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Politik

Trumps Truppenabzug: Viele Fragen bleiben

16. Juni 2020

Der US-Präsident will Deutschland für angebliche Tricksereien bestrafen und sein Geld zurück. Die Soldaten sind das Faustpfand. Kann man so in der NATO abrechnen? Bernd Riegert aus Brüssel.

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US Soldat salutiert
Steht der Abschied aus "Germany" bevor? US-Soldat salutiert (Archivbild)Bild: picture-alliance/A. Widak

Die Ankündigung des Abzugs von US-Truppen aus Deutschland kommt nicht überraschend. Seit einem Jahr drohten der ehemalige US-Botschafter Richard Grenell und der amerikanische Präsident Donald Trump immer wieder einmal damit, um das "pflichtvergessene, säumige" Deutschland für seine aus Sicht des Weißen Hauses zu niedrigen Verteidigungsausgaben zu "bestrafen". Die deutsche Regierung erfuhr offiziell erst am Tag der Entscheidung, also an diesem Montag, von dem möglichen Abzug. Die NATO-Verbündeten wurden wohl überhaupt nicht unterrichtet. So jedenfalls ist eine Antwort des NATO-Generalsekretärs Jens Stoltenberg auf eine entsprechende Frage der DW bei einem Pressebriefing am Dienstag zu verstehen. "Letzte Woche war das noch ein unbestätigter Bericht in den Medien. Jetzt haben wir eine Bestätigung", sagte Stoltenberg. Präsident Trump hatte sich gestern auf eine Reporterfrage kurz dazu geäußert. "Wie und wann das Ganze umgesetzt wird, ist nach wie vor nicht klar. Deshalb ist es wichtig, dass wir in der NATO jetzt einen Dialog darüber führen", meinte der Generalsekretär in Brüssel. Im Übrigen seien Anpassungen der Truppenstärken nichts Neues und ganz normal.

UK NATO Gipfel | Merkel und Trump
Präsident Trump (re.) beschwert sich bei Kanzlerin Merkel wiederholt über mangelnde Verteidigungsausgaben. Hier beim NATO-Gipfel 2019 in LondonBild: picture-alliance/dpa/M. Kappeler

Die drei Minuten lange Einlassung von US-Präsident Trump zu seiner Entscheidung wirft viele Fragen auf. Einige davon werden hier beantwortet:

Wie viele Truppen sollen aus Deutschland abgezogen werden?

Präsident Trump spricht davon, dass es im Moment 52.000 US-Soldaten in Deutschland geben würde und er diese Zahl "auf 25.000 halbieren" wolle. Tatsächlich sind in Deutschland derzeit nach Angaben des US-Verteidigungsministeriums 34.500 Soldaten und etwa 17.000 zivile Beschäftigte der US-Streitkräfte stationiert. Bei einer Reduktion der Zahl der Soldaten auf 25.000 würden also 9500 abgezogen. Die Zahl der tatsächlich in Deutschland befindlichen amerikanischen Soldaten schwankt ohnehin, da die Truppen rotieren und sich dabei manchmal überlappen oder zeitweise größere Kontingente zu temporären NATO-Übungen auf dem Truppenübungsplatz Grafenwöhr unterwegs sind.

Welche Truppen der US-Armee sind in Deutschland stationiert?

Die USA unterhalten in Ramstein einen großen Luftwaffenstützpunkt, der vor allem als Drehkreuz für Einsätze im Mittleren Osten, Afghanistan, Irak und Afrika dient. In Landstuhl betreiben die US-Streitkräfte ein großes Militärhospital. In Wiesbaden und in Stuttgart sind Kommandozentralen für Einsätze in Afrika und Europa untergebracht. In Grafenwöhr wird der größte NATO-Truppenübungsplatz unterhalten. In Spangdahlem ist eine Staffel F-16-Kampfflugzeuge stationiert. Diese Truppen sind Teil der NATO-Verteidigungsstrukturen in Europa. Größere Kampfverbände zur Landesverteidigung Deutschlands sind, anders als von Präsident Trump behauptet, nicht dabei. Die Einrichtungen zu verlegen oder abzuziehen wäre nach Auffassung von Militärexperten zwar möglich, aber sehr teuer. Militärisch und strategisch hätte eine Schwächung der Präsenz wenig Sinn.

Deutschland Landstuhl | US-amerikanisches Militärkrankenhaus
Militärkrankenhaus Landstuhl: Verwundete aus Afghanistan werden hier behandelt. Bild: picture-alliance/AP Photo/M. Probst

Warum ziehen die USA die Truppen ab?

Donald Trump bezeichnet Deutschland als "delinquent", was man als verbrecherisch, pflichtvergessen oder säumig übersetzen kann. Er macht keinen Hehl daraus, dass es sich um eine politische Strafaktion handelt. "Wir reduzieren auf 25.000 und dann schauen wir mal, was passiert", sagte er am Montag. Deutschland habe die USA in Handelsfragen, mit seinem Exportüberschuss und dem Kauf von Erdgas in Russland jahrzehntelang übers Ohr gehauen. Offenbar soll Berlin nun durch reduzierte Truppen zur Änderung der Handelspolitik gezwungen werden.

Wer muss für diese Truppen bezahlen?

