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Tschechien: Aus für russische Studenten?

Luboš Palata
10. Juli 2022

Tschechien will russische Studierende von technischen Fächern ausschließen. Betroffene werden weiter zugelassen, wenn sie sich schriftlich vom Krieg gegen die Ukraine distanzieren. Aber dann drohen ihnen neue Probleme.

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Gebäude der Tschechischen Technischen Universität in Prag
Akademische Autonomie: Die Tschechische Technische Universität in PragBild: Luboš Palata/DW

Mehrere hundert russische Studenten in Tschechien, die für ein technisches Fach eingeschrieben sind, müssen ihr Studium abbrechen oder die Fachrichtung wechseln. Das hat das tschechische Bildungsministerium entschieden. In ihrem Beschluss bezieht sich die Tschechische Republik auf die Sanktionen, die die Europäische Union als Reaktion auf die russische Aggression gegen die Ukraine beschlossen hat.

In einem amtlichen Schreiben teilt die stellvertretende Bildungsministerin Radka Wildová den tschechischen Universitäten mit: "Diese Sanktionen stützen sich auf unmittelbar geltende EU-Ratsverordnungen (Nr. 833/2014, Nr. 692/2014, Nr. 2022/263 und Nr. 765/2006), die die Bereitstellung technischer Hilfe für natürliche und juristische Personen und Einrichtungen aus den aufgeführten Ländern untersagen. Nach der Stellungnahme der Kommission können unter anderem die Bereitstellung von Hochschulbildung und die Unterstützung angewandter Forschung als technische Hilfe betrachtet werden."

Universitäten in der Tschechischen Republik besitzen allerdings große akademische Autonomie, darum kann die Regierung nur empfehlen, von welchen Kursen oder Kursinhalten russische Studenten ausgeschlossen werden sollen. Laut dem Nachrichtenportal Aktuálně.cz warnte Wildová die Universitäten, dass sie "einen Verlust ihrer internationalen Glaubwürdigkeit riskieren", sollten sie die Sanktionen nicht einhalten.

Universitäten wollen Studenten halten

Eine der Unis, die am stärksten von dieser Entscheidung betroffen sind, ist die Tschechische Technische Universität (CTU) in Prag. Sie hat rund 17.000 Studierende, von denen fast 800 aus Russland kommen. "Wir versuchen, einen Weg zu finden, um die Bedingungen der Sanktionen zu erfüllen und gleichzeitig den Studierenden aus Russland zu ermöglichen, dass sie ihr Studium fortsetzen können. Wir wollen auf jeden Fall verhindern, dass Studierende aufgrund der Sanktionen gezwungen sind, unfreiwillig nach Russland zurückzukehren", so die Kanzlerin der Universität, Lucie Orgoníková, gegenüber der DW.

Zu den sanktionierten Bereichen gehören zum Beispiel Kybernetik und Luftfahrt. Russinnen und Russen in den betroffenen Studiengängen bietet die Universität die Möglichkeit, sich mit einem Schreiben an das Rektorat von Russlands Krieg gegen die Ukraine zu distanzieren. Mit diesen Briefen können sie eine Ausnahmegenehmigung beantragen, um ihr Studium fortzusetzen. "Aber das war keine Bedingung für eine Ausnahmegenehmigung, sondern nur eine der Optionen", präzisiert Kanzlerin Orgoníková.

Distanzierung von Putin ist gefährlich

"Der Krieg erschwert meinen Aufenthalt in Tschechien. Mein IT-Bereich wird jetzt als 'technische Unterstützung' für Russland angesehen. Also warte ich jeden Tag auf eine Entscheidung, ob ich mein Studium unterbrechen muss", schreibt die russische Studentin Ilia von der Fakultät für Informationstechnologie der Technischen Universität Brünn auf der Website HlídacíPes.org.

Manche Studenten kritisieren die Entscheidung der tschechischen Behörden. "Mir ist unangenehm, dass ich nur aufgrund meines Passes diskriminiert werde", so ein russischer Student der CTU, der nicht namentlich genannt werden will, zur DW. "Aber ich bin gegen den Krieg gegen die Ukraine".

