Kadyrow-Feinde kämpfen gegen Abschiebung
4. Oktober 2019Dem Tschetschenen Mokhmad Abdurakhmanov und seiner Familie droht die Abschiebung nach Russland. Zusammen mit seiner Mutter, seiner Ehefrau und dem in Bayern geborenen Sohn kämpft er seit 2017 um Asyl in Deutschland, bislang ohne Erfolg. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) glaubt nicht, dass der Familie in der Heimat Verfolgung droht. Das Gericht bestätigte in erster Instanz die BAMF-Entscheidung. Erst in zweiter Instanz räumten die Richter ein, dass die Gefahr für die Familie in Tschetschenien real sei. Das Urteil lautete: Die Familie solle sich in Russland einen alternativen Zufluchtsort suchen. Doch Menschenrechtler warnen, dass sie auch außerhalb Tschetscheniens in Russland in Lebensgefahr seien.
Tschetschenischer Blogger im Konflikt mit den Kadyrows
Der ältere Bruder von Mokhmad, Tumsu Abdurakhmanov, ist ein bekannter Blogger und harscher Kritiker des tschetschenischen Präsidenten Ramsan Kadyrow. Er floh aus Russland, nachdem er mit den tschetschenischen Behörden in Konflikt geraten war. Ausgangspunkt sei sein Bart gewesen, sagte der Blogger der DW. Er sei religiös und wegen seines Bartes auf der Straße angehalten, festgesetzt und verhört worden, erläuterte Tumsu die Situation. Das soll 2015 von Islam Kadyrow organisiert worden sein.
Islam wird von den Medien als Verwandter des autoritären tschetschenischen Herrschers Ramsan Kadyrow bezeichnet und war damals Leiter der Verwaltung des tschetschenischen Präsidenten. Ramsan Kadyrow herrscht in Tschetschenien seit 2007. Viele Kritiker seines Regimes wurden tot aufgefunden oder gelten als vermisst.
Nach dem Verhör floh Tumsu ins Ausland. Später wurde in seiner Abwesenheit ein Strafverfahren wegen Terrorismusvorwürfen gegen ihn eröffnet. Tumsu wurde international zur Fahndung ausgeschrieben. Die Justiz in Tschetschenien gilt als abhängig von den Machthabern.
Mit Blutrache bedroht
Mit Tumsu flohen auch sein Bruder Mokhmad und dessen Familie. Zunächst bemühten sich die Brüder um Asyl in Georgien. Nachdem sie dort eine Absage erhalten hatten, bat Tumsu in Polen um Asyl, während Mokhmad mit seiner Familie in München einen Antrag stellte. "Der Hauptgrund (des Exils - Anm. d. Red.) ist der Konflikt des Bruders mit den Behörden und das Prinzip der kollektiven Verantwortung in Tschetschenien. Wären wir, als seine Verwandten, dort geblieben, hätte uns eine schwere Strafe ereilt", erklärte Mokhmad im DW-Interview.
Asyl in der EU zu erhalten, erwies sich als schwieriger als von den Brüdern erwartet. In Polen wollten die Behörden Tumsu kein dauerhaftes Bleiberecht gewähren. Sein Einspruch ist mittlerweile vor dem Höchsten Gericht. "Soweit ich weiß, ist das die letzte Instanz", sagte Tumsu der DW.
Unklar ist, ob die Entscheidungsträger im BAMF berücksichtigten, dass der einflussreiche Kadyrow-Vertraute und Chef des tschetschenischen Parlaments, Magomed Daudow, im März 2019 Tumsu auf Instagram Blutrache schwor. Unter Tschetschen ist dies eine nicht zu unterschätzende Drohung, die nicht sich nur auf die erwähnte Person bezieht, sondern auch dessen gesamte Familie gefährdet.
Asylfolgeantrag nach neuen Erkenntnissen
Erschwerend für das Asylgesuch von Mokhmad könnte noch eine Gerichtsentscheidung gegen ihn gewesen sein. Das Amtsgericht in Augsburg verhängte eine Geldstrafe in Höhe von 1350-Euro für den Repost eines DW-Artikels bei Facebook - ein Urteil, über das sich der Deutschen Journalistenverband empörte. Das Gericht kam zum Schluss, der junge Tschetschene habe durch seinen Repost verbotene Symbole im Internet verbreitet. Denn auf dem Artikelbild waren zwei Kämpfer abgebildet, die Mützen mit dem Symbol des "Islamischen Staats" (IS) tragen. Das Bild wird automatisch gezogen, wenn man den Artikel teilt.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Mokhmad gibt die Hoffnung auf Asyl in Deutschland nicht auf. Am 26. September stellte er einen Asylfolgeantrag in Bamberg. Vor wenigen Tagen tat das auch seine Mutter.
Dieses Mal, so die Hoffnung, werden die BAMF-Entscheidungsträger alte und neue Erkenntnisse berücksichtigen, auch die Gefahr, die für Leute besteht, die mit dem Kadyrow-Regime nicht einverstanden sind - auch außerhalb der Tschetschenischen Republik. Internationales Aufsehen erregte zuletzt ein Fall in Berlin: Dort wurde am 23. August ein Tschetschene ermordet. Es handelte sich um den früheren Feldkommandeur Zelimkhan Khangoshvili, der im zweiten Tschetschenienkrieg gegen Russland gekämpft hatte.
Bundestagsabgeordnete: Abschieben nach Grosny keine Option
Die Geschichte des 24-jährigen Mokhmad, der mittlerweile bei einer oppositionellen tschetschenischen NGO "Vayfond" aktiv ist, erreichte inzwischen den Bundestag. Die Linken-Fraktion stellte Anfang September eine Anfrage an die Bundesregierung zur asylpolitischen Lage in Tschetschenien.
"Es grenzt an Zynismus, wenn deutsche Behörden einen tschetschenischen Oppositionellen nach Russland ausweisen mit der Behauptung, dort gäbe es alternative Zufluchtsorte für ihn", sagte Grünen-Abgeordnete Manuel Sarrazin der DW. Damit würden die Richter und Entscheidungsträger bewusst ihre Augen verschließen vor der existenziellen Bedrohung, der sie geflüchtete Tschetschenen damit unweigerlich aussetzten, so Sarrazin: "Kritiker des Regimes von Kadyrow müssen in allen Gebieten des Unrechtsstaates, zu dem sich Russland entwickelt hat, um ihr Leben bangen."
"Morddrohungen werden in Tschetschenien leider in die Tat umgesetzt", sagte SPD-Angeordnete Frank Schwabe der DW. Schwabe war vor kurzem selbst in Tschetschenien - als Berichterstatter für den Europarat über die Menschenrechtslage im Nordkaukasus. Die deutschen Behörden bräuchten eine Neuorientierung im Umgang mit Rückführungen von Tschetschenen, so Schwabe. "Im Fall von Tschetschenien entscheiden wir über Leben und Tod. Wer in Tschetschenien in den Fokus gerät, ist chancenlos. Dem müssen sich alle, die in Deutschland entscheiden, bewusst sein", erklärte der SPD-Politiker.
Auch das renommierte russische Menschenrechtszentrum "Memorial", das über viel Erfahrung in Tschetschenien verfügt, setzte sich für Mokhmad ein und kritisierte den Umgang der deutschen Behörden mit dem Fall: "Hohe europäische Standards und Prinzipien halten der Realität nicht stand." Auf DW-Anfrage antwortete das BAMF, man kommentiere grundsätzlich keine Einzelfälle.