Kinderoper in Bayreuth
12. August 2013Probebühne IV gilt längst als Geheimtipp unter Bayreuth-Insidern. Hier, im Schatten des großen Festspielhauses, wird das Projekt "Wagner für Kinder" umgesetzt. 2009 startete es mit einer phantasievollen und kindgerechten Adaption des "Fliegenden Holländer". Es folgten "Tannhäuser", "Der Ring des Nibelungen" und die "Meistersinger von Nürnberg". In diesem Jahr wagte man sich nun an das Werk, das im ganzen Opernrepertoire wohl als das untauglichste für Kinder gelten darf: Wagners Liebesdrama "Tristan und Isolde". Und - es funktionierte.
In einem Boot
Alle sitzen in einem Boot, klein und groß. Die Wellen rauschen, die Mäste quietschen. Die Bühnenbildnerin Judith Philipp und der Regisseur Michael Höppner verwandeln die Bühne in ein grob gezimmertes Schiff, auf dessen Deck sich die ganze Handlung abspielt. Ein glubschäugiger blauer Fisch versichert im Programmheft: "Die Geschichte von Tristan und Isolde, die ich Euch erzählen möchte, ist wirklich tragisch." Das kann man wohl sagen.
Isolde ist eine Prinzessin, das sieht man gleich. Sie ist extrem schlecht gelaunt. Kein Wunder: Sie ist von Tristan gekidnappt worden und soll nun König Marke heiraten, den sie weder kennt noch liebt. Das ist doch schrecklich oder? Die Kinder sind sich einig.
"Deine Hochzeit wird endlich Frieden zwischen unseren Ländern stiften", versucht Dienerin und Freundin Brangäne die arme Isolde zu beschwichtigen. Die aber ist untröstlich; sie will nur noch eins: sterben. Doch sie hat noch eine Rechnung mit Tristan offen, der auf dem oberen Deck sitzt und angelt. "Räuber! Verbrecher! Mörder!" brüllt Isolde ihn an und hält ihm den Helm von Morold entgegen, ihrem von Tristan getöteten Verlobten.
Kürzung mit Köpfchen
"Als ich die Fassung der Oper von Daniel Weber bekam, war ich sehr glücklich, dass es nicht so hingebogen war, wie sich Erwachsene denken, dass es kindgerecht sein könnte", gesteht Regisseur Michael Höppner. Reduziert, direkt und ehrlich erzählt er eine Geschichte von unglücklicher Liebe - ohne Verniedlichungen und ohne den Kerngedanken des Werkes auszublenden.
Daniel Weber und Marko Zdralek strichen Libretto und Musik von viereinhalb Stunden auf eine knapp eineinhalbstündige Fassung zusammen, die es jedoch schafft, nicht nur die wichtigsten Momente der Oper wiederzugeben, sondern auch den Sog von Wagners Musik zu entwickeln. Das ist vor allem den 30 Musikern des Brandenburgischen Staatsorchesters aus Frankfurt an der Oder zu verdanken: Sie verstehen es, ein ganzes Wagner-Orchester (die Originalpartitur sieht das Dreifache der Besetzung vor) zu ersetzen.
Selbstmord mit Hindernissen
Die Regie tut alles, um Wagners kompliziertes Drama kindgerecht zu verpacken. Brangäne mixt in ihrem Zauberlabor Liebes- und Todestränke; es blubbert und leuchtet und das Zielpublikum ist begeistert. Später dürfen die Kinder Kostproben mit nach Hause nehmen. Währenddessen hat sich schon das Wunder der Liebe angebahnt. "Ich will, dass nichts mehr zwischen uns steht", sagt Tristan. Vielsagend blickt Isolde zurück. Nur der Tod kann beide vereinen, ist sie doch Tristans Herrn, dem Könige Marke, versprochen und eine gemeinsame Zukunft mit Tristan nicht möglich.
"Wenn man das Stück so sieht, sind beide von Anfang an nur damit beschäftigt, sich aus der Welt zu schaffen", stellt der Regisseur Michael Höppner fest. Es geht aber immer etwas schief: Mal kommen Leute dazwischen, dann wird der Becher mit dem Todestrank versehentlich umgeworfen, oder das Schiff geht nicht unter. "Das hat fast was Komödiantisches, was herrlich Absurdes", so der Regisseur.
Gebrochene Herzen, abgerissene Musik
Trotz aller Lacher: Auch in der Kinderfassung von Tristan und Isolde gibt es kein Happyend. Die Regie bleibt werkgetreu. Kein daher segelndes Boot, kein geheimnisvoller Nebel rettet die Liebenden. Sie sterben wirklich – Tristan an einer tödlichen Wunde, Isolde an gebrochenem Herzen. Der Wind weht, die Masten quietschen. Die Helden sind tot, und doch ist es für sie der glücklichste Moment in der ganzen Geschichte. "Die größte Herausforderung war zu zeigen, dass Tristan und Isolde sich freiwillig dafür entscheiden, in den Tod zu gehen", sagt der Regisseur. "Das ist schon eine ziemliche Provokation von Wagner. Aber man muss es so hinnehmen."
Hinnehmen muss man allerdings auch, dass die von Wagner als unendlich konzipierte Musik immer wieder einfach abreißt; schließlich wurde sein Werk radikal gekürzt. "Am Seltsamsten ist das im 2. Akt, als die Musik den großen Liebestaumel untermalt", findet Dirigent Boris Schäfer. Nach ungefähr drei Minuten, während der größten Ekstase, ist alles vorbei. Tut das den Musikern nicht weh? "Mittlerweile nicht mehr", gesteht der Dirigent. "Wir hatten erst überlegt, an dieser Stelle eine Kadenz und noch einen C-Dur-Schluss einzubauen. Aber dann haben wir es weggelassen, weil es so ehrlicher und radikaler ist."
"Ich werde Isolde immer lieben"
"Ich finde diese Geschichte gar nicht so traurig", meint Isolde-Darstellerin Irene Theorin. "Schließlich gehört der Tod zum Leben." Schließlich habe sich jedes Kind - das Stück sei ja ab acht Jahren angelegt - schon Gedanken über den Tod gemacht: Ist es ein Nichts? Ist es eine andere Welt? Die vom Maskenbildner kunstvoll angebrachte offene Wunde kann heutzutage höchstens einen Erwachsenen erschrecken, nicht aber ein abgebrühtes Grundschulkind. Und auch wenn die Kleinen nicht gleich alles verstehen: Eine wunderbare erste Begegnung mit der Oper ist diese Inzenierung allemal, allein schon wegen der Sänger von Weltniveau.
"Man muss den Kindern die Möglichkeit bieten, sich überhaupt mit dem Genre Oper zu beschäftigen", meint die Festspielleiterin Katharina Wagner, auf deren Initiative das Projekt "Kinderoper" zurückgeht. "Im Musikunterricht kommt die Oper viel zu kurz, weil die Stunden immer weniger werden. Aber man merkt, wie begeistert die Kinder Zugang finden." In der Tat: Nach der Aufführung tritt ein kleines Mädchen auf Sängerin Irene Theorin zu und versichert ihr bewundernd: "Ich werde Isolde immer lieben."