Trotz Protest: Mexikos Senat verabschiedet Justizreform
11. September 2024Die Stimmung im Parlament von Mexiko war angespannt. Demonstranten drangen in das Gebäude ein. Die Sitzung wurde unterbrochen von Rufen und Protesten. Schon seit Wochen gibt es Widerstand insbesondere aus dem Bereich der Justiz gegen ein Vorhaben der Regierungspartei Morena. Doch nun hat der mexikanische Senat die umstrittene Justizreform gebilligt. Gegen Mitternacht nahm der Senat mit 86 gegen 41 Stimmen das Vorhaben an.
Die Reform ist eine Herzensangelegenheit von Mexikos scheidenden Präsidenten Andrés Manuel López Obrador und wurde bereits im Unterhaus verabschiedet. Der Staatschef, dessen sechsjährige Amtszeit am 30. September endet, wirft der mexikanischen Justiz vor, sie sei korrupt und bediene wirtschaftliche und kriminelle Interessen.
Protest im Plenarsaal
Der Senat musste die Debatte am Dienstagabend (Ortszeit) zwischenzeitlich unterbrechen und an einen anderen Ort verlegen, nachdem erzürnte Mitarbeiter der Justizbehörden den Plenarsaal gestürmt hatten. Sie hielten Plakate hoch, unter anderem mit der Aufschrift: "Ich möchte aufgrund meiner Qualifikationen Richterin werden, nicht aufgrund Ihrer Stimme". Die Polizei setzte Tränengas gegen die Demonstranten ein.
Senatspräsident Gerardo Fernández Noroña ordnete zunächst eine Sitzungspause und dann eine Verlegung in ein anderes Gebäude an. Als die Sitzung am Dienstagabend fortgesetzt wurde, riefen Demonstranten vor dem Gebäude in Sprechchören: "Herr Senator, stopp den Diktator!"
Kernstück der Reform ist die Wahl von mehr als 6500 Richtern und Magistraten, einschließlich des Obersten Gerichtshofs, direkt durch das Volk. Zudem soll die Zahl der obersten Richter von elf auf neun reduziert sowie ihre Amtszeit auf zwölf Jahre verkürzt werden. Die Mindestaltersgrenze von 35 Jahren soll abgeschafft und die erforderliche Berufserfahrung auf fünf Jahre halbiert werden.
Für die Justizreform ist eine Verfassungsänderung nötig. Die Regierungsallianz unter der Führung der Morena-Partei konnte die dazu nötige Zwei-Drittel-Mehrheit im Senat erreichen, nachdem in den vergangenen Tagen drei Senatoren die Seite gewechselt hatten. Darunter ist Miguel Ángel Yunes Márquez, Sohn eines ehemaligen Gouverneurs von Veracruz von der rechten PAN. Gegen Vater und Sohn sind im von Morena regierten Bundesstaat Veracruz mehrere Prozesse offen. Die Opposition vermutet, dass diese Verfahren nun eingestellt werden könnten, und bezeichnet den Seitenwechsel des Senators als Verrat.
Oppositionsvertreter warfen dem Regierungslager zudem unlautere Taktiken vor, um sich die notwendigen Stimmen zu sichern. So soll ein Senator festgehalten worden sein, um ihn an der Abstimmung zu hindern und andere unter Druck gesetzt oder bestochen worden sein. Die Regierungspartei wies die Vorwürfe zurück.
Kritik auch aus dem Ausland
Die USA und Kanada als wichtigste Handelspartner Mexikos haben gewarnt, dass die Reform das nordamerikanische Freihandelsabkommen USMCA untergraben und sich negativ auf Investitionen auswirken könnte. Präsident Lopez Obrador rechtfertigt die Pläne hingegen als entscheidend für die Wahrung der Integrität der mexikanischen Justiz und dafür, dass sie dem Volk und nicht kriminellen Interessen dient. Kritiker befürchten jedoch, es handle sich um eine beunruhigende Machtkonzentration in den Händen der Regierungspartei Morena.
Der scheidende Präsident López Obrador ist in Mexiko sehr beliebt und seine Partei kontrolliert bereits die Exekutive und die Legislative. Die nächste Präsidentin, seine politische Ziehtochter Claudia Sheinbaum, unterstützt die Reform.
Bangen um die demokratischen Gegengewichte
Umstritten ist vor allem das geplante Auswahlverfahren der Richter. Das Staatsoberhaupt und das Parlament - beide derzeit in der Hand der Regierungspartei - sowie der Oberste Gerichtshof werden zu gleichen Teilen die Kandidaten vorschlagen. Kritiker fürchten einen stärkeren Einfluss der Politik und der organisierten Kriminalität auf die Justiz infolge der Wahl von Richtern.
Aus Protest streiken in dem lateinamerikanischen Land die rund 1700 Bundesrichter seit fast drei Wochen unbefristet. Auch Tausende Justizangestellte haben die Arbeit niedergelegt. Der Oberste Gerichtshof und die Bundesgerichte behandeln derzeit nur dringende Fälle. Zu Beginn der Beratungen im Senat gingen am Sonntag insbesondere Richter, Jura-Studenten und Justizangestellte gegen die Reform auf die Straße.
Ratifizierung in den Bundesstaaten
Nun müssen mindestens 17 der 32 Parlamente in den Bundesstaaten die Reform ratifizieren, was als sicher gilt. Zwischen 2025 und 2027 sollen laut den neuen Regeln zunächst alle Bundesrichterposten neu besetzt werden - auch die am Obersten Gerichtshof.
AR/se (epd, afp, dpa, rtr)