In der NATO gilt das Prinzip, dass die Kosten für Stationierungen und Einsätze vom Entsendeland getragen werden. Die Personalkosten für alle US-Streitkräfte in ganz Europa kommen also aus dem Militärhaushalt der USA. 2019 haben die USA dafür etwa 30 Milliarden Euro ausgegeben. Das entspricht knapp fünf Prozent des gesamten Etats im Pentagon. Die Behauptung von Präsident Trump, Deutschland schulde den USA für die stationierten Soldaten Milliarden von Dollar, ist also falsch. Jedes Mitgliedsland zahlt für seine Truppen selbst. Deutsche Bundeswehrsoldaten in Afghanistan zum Beispiel werden aus der deutschen Kasse und nicht von der NATO bezahlt.

US-Außenminister Mike Pompeo in Deutschland
Truppenübungsplatz Grafenwöhr: Außenminister Pompeo (Mi.) besuchte 2019 die ManöverBild: picture-alliance/AP Photo/J. Meyer

Haben Mitgliedsländer nicht bezahlte Schulden bei der NATO?

Die Behauptung von Präsident Trump, Deutschland und andere NATO-Mitglieder hätten die Allianz jahrelang betrogen und schuldeten der NATO Milliarden an Dollar, ist nicht nachvollziehbar. Jedes Mitgliedsland kommt für seinen Verteidigungshaushalt selbst auf. Die NATO ist kein Klub oder Verband, an den "Mitgliedsbeiträge" gezahlt werden müssten. Die NATO hat nur ein vergleichbar kleines Gemeinschaftsbudget in Höhe von jährlich 2,1 Milliarden Euro für Hauptquartiere und Infrastruktur. Davon zahlen die USA und Deutschland von 2021 an einen gleich großen Anteil von jeweils 16 Prozent. Der Rest verteilt sich nach einem Schlüssel auf die übrigen 27 NATO-Mitglieder.

Wird das Zwei-Prozent-Ziel für Verteidigungsausgaben eingehalten?

2014, also noch vor der Amtsübernahme von Präsident Trump, haben sich die NATO-Staaten verpflichtet, ihre Verteidigungsausgaben auf zwei Prozent ihres jeweiligen Bruttoinlandsprodukts im Jahr 2024 zu steigern. Deutschland wird dieses Ziel nicht erreichen, sondern wahrscheinlich erst 2031 zwei Prozent für Verteidigung ausgeben. Im Moment erfüllen acht NATO-Mitglieder das Zwei-Prozent-Ziel. Die meisten anderen seien auf gutem Weg, gibt NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg stets zu Protokoll. Der Vorwurf von US-Präsident Trump, Deutschland steigere seinen Etat zu langsam, ist also richtig. Allerdings gibt Deutschland in absoluten Zahlen nach den USA bereits heute den zweithöchsten Betrag in der Allianz für seinen Verteidigungshaushalt aus. Die noch fehlenden Milliarden sind aber nach der NATO-Logik keine "Schulden", die bei den USA gemacht wurden. Über die Lastenverteilung in der NATO wird mehr oder weniger seit ihrer Gründung gestritten.

US-Airbase Ramstein
Drehkreuz und Kommandozentrale für Afrika und Asien: US-Airbase Ramstein in Rheinland-PfalzBild: picture-alliance/dpa/B. Roessler

Äpfel und Birnen?

Vergleiche der Verteidigungsausgaben innerhalb der NATO sind schwer, weil jeder Staat andere Aufgaben über seinen Verteidigungshaushalt bezahlt. Diese Ausgaben müssen auch nichts mit der NATO oder mit militärischer Kampfkraft zu tun haben. Griechenland und die Türkei haben zum Beispiel relativ hohe Ausgaben, weil sie sich wegen ungelöster Grenzkonflikte gegenseitig in Schach halten müssen. Frankreich rechnet über seinen Verteidigungshaushalt seine Feuerwehr ab. In Deutschland sind die Pensionen für ehemalige Bundeswehrangehörige im Verteidigungshaushalt zu finden. Die USA geben 3,42 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für ihr Militär aus, übrigens 0,3 Prozent weniger als 2014. Der Militärhaushalt für die weltweit stationierten Truppen der USA kommt aber nur knapp zur Hälfte den NATO-Aufgaben im engeren Sinne zugute, schätzt die Unternehmensberatung McKinsey in einer Analyse. Der Anteil der US-Ausgaben für die NATO liegt also bei rund 1,7 Prozent des BIP - das heißt, wenn man es so berechnet, dass selbst die USA die angestrebte Zielmarke von 2 Prozent nicht erreichen. 

Trump brachte 140 Milliarden Euro für die Allianz?

Der amerikanische Präsident, nicht gerade für Bescheidenheit bekannt, prahlte am Montag, er habe dafür gesorgt, dass die NATO-Mitglieder seit 2016 rund 140 Milliarden Euro mehr in ihre Etats eingestellt hätten. Deshalb sei NATO-Generalsekretär Stoltenberg sein größter Fan. Stoltenberg selbst hatte das beim letzten NATO-Gipfel im Dezember in London etwas anders dargestellt. Es ist richtig, dass die Haushalte nominal um 140 Milliarden angewachsen sind, aber diese Verpflichtung rührt bereits aus dem Jahr 2014. Der damalige Präsident Barack Obama hatte sich wie Trump, allerdings nicht so laut, über die Europäer beschwert, die als Trittbrettfahrer und Kostgänger von amerikanischer Militärmacht profitierten, ohne selbst genug zu zahlen.

Porträt eines Mannes mit blauem Sakko und roter Krawatte
Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union