Transatlantische Verschiebung
27. Februar 2003Gerhard Schröders striktes Nein zu einem Waffengang im Irak brachte Turbulenzen in eine vermeintlich unerschütterliche Partnerschaft: Das deutsch-amerikanische Verhältnis sei "vergiftet", meinte US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld. Obwohl Schröder, die Bundestagswahl vor Augen, nur der ablehnenden Haltung der Mehrheit der Deutschen gerecht werden wollte, provozierte er doch einen ungeahnten Streit. Die deutsche Position stand in Europa zunächst alleine da, doch nach und nach schlüpfte der Bundeskanzler ungewollt in die Rolle des Vorreiters für eine friedliche Lösung im Irak-Konflikt. Mit Jacques Chirac hat er einen mächtigen Mitstreiter gefunden.
Europas gespaltene Zunge
Paris und Berlin haben nach einer kurzen Eiszeit in ihren Beziehungen zu einer neuen Eintracht gefunden. Zur Achse Paris-Berlin gesellte sich im Februar 2003 auch noch Russland. Putin besuchte demonstrativ beide Länder und sprach sich dafür aus, den Waffeninspekteuren im Irak noch mehr Zeit zu geben. Die drei Länder starteten eine Initiative zu einer friedlichen Lösung des Irak-Konflikts. Eine von den USA geforderte zweite Irak-Resolution der UNO lehnen sie ab.
Die neue Harmonie zwischen den drei Ländern ist aber keine selbstlose. Chirac versucht, die Position Frankreichs in Europa zu stärken, und spürt nach anfänglicher Zurückhaltung nun breite Unterstützung für seinen Kurs bei den Völkern Europas. Und Russlands Präsident Putin hofft, dass der Tschetschenien-Konflikt und sein harter innenpolitischer Kurs aus dem Brennpunkt des internationalen Interesses rücken. Seitdem er sich auf die Seite der Friedensbefürworter geschlagen hat, ist er in der Beliebtheitsskala nach oben gewandert.
Auf der anderen Seite unterstützt Großbritanniens Premierminister Tony Blair die Politik der USA, genauso wie Spaniens Ministerpräsident José Maria Aznar und Italiens Ministerpräsident Berlusconi. Insgesamt acht EU-Mitglieder und EU-Aspiranten wie Polen und die Tschechische Republik erklärten ihre Solidarität mit den USA. Chirac gab sich daraufhin pikiert und schimpfte, dass diese acht "Abtrünnigen" eine gute Gelegenheit verpasst hätten, den Mund zu halten.
Zweckbündnis statt Liebesheirat
Die USA verfolgen traditionell eine realpolitische Außenpolitik. Sie haben schon früher Bündnisse auf Zeit geschmiedet, mit Leuten, die später wieder zu Feinden wurden. Ein Beispiel hierfür ist Saddam Hussein. Als Mitstreiter im Kampf gegen den Iran war er nützlich. Nun hat er den Iran als Todfeind der USA beerbt.
Nach einer Zeit der konstanten Bündnisse der Nachkriegszeit könnte der Irak-Konflikt zu einer neuen Periode der Zweckbündnisse führen, in der politische Verbindungen nur noch auf Zeit und in einer bestimmten Frage geschmiedet werden. Das wäre eine Herausforderung für die Diplomatie und für die taktischen Vordenker. Die Lösung von Konflikten und die Krisenprävention würden dadurch aber auch schwieriger. Denn die Zeit, in der die Bündniszugehörigkeit noch viele Fragen automatisch beantwortete, wäre damit vorbei.