Trauriger Realismus
28. Juni 2004Betretenes Schweigen löste kürzlich der sonst in Deutschland überaus populäre ehemalige israelische Botschafter Avi Primor aus, als er in einer Podiumsdiskussion meinte, wirkliche Demokratie werde man im Irak wohl nicht so schnell sehen und dem Land werde vielleicht auch besser gedient sein mit einem neuen "starken Mann".
Political correctness und politischem Wunschdenken des deutschen Publikums war ein schwerer Dämpfer versetzt worden. Man hatte sich zwar die demokratische Domino-Theorie George W. Bushs für den Nahen und Mittleren Osten nie zu eigen gemacht. Seit dem "offiziellen" Ende der Kampfhandlungen vor 14 Monaten aber hatte man dann doch immer ungeduldiger mit den Füssen gescharrt und eine rasche Demokratisierung des Irak eingefordert.
Solche Forderungen oder auch nur Erwartungen waren nicht gerade mit viel Sachkenntnis untermauert. Der Blick war - und ist - vernebelt durch die unsägliche Folteraffäre und durch die kontinuierliche Zerpflückung auch des letzten offiziellen Kriegsgrundes: Es gab weder Massenvernichtungswaffen noch das Bündnis Saddams mit dem internationalen Terrorismus. Dem gegenüber tobt im Irak ein Kampf gegen Besatzer, gegen Mitglieder der Übergangsregierung, gegen Ausländer oder auch gegen alle, die nur am Versuch beteiligt sind, einen neuen, besseren Irak aufzubauen. Nachdem aber selbst die USA von "Aufständischen" sprechen, verstärkt sich das Gefühl, es handle sich um einen Kampf gegen fremde Besatzung, der völkerrechtlich - und erst recht gefühlsmäßig - sanktioniert ist.
Keine gute Ausgangslage für die Machtübergabe. Wenn auch offiziell die Verantwortung in die Hände der Übergangsregierung gelegt wird: Sie wird einen äußerst schweren Stand haben. Ihre Mitglieder werden weiterhin gefährdet sein, denn es gibt keinen Grund anzunehmen, dass die Anschläge und Überfälle aufhören. Anschläge, die nur eines bezwecken: Terror auszuüben und eine Normalisierung zu verhindern. Die Selbstmordbomber und Geiselnehmer handeln nicht im Interesse der irakischen Bevölkerung. Das konzentriert sich längst auf einen - und nur einen - Punkt: Sicherheit.
Ohnehin war es übertrieben, binnen weniger Monate eine Demokratisierung des Landes zu erwarten: Deutschland brauchte nach dem Zweiten Weltkrieg vier Jahre bis zu den ersten freien Wahlen und zehn Jahre bis zur Souveränität. Warum sollte solch ein Prozess im Irak schneller gehen, wo es ja noch nicht einmal eine demokratische Vergangenheit, sondern praktisch nur totalitäre Herrschaft gegeben hat?
Vierzehn Monate nach dem offiziellen Ende der Kampfhandlungen ist der Traum auch des irakischen Bürgers von Freiheit und Demokratie verblasst und dem einfachen Wunsch nach Sicherheit und Überleben gewichen. Und die Übergangsregierung wird - und will - dem Rechnung tragen: Die Sicherheitskräfte sollen verstärkt, alte Offiziere wieder eingestellt werden und Notstandsverordnungen sollen der Regierung freie Hand geben, gegen Terroristen und Gewalttäter vorzugehen.
Ein solches Durchgreifen gegen die Gewalttäter ist aber auch eine Garantie dafür, dass die Sicherheitslage sich kaum bessern dürfte. Und das stellt auch die nächsten Schritte in Frage: Wie sollen Wähler und Kandidaten motiviert werden, wenn sie automatisch zur Zielscheibe von Extremisten werden? Wahlen sollen Anfang 2005 stattfinden, wie schon in Afghanistan könnten solche Termin-Pläne aber rasch den Entwicklungen vor Ort zum Opfer fallen. Schließlich gibt es das "klassische" Risiko: Die Regierung muss mit harter Hand gegen Gewalttäter vorgehen, sie riskiert dadurch aber auch eine Vertiefung der Kluft und die Aussetzung gerade der Freiheiten, die die Demokratie bringen soll. Der 28. Juni ist deswegen sicher ein wichtiger Termin, aber doch kaum mehr als der Auftakt zu einer mehr als zweifelhaften neuen Periode in der bedauernswerten Geschichte des Irak.