Traum von der Rückkehr
1. April 2013"Yeah, wir kehren doch nach Deutschland zurück!" Der Freudenschrei des achtjährigen Adnan dauert nicht lange. Das Lachen in seinem Gesicht gefriert, als er erfährt, dass an seiner Tür kein deutscher Behördenvertreter, sondern nur ein Journalist aus Deutschland geklingelt hat. Adnan ist gemeinsam mit seinem 12-jährigen Bruder Senjur und ihrer Mutter Vesvije vor knapp einem Monat abgeschoben worden: aus dem niedersächsischen Landkreis Lüchow-Dannenberg in das Kosovo.
"Um fünf Uhr morgens ist die Polizei in mein Haus gekommen. Ich habe geschlafen, weil ich immer viele Medikamenten nehmen muss. Es waren ganz viele Leute: Ausländerbehörde, Polizisten, ein Arzt. Und sie sagten: 'Packt euere Sachen, ihr müsst nach Kosovo.' Hier ist es ganz schlimm!" Die 45-jährige achtfache Mutter Vasvije kann die Tränen nicht zurückhalten. Sie und ihre zwei jüngsten Söhne hatten damals nur Zeit, schnell ein paar Sachen einzupacken, dann wurden sie sofort ins Kosovo abgeschoben. Dort angekommen, wurden die drei in das sogenannte Roma-Viertel in Mitrovica im Norden des Kosovo gebracht.
Eine Nacht-und-Nebel-Aktion
Der 16-jährige Sohn Halit war in dieser Nacht nicht zu Hause, weil er nach einem Fußballspiel bei Freunden übernachtete. Da er nicht alleine zurückgelassen werden konnte, wurde Familienvater Zeki ebenfalls von der Abschiebung verschont. Somit ist die Roma-Familie ein weiteres Mal auseinandergerissen worden. Schon vergangenes Jahr wurden nämlich die drei ältesten Söhne der Familie Osmani ins Kosovo abgeschoben.
Vasvije und ihre fünf Söhne leben jetzt in einer Mietwohnung. Sie haben zwei Zimmer, aber alle sechs schlafen zusammen in einem Zimmer - auf dem Boden. Sie haben immer noch Angst vor der Polizei und vor möglichen Einbrüchen.
Die neue Wohnung in Mitrovica ist nur einem Steinwurf von dem Ort entfernt, wo die Osmanis früher einmal zuhause waren. "Sie sagten: Du musst nach Kosovo gehen. du hast da ein Haus, da hast du alles. Aber wir haben hier ja gar nichts", erzählt Vasvije und zeigt auf die Stelle, an der einmal ihre Familien-Hütte gestanden hat. Dort sieht man jetzt nur noch ein paar Steine.
In einer fremden Welt
Familie Osmani hat 16 Jahre in Deutschland gelebt. Die drei jüngsten Kinder sind in Deutschland geboren und zur Schule gegangen. Sie können keine andere Sprache außer Deutsch und etwas Roma. In Deutschland hatten sie eine Sechszimmerwohnung. Nun leben die sechs Mitglieder der Familie auf 30 Quadratmetern.
In diesem Viertel leben insgesamt knapp 1900 Menschen: Roma, Mitglieder der Volksgruppe der Ashkali und sogenannte Ägypter, eine albanischsprachige ethnische Minderheit auf dem Balkan. Auf der Strasse hört man sehr oft die deutsche Sprache, da viele der Familien aus Deutschland abgeschoben wurden. Die Abschiebungen wurden durch einen Vertrag zwischen der Bundesrepublik und dem Kosovo möglich gemacht, der im Jahr 2010 unterschrieben wurde. Von 2010 bis zum Februar dieses Jahres sind rund 2500 Kosovaren aus Deutschland ins Kosovo gegangen. Nur ein kleiner Teil davon hat Deutschland freiwillig verlassen, die meisten wurden abgeschoben.
