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Rücktritt nach Razzia

Kilian Kirchgeßner17. Juni 2013

Eine spektakuläre Polizei-Aktion hat Tschechien ins politische Chaos gestürzt: Nachdem enge Vertraute in Spitzelei- und Korruptionsverdacht geraten sind, tritt Premierminister Petr Necas zurück.

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Der tschechische Premierminister Petr Necas. Foto: MICHAL CIZEK/AFP/Getty Images
Der tschechische Premierminister Petr NecasBild: M.Cizek/AFP/Getty Images

Auf einmal wirkte er wieder gelöst und sicher, der tschechische Premierminister Petr Necas: In der Nacht auf Montag (17.06.2013) trat er vor die Kameras und kündigte seinen Rücktritt an – als Regierungschef und als Vorsitzender der bürgerlichen Partei ODS. "Ich bin ein sehr kämpferischer Mensch", sagte er, "aber mir war immer klar, dass ich kein Fels sein will, der eine optimale Lösung erschwert." Damit zog Necas die Konsequenzen aus einer Korruptions- und Spitzelaffäre, die Tschechien seit dem Ende der vergangenen Woche erschüttert. Wie es nach dem Ende der Mitte-Rechts-Regierung politisch weitergeht, liegt nun weitgehend in den Händen des linkspopulistischen Staatspräsidenten Milos Zeman.

Das politische Erdbeben begann mit einer spektakulären Razzia der Polizei: 400 teils vermummte Ermittler durchsuchten am vergangenen Donnerstag den Regierungssitz am Ufer der Moldau, dazu 30 weitere Gebäude und Wohnungen. Dabei wurden acht hochrangige Staatsbedienstete und Politiker festgenommen, unter ihnen die engste Mitarbeiterin von Premierminister Necas. Außerdem wurden mehrere Millionen Euro Bargeld und dutzende Kilo Gold beschlagnahmt.

Korruptionsskandal in den höchsten politischen Kreisen?

Über die Hintergründe der Aktion kursieren derzeit vor allem Gerüchte, mit konkreten Informationen hält sich die zuständige Staatsanwaltschaft noch stark zurück. Bislang zeichnen sich zwei Straftaten ab, um die es offenbar geht – Amtsmissbrauch und Korruption. Ob beide Delikte zusammenhängen, ist noch unklar. Zum einen soll Necas' engste Mitarbeiterin Jana Nagyova aus privaten Motiven Informationen über die Ehefrau des Premierministers gesammelt haben – und hat dazu offenbar den Militärgeheimdienst zu einer Spitzelaktion missbraucht. Das soll der ebenfalls verhörte Chef des Geheimdienstes inzwischen gestanden haben. Zum anderen sind die Ermittler offenbar einem Korruptionsskandal in den höchsten politischen Kreisen auf der Spur.

Porträt von Jana Nagyova - Büroleiterin von Petr Necas (Foto:MIichal CIZEK/AFP)
Brachte die Regierung zu Fall: Büroleiterin NagyovaBild: Michal Cizek/AFP/Getty Images

Ob Premierminister Petr Necas persönlich in die Affären verstrickt ist, ist bislang noch unklar. Er gilt in Tschechien als Mann mit sauberer Weste – zum Verhängnis geworden sind ihm offenbar private Turbulenzen. Wenige Tage vor der Polizei-Razzia hat er die Trennung von seiner Ehefrau bekanntgegeben; tschechische Beobachter vermuten, dass die Spitzel-Affäre damit zusammenhängt.

Schlag gegen die großen Fische

Die Ermittlungen in Sachen Korruption sind indes noch weitaus nebulöser. In Prag ist es seit Jahren ein offenes Geheimnis, dass über öffentliche Aufträge an dubiose Firmen viel Geld aus dem Staatshaushalt in private Kassen verschwindet. Nur: Bewiesen werden konnten diese Gerüchte bislang nicht, die mutmaßlichen Schuldigen konnten nicht bestraft werden. Jetzt ist den Ermittlern möglicherweise ein Durchbruch gelungen: Unter den durchsuchten Objekten befinden sich auch die Luxusvillen von zwei Männern, die in Tschechien sarkastisch als "Paten" bezeichnet werden; als graue Eminenzen, die offenbar Einfluss bis in die höchsten politischen Kreise haben. "Wir haben Materialien beschlagnahmt, die für uns ausgesprochen wertvoll sind", deutet Chefermittler Robert Slachta an. Die Auswertung könne noch viele Wochen dauern. Solche Äußerungen nähren die Gerüchte, dass es sich bei den jetzt bekanntgewordenen Delikten nur um die Spitze eines Eisbergs handeln könnte. Beobachter hoffen, dass die Polizei diesmal bis zu den großen Fischen vordringt, die in der mafiösen Verfilzung zwischen Politik und Wirtschaft an den Schaltstellen sitzen.

Bild vom Regierungssitz in Prag (Foto: Kirchgessner/DW)
Regierungspalast in Prag: Ein Nachmieter für Necas steht noch nicht festBild: Kilian Kirchgeßner

Der Kampf gegen die Korruption gewinnt in Tschechien an Fahrt

Dass Premierminister Petr Necas daran persönlich beteiligt sein könnte, gilt in Tschechien als unwahrscheinlich. Im Gegenteil: Er hat in seiner dreijährigen Amtszeit dafür gesorgt, dass Polizei und Justiz unabhängig arbeiten können und nicht mehr an einer politischen Leine geführt werden. "Wenn es einen Verdacht gibt, dann muss er aufgeklärt werden – egal, um wen es sich dabei handelt", hatte er noch am Freitag bei einer Rede vor dem Abgeordnetenhaus erklärt.

Porträt Staatspräsident Milos Zeman (Foto: STR/AFP/Getty)
Hatte Premier Necas zum Rücktritt geraten und ist Gewinner der Krise: Staatspräsident Milos ZemanBild: Getty Images

Der Kampf gegen die Korruption hat in Tschechien vor etwa einem Jahr eine ungeahnte Dynamik entwickelt. Dahinter steckt ein Generationswechsel bei Polizei und Staatsanwaltschaft: Dort sind gut ausgebildete und vor allem furchtlose Ermittler in leitende Positionen gekommen, die sich nicht einschüchtern lassen. Die Tschechen selbst haben ebenfalls keine Geduld mehr mit korrupten Politikern: Inzwischen sind etliche Initiativen entstanden, die sich für sauberes Wirtschaften und eine unnachgiebige Strafverfolgung einsetzen.

Der Staatspräsident ist am Ruder

Politisch kommt jetzt Staatspräsident Milos Zeman eine Schlüsselrolle zu. Der 68-Jährige, der erst im März in sein Amt eingeführt worden ist, kann nach dem Rücktritt von Petr Necas entscheiden, wen er mit einer Regierungsbildung beauftragt. Dabei sind ihm keinerlei Grenzen auferlegt: Entweder er wählt einen Vertreter aus der jetzigen Regierungskoalition aus oder jemanden von den oppositionellen Sozialdemokraten, die ihm politisch näherstehen. Denkbar ist auch, dass er bis zu den turnusgemäßen Wahlen im kommenden Jahr eine Beamtenregierung einsetzt – durch eine solche Regierung von seinen Gnaden könnte er persönlich nach Meinung von Beobachtern den größten Einfluss auf das politische Geschehen gewinnen.