ex-Spieler Bastian Schweinsteiger gratulierte Jupp Heynckes mit einem offenen Brief im Mitglieder-Magazin des FC Bayern: "Ich habe sehr viel von dir gelernt. Offenheit, Teamgeist, Ehrlichkeit, Arbeitsmoral hast du uns vorgelebt, heute vermisse ich diese Werte manchmal im Fußball."