Was hat Europa zu erwarten?
7. November 2016Die Europäer haben in den vergangenen 15 Jahren eher enttäuschende Erfahrungen mit amerikanischen Präsidenten gemacht. Das galt im Verhältnis mit dem Republikaner George Bush genauso wie mit dem Demokraten Barack Obama. Die Bush-Jahre waren stark von den Auseinandersetzungen um den Irakkrieg und den Kampf gegen den Terrorismus gekennzeichnet. Bush teilte die Europäer ein. Er unterschied zwischen solchen, die seinen harten Kurs mittrugen, und jenen, die ihn ablehnten. Auch Europa selbst hat sich darüber tief gespalten.
Als der Demokrat Barack Obama 2009 ins Präsidentenamt gewählt wurde, hofften viele Europäer auf einen Neuanfang in den transatlantischen Beziehungen. Als seine neue Außenministerin Hillary Clinton erstmals nach Brüssel kam, wurde sie begeistert empfangen. Die Eiszeit schien zuende. Doch insgesamt konnte von einer neuen Nähe zwischen den USA und Europa keine Rede sein. Denn Obama interessierte sich kaum für Europa und zeigte das auch. Er wandte sich vor allem Asien zu.
Weißes Haus soll sich wieder Europa zuwenden
Manche in Europa und Amerika hoffen jetzt erneut auf eine Wiederbelebung einer engen transatlantischen Partnerschaft. "Europa sollte beim nächsten Präsident auf der Prioritätenliste an erster Stelle stehen, denn hier geht es um die wichtigste strategische Allianz, die die Vereinigten Staaten haben", rät etwa Erica Chenoweth, Expertin für internationale Sicherheitspolitik von der Universität Denver, im Gespräch mit der Deutschen Welle. "Der nächste Präsident muss sich Europa wieder so zuwenden, wie wir das seit den 1990er Jahren nicht mehr erlebt haben."
James Jay Carafano, Experte für nationale Sicherheit bei der konservativen Heritage Foundation in Washington, empfiehlt dem nächsten Bewohner des Weißen Hauses vor allem, sich in Europa um Frieden und Sicherheit zu kümmern. Beides sieht er durch Russland bedroht. "Die wichtigste Frage für die amerikanische Sicherheitspolitik wird die russische Außenpolitik gegenüber Europa sein." Die USA sollten wieder mehr für eine "vereinte NATO" tun, "die sich wirklich auf ihre Kernmission konzentriert, nämlich die Verteidigung der transatlantischen Gemeinschaft".
Auch Clinton steht unter Zwängen
Wer auch immer die US-Wahl gewinnt, in jedem Fall müssen sich die Europäer auf einige Veränderungen einstellen, glaubt Janis Emmanouilidis vom Brüsseler European Policy Centre. Gewinne Trump, würde sich "sehr viel ändern, denn seine Positionen sind radikal anders als die des bisherigen Präsidenten oder die bisheriger Administrationen insgesamt". Doch auch bei einer Präsidentin Clinton werde es Veränderungen geben, "denn sie würde ein Land regieren, das tief gespalten ist." Dies werde Druck auf sie ausüben, "und das hätte Auswirkungen auf ihre Außenpolitik".
Auch Ronald Freudenstein vom Brüsseler Martens Centre, das den Christdemokraten nahesteht, warnt vor der "Illusion, unter Hillary bliebe alles mehr oder weniger beim Alten", auch wenn sich unter Trump mehr ändern würde. Denn: "Die Wut über das Establishment, die Trump und auch Sanders verkörpern, sind Faktoren, mit denen auch Hillary Clinton rechnen müsste. Das geht von der Wirtschafts- über die Handels- bis zur Außenpolitik. Auch wenn sie auf all diesen Gebieten viel vernünftigere Ideen hat als Trump, muss sie auf den Frust vieler Amerikaner in unteren bis mittleren Gesellschaftsschichten eingehen."
TTIP? Vielleicht nach einer Schamfrist
In der Sicherheitspolitik - zum Beispiel gegenüber Russland oder Syrien - stünde Clinton laut Emmanoulidis wohl für eine gewisse Kontinuität, sie würde aber auch von den Europäern "mehr Verantwortung" im Bereich der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik fordern. Bei Trump wären hingegen "radikale Veränderungen" zu erwarten: "noch mehr Abschottung und eine noch härtere Hand". Im transatlantischen Verhältnis würde es "oft sehr schwierig, einen gemeinsamen Nenner zu finden", glaubt Emmanouilidis. Ronald Freudenstein meint: "Unter Trump würde die US-Aussenpolitik erst einmal unberechenbar."
Am Freihandelsabkommen mit Kanada hat man gesehen, dass die Probleme vor allem auf europäischer Seite liegen. Das wäre vermutlich auch bei TTIP so, dem geplanten Abkommen mit den USA. Was die amerikanische Seite betrifft, so glaubt Janis Emmanouilidis, dass sie unter einer Präsidentin Clinton Interesse an TTIP hätte und das Abkommen nach einer gewissen Phase - "vielleicht ein Jahr" - möglich machen würde.
Begrenzte Partnerwahl
Zwischen Trump und den euroskeptischen, autoritären, fremdenfeindlichen Bewegungen Europas sehen beide Experten einige Parallelen. Roland Freudenstein fasst sie zusammen als "Wut gegen die Eliten, Angst vor der Globalisierung, die Wiederentdeckung der Identitätspolitik." Er sagt jedoch voraus: "Das Pendel wird irgendwann wieder auf die andere Seite ausschlagen, wenn offensichtlich wird, dass all die populistischen Bewegungen nur Chaos produzieren."
Doch wird es nach vielen Jahren unterkühlter Beziehungen wieder eine Renaissance des Transatlantischen geben? Mit einem Präsidenten Trump können sich das beide Experten schwer vorstellen. Auch unter einer Präsidentin Clinton wäre eine enge Zusammenarbeit wie noch zu Zeiten ihres Mannes nicht selbstverständlich. Doch Janis Emmanouilis glaubt: "Clinton weiß, und in Europa weiß man auch, dass man sich gegenseitig braucht in Zeiten, in denen so viel Ungewissheit herrscht. Denn am Ende hat man gar nicht so viele starke Partner, die auf der gleichen Seite stehen."