Alte Flüchtlingslager sind aufgelöst
Das Roma-Viertel in Mitrovica ist in den vergangenen vier Jahren neu gebaut worden. Die Stadt hat dafür vier Hektar Land zur Verfügung gestellt. Und die Europäische Kommission sowie die US-Behörde für Entwicklungszusammenarbeit USAID haben mehr als fünf Millionen Euro investiert. Man spricht hier von dem modernsten Roma-Viertel auf dem ganzen Balkan. "Die Gemeinde Mitrovica ist das beste Beispiel für die Rückführung von Roma, Ashkali und Ägyptern. Sie haben hier sehr gute Bedingungen. Alle haben neue Häuser oder Wohnungen bekommen und leben viel besser als früher", sagt nicht ohne Stolz der Bürgermeister von Süd-Mitrovica, Avni Kastrati. Noch vor vier Jahren lebten zwischen 7000 und 8000 Roma unter unmenschlichen Zuständen in zwei Flüchtlingslagern im Norden von Mitrovica. Sie sind nun geschlossen.
"Es gibt keine offiziellen Daten, aber die Vertreter der Roma sagen, dass einige, die früher in diesen Flüchtlingscamps lebten, von dort nach Deutschland, Serbien, Montenegro, Mazedonien oder andere Teile des Kosovo gegangen sind", sagt Ahmet Jashari, Pressesprecher der Gemeinde Mitrovica. Viele wurden jedoch in das Roma-Viertel gebracht. Die Bedingungen hier könne man nicht mit dem Flüchtlingslager von früher vergleichen. Die Bewohner hätten neue Häuser, Wohnungen, eine Ambulanz, Einkaufsmöglichkeiten.
"Sie brauchen einen Neuanfang"
Es gebe auch Projekte für die Ausbildung und Weiterbildung der Roma. Dennoch sei das größte Problem die ganz schwierige wirtschaftliche Lage: "Für die Roma hier gibt es keine offiziellen Daten, man schätzt jedoch, dass die Arbeitslosigkeit bei mehr als 90 Prozent liegt", so Ahmet Jashari. "Wenn die Menschen aus dem Ausland kommen, benötigen sie Häuser, Wohnungen und eine Arbeit. Sie brauchen einen Neuanfang. Wir versuchen diese Probleme zu lösen, aber wir haben ja keine Möglichkeiten", betont Bürgermeister Kastrati.
Die Arbeitslosigkeit in Mitrovica und im Kosovo liegt bei mehr als 50 Prozent. Die Gemeinde Mitrovica und die Kosovo-Regierung geben eine finanzielle Unterstützung von 2000 bis 3000 Euro für Roma, die ein Kleinunternehmen gründen möchten. Das sei aber nicht ausreichend, sagt Kastrati, so könne man das Problem mit der Beschäftigung nicht lösen.
Die Regierung in Priština versucht, auch in Sachen Bildung zu helfen. Für die Rückkehrer gibt es ein Projekt zur Vorbereitung der Kinder auf die Einschulung. So ist auch in dem Roma-Viertel in Mitrovica. Die älteren Jungen und Mädchen besuchen Schulen, die in Serbisch unterrichten, im Norden der geteilten Stadt. Sicherheitsprobleme gibt es diesbezüglich nicht. Die jüngeren Kinder gehen dagegen in die Schulen im Süden von Mitrovica - dort ist der Unterricht auf Albanisch.
Zurück nach Deutschland
Das wird aber nicht überall so gehandhabt. "In den Gemeinden Gjakova, Fushë Kosova und Ferizaj gab es Versuche, die Roma-Kinder von anderen Kindern zu trennen und reine Roma-Klassen zu gründen. Das ist ein Schritt hin zu einer Art Segregation. Die Initiativen sind von beiden Seiten gekommen, sowohl den Roma als auch den Albanern. Eine Teilung haben wir aber nicht zugelassen", so Kosovos Bildungsminister Ramë Buja.
Die Roma-Kinder, die aus Deutschland ins Kosovo abgeschoben werden, sprechen meistens kein Albanisch oder Serbisch. So auch die Kinder der Familie Osmani, die außer Deutsch keine andere Sprache gut können. Deshalb besucht keines von ihnen irgendeine Schule. Mutter Vasvije ist verzweifelt: "Für uns gibt es hier keine Perspektive, kein Leben", sagt sie. Sie hoffen, wieder nach Deutschland zurückkehren zu dürfen. "Mein größter Traum ist es, wieder nach Deutschland zu gehen", sagt der achtjährige Adnan Osmani. "Die Kinder hier sind arm. Wenn ich sie sehe, tut es mir voll leid. Sie laufen barfuß, sie haben gar nichts, sind dreckig." Adnan wünscht sich, wieder zur Schule zu gehen: in Deutschland.