Ukraine-Krieg - Tschechien
Unterstützung: Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj ist per Video dem Parlament in Prag zugeschaltetBild: Petr David Josek/AP/dpa/picture alliance

Andere wollen eine Ausnahmegenehmigung für ihr Studium in den betroffenen Disziplinen beantragen. Einer dieser Studenten ist Nikita Iryupin, der gerade seinen Bachelor in Softwaretechnik gemacht hat und sein Studium fortsetzen möchte. "Ich werde den Brief schreiben. Aber ich habe den Vorteil, dass ich hier bei meiner Familie bin", erklärt Iryupin gegenüber der DW und fügt hinzu, dass er sich ohnehin öffentlich gegen die russische Invasion und für die Ukraine einsetzt. Er hat auch eine große Antikriegsdemonstration der russischen Minderheit in der Tschechischen Republik mit organisiert, die mehrere tausend Menschen in das Zentrum von Prag lockte. "Ich werde jetzt auf Russlands Liste der Verräter stehen", sagte er.

Gleichzeitig räumt Iryupin jedoch ein, dass es für viele seiner Kommilitonen zum Problem werden könnte, sich schriftlich von Putins Politik zu distanzieren - obgleich die Kriegsgegner unter den russischen Studierenden eindeutig überwögen. "Viele Studenten befürchten, dass ihr Brief durchsickert und dass die russische Regierung dann nicht nur sie, sondern auch ihre in Russland lebenden Verwandten verfolgen könnte, ähnlich wie die Angehörigen von Gegnern der Moskauer Regierung, die ins Ausland gegangen sind. Niemand will seine Familie in Gefahr bringen."

Ivan Preobrazhensky, russischer Rechtsanwalt und DW-Kommentator, der in der Tschechischen Republik lebt, bestätigt gegenüber der DW, dass Studenten, die ein Distanzierungsschreiben verfassen, in Russland strafrechtlich verfolgt werden könnten. "Die Höchststrafe kann bis zu fünf Jahre Gefängnis betragen. Bislang wurde uns inoffiziell mitgeteilt, dass dies diese Regelung nicht angewandt wird", so der Anwalt. "Es ist jedoch klar, dass es definitiv Beschränkungen für sogenannte 'gefährliche Studenten' geben wird." Er weist darauf hin, dass in der Tschechischen Republik 8.500 Studenten aus Russland studieren und stellt fest: "Meines Wissens ist die Tschechische Republik das einzige Land in der EU, in dem sich die Sanktionen direkt auf Studenten auswirken."

Tschechien unterstützt russische Dissidenten

Einige Vertreter der ukrainischen Gemeinschaft in Tschechien begrüßen die Restriktionen gegen Russen. "Das ist ein Schritt in die richtige Richtung. Die Russen müssen die Konsequenzen für das Handeln ihrer Regierung spüren", betont Lenka Víchová, Ukrainistin und Chefredakteurin des "Ukrainischen Journals" in Prag, gegenüber der DW. "Wir liefern Russland keine Technologie, damit wir seine Militärmacht nicht stärken. Dann sollten wir auch seinen Bürgern keine komfortable Unterkunft und Ausbildung bieten, denn sie können jetzt oder in Zukunft gegen uns eingesetzt werden."

Die Tschechische Republik erteilt Russen offiziell keine Visa mehr, so die Sprecherin des tschechischen Außenministeriums, Lenka Do. Ausnahmen gebe es aber weiterhin in humanitären Fällen und für Gegner des Putin-Regimes.

Die Unterstützung der russischen demokratischen Opposition hat in der Tschechischen Republik eine lange Tradition. Zwischen den Weltkriegen bot die Tschechoslowakei tausenden Russen, die vor dem bolschewistischen Regime flohen, Zuflucht und Unterstützung. Prag war eines der Zentren der Exilanten in Europa. 

Das Boris-Nemzow-Zentrum an der Karls-Universität in Prag setzt diese Tradition fort. Heute leben bis zu 100.000 Russen in Tschechien. Die Zahl der Ukrainer in Tschechien wird auf rund eine halbe Million Menschen geschätzt - darunter etwa 250.000 Kriegsflüchtlinge, die meisten von ihnen Frauen und Kinder.

Luboš Palata Europaredakteur der tschechischen Tageszeitung "Deník".